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Protest wegen Räumung und AnzeigenSchön, dass wir drüber geredet haben

56 Anzeigen wegen Hausfriedensbruch: Pfingsten ließ die Wohnungsgesellschaft Stadt und Land ein besetztes Haus räumen.

Spuren des Protestes bei Stadt und Land Foto: taz

Berlin taz | Ein Knall schreckt das Dutzend junger Menschen auf dem Neuköllner Spielplatz an diesem Dienstagmorgen auf. Nein, kein Stress, es ist nur ein Luftballon geplatzt. Die anderen schweben ein, zwei Meter über dem Boden. An Schnüren befestigt hängen Flugblätter. „Berlinopoly“ und „Ingo, wir müssen mal reden!“.

Ingo ist Geschäftsführer bei der städtischen Wohnungsbaugesellschaft „Stadt und Land“. In dieser Funktion hatte er Pfingsten die Besetzung eines Hauses in der Bornsdorfer Straße nach wenigen Stunden polizeilich beenden lassen. Und jetzt wollen die #besetzen-AktivistInnen eben mit ihm reden über die Strafanträge, die seitdem anhängig sind. 56 Personen sind wegen Hausfriedensbruch angezeigt.

Das Grüppchen zieht strammen Schrittes mit den Luftballons und Flugblättern in die Werbellinstraße zum Hauptsitz der Stadt und Land, betritt ungehindert das Foyer und verlangt dort, Ingo Malter zu sprechen. „Sie müssen keine Angst vor uns haben“, sagen sie. Der Pförtner erklärt, überhaupt keine Angst zu haben. Erfreut ist aber auch nicht über den Besuch. Außerdem sei Herr Malter im Urlaub.

Nach einigem Warten und Versuchen, passierenden MitarbeiterInnen Flugblätter zu überreichen, erscheint die zweite Geschäftsführerin, Anne Keilholz, mit ihrem Pressesprecher. Im Gespräch, das insgesamt zivil verläuft, betont Keilholz, dass die Geschäftsführung zu den Anzeigen stehe und diese sicher nicht zurücknehmen wolle, aber auch nicht könne. Sie hätten nun einmal ihre funktionsgebundenen Pflichten. Im weiteren Verlauf erklärt sie mehrfach, dass sie das Vorgehen ihres Kollegen für richtig halte: „Was das angeht, steht unsere Meinung fest.“

Gesichert und verplant

Später erklären die Aktiven, dass sie zufrieden damit wären, dass die Geschäftsführerin mit ihnen geredet hat. Sie begrüßen die Klarstellung, dass die Aufrechterhaltung der Anzeigen wegen Hausfriedensbruchs für Stadt und Land nicht einfach formaler Zwang, sondern selbst gewähltes Prinzip sei: „Damit ist diese Geschäftsführung auch kein Verhandlungspartner für uns.“

Das Haus in der Bornsdorfer Straße ist derweil „gesichert“, wie Stadt und Land erläutert. Im Herbst solle dort mit Umbau und Sanierung begonnen werden. Das ehemalige Schwesternwohnheim steht seit Jahren leer und war nicht zuletzt deshalb ins Visier der #besetzen-AktivistInnen geraten. Geplant sind wohl um die 35 kleinere Wohneinheiten, detailliertere Angaben kann die Wohnungsbaugesellschaft vor Ort nicht machen.

Nach einer guten halben Stunde verlassen die Protestierenden das Foyer. Ein paar Luftballons bleiben zurück – und die Gewissheit, dass hier zwei derart gegensätzliche Interessenlagen aufeinandertrafen, die in gelegentlichen Foyergesprächen allein zu keiner Annäherung finden werden.

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