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„Beerensträucher statt Giftpflanzen!“

Eva Willig macht Kräuterführungen durch Neukölln. Nun hat sie ein Buch veröffentlicht, das essbare und giftige Wildgewächse des Bezirks beschreibt

Hat da etwa jemand sein Leihrad im Salat geparkt? Foto: Stefan Zeitz/imago

Interview Peter Nowak

taz: Frau Willig, wann begann Ihr Interesse an Neuköllner Kräutern?

Eva Willig: Als ich zu früh in die Wechseljahre rutschte und meinem Arzt nichts anderes einfiel, als mir Hormonpillen zu verschreiben, erinnerte ich mich an meine Kindheit auf dem Lande. Damals hieß es, ­gegen fast alles sei ein Kraut gewachsen. Ich besorgte mir daraufhin Bücher und stellte schnell fest, dass der Spruch auch für Berlin gilt.

Wann starteten Sie mit den Kräuterführungen?

Die ersten Kräuterspaziergänge habe ich in den 1990er Jahren auf Kreta organisiert. Ich war auf Jobsuche, fand aber nichts und hatte dann die Idee, TouristInnen in die dortige Pflanzenwelt einzuführen. Seit zehn Jahren gehe ich in Berlin alljährlich von März bis Oktober immer am letzten Samstag mit Interessierten spazieren und zeige ihnen Kräuter und andere Pflanzen. Um ein wenig legitimiert zu sein, habe ich bei der IHK (Industrie- und Handelskammer; d. Red.) sogar eine Prüfung für den Erlaubnisschein für freiverkäufliche Heilmittel abgelegt.

Wer kommt zu den Spaziergängen?

Das ist ganz unterschiedlich. Überwiegend sind es aber Frauen, junge und alte. Ich finde es immer sehr interessant, neue Leute kennenzulernen. Nur mag ich es gar nicht, wenn Menschen auf den Spaziergängen missionarisch auftreten. Sei es, dass sie für vegane Ernährung oder irgendwelche esoterischen Sachen werben.

Nun ist Ihr Buch „Heilsames Neukölln“ erschienen. Ihr Ziel?

Über Großstadtgewächse

Das Buch Eva Willig, 70, hat kürzlich im Eigenverlag das Buch „Heilsames Neukölln“ herausgegeben. Auf 175 Seiten werden Heil-, Gewürz-, Salatpflanzen, Getreide, Bäume und Sträucher vorgestellt, die in Neukölln wild wachsen, essbar sind und eine heilsame Wirkung haben sollen. Ein Kapitel behandelt Giftpflanzen. Das Buch kann über ewil@gmx.de für 18 Euro bestellt werden.

Der Spaziergang Von März bis Oktober lädt Eva Willig zu kosten­losen Kräuterspaziergängen in Neukölln und den angrenzenden Stadtteilen ein. Der nächste Spaziergang beginnt am Samstag, dem 28. Juli 2018, 16 Uhr in Rudow an der Haltestelle des Busses 271 „Am Großen Rohrpfuhl“.

Ich will damit erreichen, dass die Menschen die Pflanzen um sie herum besser wahrnehmen, die Fotos vergleichen und ein anderes Verhältnis zur Natur in der Stadt bekommen. So empfehle ich Guerilla Gardening auf dem eigenen Balkon. Ich pflanze dort Wildpflanzen, keine Geranien. So habe ich Hummeln, Wespen und Bienen mitten auf der Karl-Marx-Straße. Das ist ein Beitrag zur Pflanzenvielfalt.

Wieso haben Sie sich auf Neukölln fokussiert?

Ich hatte auf der Webseite mundraub.org festgestellt, dass in dem Stadtteil, in dem ich lebe, keine Fundstellen für Kräuter aufgeführt waren. Das hat mich angespornt, das Buch zu veröffentlichen. Zudem hat Neukölln beim Thema „essbare Stadt“ noch starken Nachholbedarf.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Als ich auf der Lessinghöhe, einer der Neuköllner Grünflächen, Rucola ernten wollte, stellte ich fest, dass die Bepflanzung an den Wegrändern weggesichelt war. Das Grünflächenamt teilte mir mit, man habe auf Wunsch der Polizei die Sicht unter die Büsche verbessern wollen, um zu verhindern, dass dort Wohnungslose übernachten. Deswegen werden essbare Nutzpflanzen vernichtet. Vor zwei Jahren lehnte die Bezirksverordnetenversammlung in Neukölln einen Antrag der Grünen, die Entwicklung zur essbaren Stadt zu unterstützen, mit ähnlichen Argumenten ab. Pankow hat sich dagegen vor zwei Jahren zum essbaren Bezirk erklärt und auch entsprechende Maßnahmen eingeleitet. Daran kann sich Neukölln ein Beispiel nehmen.

Eva Willig bei einem ihrer Kräuterspaziergänge Foto: Lothar Eberhardt

Warum haben Sie neben Heil- auch Giftpflanzen im Buch aufgeführt?

Seit Jahren fordere ich, dass in öffentlichen Grünanlagen keine Giftpflanzen stehen sollen, und wenn doch, dass sie gekennzeichnet werden. Am besten wäre es, auch um dem Ziel „essbare Stadt“ näher zu kommen, die Giftpflanzen aus den Anlagen herauszuholen und durch essbare Beerensträucher zu ersetzen.

Können Sie ein Beispiel für eine solche gefährliche Pflanze in Neukölln nennen?

Kürzlich waren die Zeitungen voll mit Meldungen über einen geplanten Anschlag mit Rizinus. Es wurde behauptet, dass die Samenkörner des Rizinus, auch Wunderbaum genannt, aus dem Darknet oder aus Baumärkten stammen sollen. Tatsächlich kann man etwa im Neuköllner Körnerpark die Samen von acht Wunderbäumen sammeln.

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