piwik no script img

Kolumne Nullen und EinsenDas böse E

Wie ein Kuchen, den man nur krümelweise essen darf, wie tindern, aber nur nach rechts: Es gibt wenig Quälenderes als langsames Internet.

Willst du ne Sprachi verschicken? Musst du erst auf nen Berg steigen Foto: Brennan Martinez/unsplash.com

W ürde man eine Liste der besten Buchstaben des lateinischen Alphabets machen, wäre auf dem letzten Platz, mit Abstand: das E.

Denn das E ist das Böse. Es steht für Elend, es steht für eklig, es steht für Essstörung, Eva Braun, Eiterpickel, Ellenbogengesellschaft, Eifelkrimis. Und es steht für Edge. Allein der Laut schon: Äddsch. „Von der Etsch bis an den Belt“ heißt es in der ersten Strophe des Deutschlandliedes. „The Edge“ nennt sich der Gitarrist der nervigsten Band der Welt. Und „edgy“ ist die Trottel-YOLO-Vokabel für alle, die 2018 gelernt haben, dass man „verschärft“ nicht mehr sagt.

Seine schlimmste Manifestation hat Edge und damit auch das E aber im Smartphone. Edge ist hier die Abkürzung für „Enhanced Data Rates for GSM Evolution“ und war ungefähr vor 500 Jahren mal der neueste Standard für mobile Datenübertragung. Inzwischen ist das kleine E oben auf dem Smartphone-Display der Marker dafür, dass es

jetzt ganz

laaaangsam

wir

d.

Hier wird Edge zu Ätsch!, denn es gibt auf der Welt nur wenig Schlimmeres als langsames mobiles Internet. Selbst gar kein mobiles Internet ist besser. Das nervt vielleicht kurz, aber dann nimmt man es hin, so wie halt nachts die Sonne nicht scheint, es im Winter kalt wird und Menschen keine Flügel haben. Kein mobiles Internet bietet Klarheit, Sicherheit, Struktur. Es ist wie die fünfte Phase des Trauermodells von Elisabeth Kübler-Ross: Akzeptanz.

Schlechtes mobiles Internet ist wie die anderen vier Phasen auf einmal: Nicht-wahrhaben-Wollen. Zorn. Verhandeln. Depression und Leid. Es ist Sisyphos-Internet. Godot-Internet. Bewachter-Milchtopf-Internet. Es ist, als würde man einen unfassbar lecker riechenden Burger serviert bekommen, aber man darf ihn nur atomweise essen. Wie dieses bescheuerte Spiel auf Kindergeburtstagen, wo man mit Handschuhen eine Tafel Schokolade mit Messer und Gabel schneiden soll, aber wenn man so weit ist, würfelt jemand anders eine 6.

Vielleicht, eventuell, passiert nach dem 15. Druck auf den Reload-Button und wenn man raus in den Regen geht und das Handy mit ausgestrecktem Arm nach oben hält, endlich mal was

Es ist wie tindern, aber man darf nur nach links wischen. Wie bei 35 Grad an einen Badesee radeln und man darf nur mit dem großen Zeh rein. Wie durch einen Spielzeugladen laufen, aber man darf nichts anfassen. Oder wie durch einen Mausefallenladen laufen und man muss alles anfassen. Es ist, als würde man auf einem Scheiterhaufen aus Streichhölzern langsam verbrannt, statt entspannt guillotiniert.

Edge-Internet ist auch Schrödinger-Internet: Nie weiß man, ob die kleine Katze, die im Inneren des Smartphones die Daten verteilt (ja, das ist so!), vor Erschöpfung gestorben ist. Denn Edge-Internet läuft nicht nur langsamer, es läuft oft auch einfach gar nicht – aber doch so oft, dass man immer hofft, dass vielleicht, eventuell, nach dem 15. Druck auf den Reload-Button, wenn man raus auf den Balkon in den Regen geht und das Handy mit ausgestrecktem Arm nach oben hält, endlich was passiert.

Das böse E lauert im ÖPNV, in Erdgeschosswohnungen, in völlig erratisch auftretenden „Funkschatten“ und in Deutschland natürlich überall auf dem Land. Passen Sie gut auf sich auf.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Michael Brake
wochentaz
Jahrgang 1980, lebt in Berlin und ist Redakteur der Wochentaz und dort vor allem für die Genussseite zuständig. Schreibt Kolumnen, Rezensionen und Alltagsbeobachtungen im Feld zwischen Popkultur, Trends, Internet, Berlin, Sport, Essen und Tieren.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!