piwik no script img

Nord-SPD ruft zum Aufstand

An der SPD-Basis in Norddeutschland wächst der Widerstand gegen einen Asylkompromiss mit CSU und CDU. Hamburger Abgeordnete warnt vor „neuer Form des Faschismus“, niedersächsischer Landrat wirft der SPD-Bundesspitze „Verantwortungsverweigerung“ vor

Gefängnis oder Transitzentrum: Hendrikje Blandow-Schlegel von der Hamburger SPD sieht da keinen Unterschied Foto: Armin Weigel/dpa

Von Sven-Michael Veit

Die Wortwahl ist drastisch: „Unser Land ist auf dem Weg in eine neue Form des Faschismus und ich wünsche mir, dass die SPD nicht Teil dieser Bewegung wird“, schreibt die Hamburger SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Hendrikje Blandow-Schlegel auf ihrer Facebook-Seite in einem offenen Brief an die Bundesvorsitzende Andrea Nahles. Der Grund ihrer Empörung sind die Verschärfungen des Asylrechts, welche CDU und vor allem CSU in der Großen Koalition in Berlin durchsetzen wollen. „Macht das nicht, stimmt nicht den Vereinbarungen von CDU/CSU zu“, mahnt Blandow-Schlegel die beiden VerhandlungsführerInnen der SPD: Nahles sowie Vizekanzler und Ex-Bürgermeister Hamburgs Olaf Scholz.

Die Anwältin hatte im Februar 2014 mit zunächst 58 Nachbarn den Verein Flüchtlingshilfe Harvestehude e. V. gegründet. Anlass war ein Nachbarschaftsstreit im Hamburger Nobelviertel an der Außenalster über eine Flüchtlingsunterkunft, der zeitweise vor den Gerichten ausgetragen wurde. Blandow-Schlegel nannte das damals „unmoralisch“. Ein Jahr später wurde sie in das Landesparlament gewählt und kümmert sich vorwiegend um Integrationspolitik.

„Ohne drastische Formulierungen dringt man ja gar nicht mehr durch“, begründet Blandow-Schlegel im Gespräch mit der taz ihre Tonlage in ihrem Brief an die „liebe Genossin Andrea“. Tatsächlich würden doch andere durch ihre Wortwahl Menschen ausgrenzen, findet sie: „Ein Gefängnis bleibt ein Gefängnis, auch wenn es Transitzentrum heißt.“ Deshalb dürfe die SPD-Spitze sich nicht von der Union erpressen lassen.

Und wenn darüber die Große Koalition platzen sollte, könnten SPD, Grüne und auch die Linken sich neu aufstellen: „Dann haben wir die Chance, einen ‚Marshallplan‘ für Afrika zum Inhalt unserer Politik zu machen, dann können wir die Millionen von Euro für Frontex als Investitionen zur Bekämpfung von Fluchtursachen verwenden“, hofft Blandow-Schlegel: „Lasst es uns endlich offensiv angehen und Migration nicht zur Abwehrpolitik verkommen lassen“, so ihr Appell.

Ähnlich wie sie argumentiert Tjark Bartels, SPD-Landrat des niedersächsischen Landkreises Hameln-Pyrmont. Er kritisiert in einen offenen Brief an Nahles, dass die SPD-Spitze CDU und CSU allein verhandeln ließ, „um am Ende jedem Kompromiss zustimmen zu müssen“. Die Partei in diese Zwangslage gebracht zu haben, „ist Verantwortungsverweigerung“, attestiert er seiner Parteiführung.

Der Rechtsruck des gesamten Parteienspektrums sei eine Antwort auf einen von rechts geführten Diskurs, der wenig mit Fakten zu tun hat, sondern mit Ängsten, schreibt der 49-Jährige. „Warum verteidigen wir nicht, was wir gut und richtig gemacht haben?“, fragt er. Selten sei es diesem Land besser gegangen als jetzt, die Kriminalität auf dem niedrigsten Stand seit 35 Jahren, nie sei so viel Geld in Schulen und Kindergärten investiert worden und nie waren wir so entwickelt in Fragen der individuellen Rechte, zählt Bartels auf: „Erfolgreich sind wir nicht obwohl, sondern weil wir ein offenes und freies Land sind“, so sein Fazit.

Im Schleswig-Holsteinischen Landtag steht derweil SPD-Partei- und Fraktionschef Ralf Stegner vor der ungewohnten Situation, sich von links überholen lassen zu müssen. „Die CSU hat nicht nur eine Koalition, sondern ein ganzes Land in Geiselhaft genommen“, poltert er gewohnt martialisch und spricht von einem „absurden Schmierentheater“.

Engagierte Anwältin

Hendrikje Blandow-Schlegel, 56, lebt mit Mann und drei Kindern in Harvestehude, einem der reichsten Stadtteile Hamburgs an der Außenalster. Die Fachanwältin für Familienrecht ist seit 1982 Mitglied der SPD und seit 2015 Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft.

2014 gründete Blandow-Schlegel zusammen mit anderen AnwohnerInnen die Flüchtlingsinitiative Harvestehude e. V., Anlass war der Einzug von 190 Flüchtlingen in ein leer stehendes Verwaltungsgebäude der Bundeswehr im Stadtteil.

Mehrere Nachbarn hattengegen die Flüchtlingsunterkunft geklagt, auch wegen des befürchteten Wertverlustes ihrer Villen. Blandow-Schlegel nannte das damals falsch, unmoralisch und lebensfremd.

Die Sozialdemokraten würden die Asyleinigung der Union nun prüfen, sagt Stegner, der auch stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD ist. Klar sei aber: „Geschlossene Massenlager an der Grenze, wie sie sich die CSU erträumt, wird es mit der SPD nicht geben.“

Mit der schleswig-holsteinischen CDU aber auch nicht: „Wir wollen offene Grenzen“, stellt CDU-Ministerpräsident Daniel Günther klar. Die bisherigen Ergebnisse in Berlin nennt er „eine Scheinlösung“. Günther hält die Behauptung der CSU für „Irrsinn, dass der Rechtsstaat in Deutschland nicht funktioniere“. Wer so rede, „macht ein Konjunkturprogramm für Populisten“, sagt der Ministerpräsident – und selbst Oppositionsführer Stegner klatscht Beifall.

Bartels und Blandow-Schlegel sind derweil schon arg auf Distanz zu ihrer Partei. „Ich habe im März noch dafür geworben, dass die SPD in die Große Koalition einsteigt. Ich bereue dies wirklich von ganzem Herzen“, schreibt der Landrat. Und die Bürgerschaftsabgeordnete denkt über ihre persönliche Schmerzgrenze nach: „Ich werde“, teilt sie ihrer Bundesvorsitzenden Nahles mit, „nicht Teil einer Abschiebeindustrie sein.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen