: Dach-Hai vor dem Aussterben
Im Streit mit dem Zentralverband der Dachdecker bekommt der reisende Handwerker Lutz Newiger 8.500 Euro zugesprochen. In der Sache bekommt er recht, eine inhaltliche Annäherung ist trotzdem nicht in Sicht
Lutz Newiger, reisegewerbetreibender Dachdecker
Von Alina Götz
Am Ende einigten sie sich auf einen Vergleich. 8.000 Euro plus Zinsen bekommt der reisende Dachdecker Lutz Newiger. Der Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks (ZVDH) muss zahlen, weil er freie Handwerker wiederholt öffentlich verunglimpft hatte. Trotzdem war Newiger enttäuscht: „Ich habe mir einen inhaltlichen Austausch gewünscht.“ Der Beklagte ZVDH, insbesondere deren Hauptgeschäftsführer Ulrich Marx, hatte trotz einer 2016 erstrittenen Unterlassungserklärung reisende DachdeckerInnen weiterhin als zu unqualifiziert bezeichnet. Newiger forderte deswegen am Mittwoch vor dem Landgericht Bremen 12.000 Euro.
Nicht zum ersten Mal begegneten sich die Parteien vor Gericht. Schon länger fühlen sich umherziehende Gewerbetreibende durch den ZVDH diffamiert. Grundsätzlich geht es um den Kampf der freien HandwerkerInnen gegen die Innungen, die auf dem Meisterzwang beharren.
Der Vorsitzende Richter gab Newiger recht und sah den stärksten Verstoß in einem Artikel, der 2017 in der Deutschen Handwerks Zeitung erschienen war. Marx behauptet dort, dass die Mehrheit der grundsätzlich legalen Haustürgeschäfte von „nicht ausgebildeten Dachdeckern und dann meist fehlerhaft“ ausgeführt würden. Der Richter erklärt: „So werden Reisegewerbetreibende mit Dach-Haien in einen Topf geworfen.“ Wortschöpfungen wie Dach-Hai gehörten zum Vokabular der Innungen, mit dem sie unliebsame Konkurrenz durch freie Handwerker diskreditierten. Der Richter sagte, Marx wäre dazu verpflichtet gewesen, nach seinem Interview seine Zitate gewissenhafter gegenzulesen und kritische Stellen streichen zu lassen.
Es bedurfte einiger mahnender Worte des Richters, bis sich die Parteien auf die Zahlung von insgesamt 8.500 Euro einigten. Newigers Anwältin Simone Baiker war zufrieden: „Inhaltlich hat der Richter uns sofort zugestimmt.“
Marx vom ZVDH ließ sich am Mittwoch nur durch seinen Anwalt vertreten. Zum Reden zwingen könne der Richter eben niemanden, wie dieser während der Verhandlung erklärte. Mit der bereits erstrittenen Unterlassungserklärung habe der Kläger aber ein Instrument, um Verfehlungen zu verfolgen.
Jonas Kuckuk, selbst Reetdachdecker, Sprecher des Berufsverbandes unabhängiger HandwerkerInnen und beim Prozess Newigers Unterstützer, wundert Marx’Verhalten nicht. Es gebe noch unzählige weitere Diffamierungen. Ebenso verurteilte Kuckuk auch den jüngsten Vorstoß der Großen Koalition im Bund um Carsten Linnemann (CDU), die den Meisterzwang wieder einführen will, der 2004 eigentlich für 53 Berufe abgeschafft wurde.
Die Gerichtskosten übernimmt die Anklage zu einem Drittel, der Beklagte trägt zwei Drittel. Ein Widerspruch gegen den Vergleich, dem der Vorstand des ZVDH noch zustimmen muss, kann bis zum 15. Oktober eingereicht werden.
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