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Supermarkt inklusive

Zekeriya Soydemir, langjähriges Gemeindemitglied der „Merkez Camii“-Moschee der „Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş“, träumt vom Bau einer neuen Moschee, Minarette und Kuppel inklusive

In der „Merkez Camii“-Moschee: Gemeindemitglied Zekeriya Soydemir bringt Imam Ali Gök den Koran zur Kanzel Foto: Uwe Lewandowski

Wer nach der „Merkez Camii“-Moschee der „Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş“ (IGMG) sucht, muss auf die Hinterhöfe achten. Denn vorn, direkt an der Iburger Straße, fällt nur der „City-Markt“ ins Auge, der Supermarkt mit seinen Melonen-, Tomaten- und Apfelkisten vor der Tür. Aber gleich dahinter geht es rechts rein, und dann sieht man es auch schon, das grünweiße Banner, das den Eingang markiert.

Eine ideale Lage. Gut, die Bahnlinie, deren hoher Damm hinter dem Gebäude aufragt, macht ziemlich Krach. Aber direkt im Quartier drumherum, „Ausländergetto“ würde es AfD-Fraktionschef Alexander Gauland vermutlich nennen, wohnen viele der 300 Familien, die den Kern der Gemeinde bilden.

Der Supermarkt ist übrigens nicht nur ein Supermarkt. „Er ist unser Herz, unsere Ader“, erklärt Zekeriya Soydemir. „Was übrig bleibt, geht in die Gemeinde. Ist rechtlich eine ganz interessante Konstruktion. Das Finanzamt hat uns mal gesagt, dass wir in ganz Niedersachsen die einzigen sind, die das so machen.“ Gerade verlassen drei Schwarzafrikaner den Laden, tragen schwerbeladene Tüten zu ihren Fahrrädern. Gleich hinter ihnen eine asiatische Familie – ein Mädchen, vielleicht 5, kaut an einer Traube.

Nicht nur der Supermarkt wird von vielen Nationalitäten besucht, auch die Moschee – 500 Gläubige passen hinein. „Das alles hier ist stark gewachsen“, sagt Soydemir und stellt Wasser auf den Tisch. „Früher war es ein türkischer Gebetsraum, heute ist es ein internationales muslimisches Vereins- und Glaubenshaus.“ Soydemirs Zukunftstraum? „Eine Immobilie, die wie eine richtige Moschee aussieht!“ Dass das sicher noch dauert, stört ihn nicht: „Ohne Träume kann der Mensch nicht leben!“

Bereits jetzt ist die Moschee ein großes Sozial- und Begegnungszentrum. „Viele Flüchtlinge, denen sonst jede Anbindung fehlt, fühlen sich hier geborgen, verbringen hier ihre Freizeit. Wir machen Seelsorge, Bildungsarbeit, haben Jugendgruppen, Kinderbetreuung …“ Stimmt, da war diese Biene Maya, an der Rückwand des Frauengebetsraums, Kisten voller Spielzeug darunter.

Seit 1977 existiert die Gemeinde. „Und wir sind wirklich offen für alle“, sagt Imam Ali Gök. Bosnier kommen, Syrer, Afrikaner. Wie viel Internationalität eine Gemeinde verträgt? Soydemir: „Da gibt es keine Grenzen!“ Auch durch die vielen Ehrenamtlichen.Wer tagsüber im Markt die Regale auffüllt, nimmt am Abend dafür eine Tasche Lebensmittel mit nach Hause.

Irgendwann kommt die Rede auf Innenminister Seehofer. Auf dessen Aussage, dass der Islam angeblich nicht zu Deutschland gehöre. Soydemir, zornig: „Absolut überflüssig, diese Diskussion. Das treibt völlig unnötig einen Keil in die Gesellschaft. Genauso gut könnte man sagen: Behinderte gehören nicht zu Deutschland, Blonde, Bauarbeiter.“

Ein Deutschland ohne Islam? Dann müsse man auch konsequent sein. Soydemir lächelt bitter. „Dann müsste man per Gesetz erlassen: Kein Moslem darf mehr zum Arzt oder zur Schule, kein Moslem bekommt einen Führerschein oder eine Sporturkunde, alle Moslems müssen raus aus ihren Berufen, aus der Politik …“

Und umgekehrt: Kein Haarschnitt mehr beim preiswerten türkischen Friseur, kein Döner mehr aus der Bude an der Ecke. „Und wenn alle am besten nur noch da leben sollen, wo ihre Vorfahren herkamen, dann alle Osnabrücker zurück nach Osnabrück!“ Hört sich absurd an in einer Stadt, deren Oberbürgermeister von der CDU an Moslems Briefe verschickt, ob sie nicht die deutsche Staatsbürgerschaft wollen.

Ein kurzer Blick noch auf die digitale Sonnenstands-Uhr mit den Gebetszeiten. Das Abendgebet steht heute um 21.49 an, das Nachtgebet um 23.02 Uhr. Ob viele kommen? Die Teppiche jedenfalls lassen drauf schließen.

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