: Ein Kämpferherz bei den Fischen
Der Fischer Heinz Oestmann war eine Symbolfigur der norddeutschen Ökologiebewegung. Er kämpfte gegen die Zerstörung der Elbe, aber auch der seines Heimatdorfes und gehörte zur ersten Generation der Grünen im Parlament. Am Montag ist er gestorben
Von Gernot Knödler
Im Mai 1981 gab es eine Großdemo an der Elbe: 50.000 Umweltschützer protestierten dagegen, dass der Strom zur „Kloake der Industrie“ gemacht wurde, wie der Spiegel berichtete. Mehr als 500 Fischkutter, Segel- und Motorboote verliehen dem Protest auf dem Fluss Nachdruck. Mittendrin: Heinz Oestmann, damals Sprecher der Elbfischer und ein Kopf des Widerstandes; nicht nur gegen die Zerstörung des Flusses, sondern auch gegen die Auslöschung seines Berufes und seines Heimatdorfes Altenwerder.
Immerhin einen dieser Kämpfe hat der Fischer, der am Montag im Alter von 68 Jahren gestorben ist, gewonnen – zumindest nach Punkten: Der Elbe geht es wesentlich besser als um 1980. Die Fische haben keine Geschwüre mehr und können verzehrt werden. Im Fluss kann man wieder baden. Sauerstofflöcher gibt es aber immer noch.
Verloren hat Oestmann den Kampf um seinen Beruf. In den Nullerjahren war er der letzte Hamburger Fischer, der am St.-Pauli-Fischmarkt Schollen und Krebse von Bord verkaufte, mit dem rauen Charme eines Seebären. Da war die Fischerei längst ein prekäres Geschäft, das er aufgab, als 2010 die Dieselpreise explodierten.
Fortan konzentrierte er sich ganz auf sein Restaurant „Oestmann’s Fischerhuus“ in Finkenwerder. In das Restaurant hatte er die halbe Million Euro investiert, mit der ihn der Senat dafür entschädigte, dass er sein Wohnrecht in Altenwerder aufgab. Doch das Restaurant, das die von Oestmann gefangenen Fische auf den Tisch bringen und ihm wirtschaftlich die Zukunft sichern sollte, brachte ihm kein Glück. „Es war nicht geplant, dass meine Frau nach anderthalb Jahren schon den Löffel abgibt“, sagte Oestmann vor ein paar Jahren der taz. Sie starb an Krebs, mit 47 Jahren.
Die sechsköpfige Familie Oestmann war fast die letzte, die Altenwerder verließ – nur der Lehrer Werner Boelke blieb länger. Zurück blieb das Grab seines mit 50 verstorbenen Vaters, blieben 25 Jahre Streit mit der Stadt: Pressekonferenzen, Demos, Gerichtstermine, der vergebliche Versuch, die Front der Bewohner geschlossen zu halten, die der Senat gegeneinander auszuspielen versuchte.
Sein Widerstand führte ihn in den frühen Achtzigerjahren sogar in die Bürgerschaft. Er gehörte zur ersten Generation der Grünen in den Parlamenten. Dabei war der kräftige Mann mit Wuschelkopf und Rauschebart durchaus bodenständig. „Ich wollte ja auch immer nur das Gute des Alten bewahren“, sagte er der taz – so wie die anderen im Dorf, die traditionell zu 50, 60 Prozent CDU wählten.
Oestmann in der Bürgerschaft muss ein Erlebnis gewesen sein: Er fluchte, polterte, duzte alle und jeden. Oestmann sei unglaublich anstrengend gewesen, erinnerte sich die damalige Abgeordnete der Grün-Alternativen Liste, Adrienne Göhler, „weil der sich natürlich an keinen der Diskurse gehalten hat“. Aber interessant sei es gewesen.
Der Fischer hatte einen direkten Bezug zu seinen politischen Themen. Viele der Fische, die ihm damals ins Netz gingen, waren krank. Er sortierte aus: Schollen mit der Himbeerkrankheit – roten Geschwüren, Aale mit der Blumenkohlkrankheit – großen Tumoren, Stinten mit Flossenfäule. Dabei entstammten diese Tiere ohnehin schon einem dramatisch dezimierten Bestand.
Sich einen Reim auf die Ursachen zu machen, war nicht besonders schwierig, angesichts der seit dem Krieg gebauten Atomkraftwerke und Industriebetriebe. Sie entnahmen dem Strom Kühlwasser und heizten ihn auf diese Weise auf, mit dem Resultat, dass bei warmem Wetter die Fische erstickten.
Die Stadt Hamburg wie die Betriebe nutzten den Strom als Abwasserkanal. Und auch das Meer blieb nicht verschont: Die Firma Kronos-Titan schickte etwa regelmäßig Tanker zur Dünnsäure-Verklappung auf die Nordsee. Oestmann legte sich mit seinem Kutter quer, um das Auslaufen zu verhindern.
Wie es dabei zuging, schildert der mit Oestmann befreundete Fotograf Günter Zint: „Der Einsatzleiter war ein Schulfreund von Heinz. Heinz sagte zu ihm: ‚Hier an Bord hab ich das Sagen – wenn ihr mir nicht gleich Handschellen anlegt, garantiere ich für nix.‘ Er bekam keine Handschellen, dafür bekam sein Schulfreund ein paar saftige „Ohrschellen“. Das wurde teuer: 3.500 Mark Geldstrafe wegen Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte.“
Fischer zu sein, hatte für Heinz Oestmann etwas mit Freiheit zu tun. Trotzdem hat er seinen Kutter, der ebenso Arbeits- wie Protestwerkzeug bei Demos und Blockaden war, ohne große Sentimentalität verkauft. „Gefühle“, sagte er damals, „habe ich mir längst abgeschminkt.“
Bestattet wird er auf See.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen