: Sandalen sind kein Verbrechen
Polizei Bremen bekommt Rechtsnachhilfe
Verteidiger Jan Lam nannte es „systematisierten Rechtsbruch“. Er meinte das regelhafte Vorgehen der Polizei am Rande von Demos. „Zuerst wird gehandelt und hinterher nach einer Rechtsgrundlage dafür gesucht“, sagte Rechtsanwalt Lam am vergangenen Dienstag im Bremer Amtsgericht. Der dortige Fall passe ins Handlungsmuster der Bremer Polizei, wie er es aus zahlreichen zweifelhaften Festnahmen und Identitätsfeststellungen rund um Demos kenne.
Sein Mandant war wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte angeklagt und wurde freigesprochen. Der Richter war verwundert, dass die Staatsanwaltschaft angesichts der vielen Zweifel überhaupt Anklage erhoben hatte. Denn der Mann hatte eigentlich nichts getan. Er hatte lediglich im September 2016 Flyer verteilt, um bei einem Kinoabend mit der damaligen Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) gegen ihre Politik zu protestieren.
Das und sein „auffälliges Äußeres“ waren einem für den Schutz der Ministerin anwesenden Zivilpolizisten nach eigener Aussage genug, um den Mann anzugehen. Worin das auffällige Äußere bestand? „Kurze Hosen und Sandalen“, so der Polizist Günter M. Als er den Sandalenträger damals ansprach, wollte der weggehen und weigerte sich, ihm einen Flyer auszuhändigen. Der Polizist hielt ihn nach eigenen Angaben fest, der Mann soll sich daraufhin losgerissen haben. Vor der Tür des Kinos bekam der Zivilbeamte den Mann allerdings erneut zu fassen, woraufhin es zur Identitätsfeststellung im Streifenwagen ging und zu der Anzeige wegen Widerstands kam.
Verteidiger und Richter hauten dem Beamten sein Verhalten um die Ohren. Auf welcher Grundlage er gehandelt habe, wollte Lam wissen: Der Polizist verwechselte daraufhin Polizeirecht mit Gefahrenabwehrrecht. Der Richter sagte, der Beamte habe mehrere Grundrechte eingeschränkt: Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit in geschlossenen Räumen und auch das Hausrecht. Nach dem unzweifelhaften Freispruch zählte der Richter in seiner Urteilsbegründung auf: Weglaufen sei kein Widerstand, eine Identitätsfeststellung, nur weil jemand Flyer verteilt, sei „präventives Polizeihandeln“, das nach Bremer Polizeigesetz verboten sei.
Der Kino-Besitzer des kommunalen Kinos City 46 sagte ebenfalls in dem Prozess aus. Für ihn sei das Verteilen von Flyern keine Störung, sondern eher ein in der Demokratie üblicher Debattenbeitrag. Davon hatte der Zivilpolizist, der bewaffnet im Gerichtsaal erschienen war, offenbar noch nichts gehört.
Gareth Joswig
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen