: Daimler gerät in Dieselstrudel
Wirtschaft nach Rückruf für 770.00 Mercedes in Sorge um Autostandort. Ungemach droht aus den USA
Von Kai Schöneberg
Nach der Ausweitung der amtlichen Rückrufe auf Daimler warnen Wirtschaftslobbyisten und Teile der Politik vor Schaden für den Autostandort Deutschland. „Die Dieselaffäre und Fahrverbote verunsichern große Teile der deutschen Wirtschaft“, sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer. Die Grünen kritisierten die Rückrufaktion von Daimler-Dieseln am Dienstag als „Show“.
Fast drei Jahre nach dem Bekanntwerden des VW-Dieselskandals hatte Daimler-Chef Dieter Zetsche am Montag eine herbe Schlappe einstecken müssen: CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer ordnete wegen unzulässiger Abgastechnik den Rückruf von 238.000 Mercedes in Deutschland an; europaweit sind 774.000 Fahrzeuge betroffen. Ein Bußgeld ist aber nicht vorgesehen, auch eine Hardware-Nachrüstung fordert Scheuer nicht.
Während das Ministerium die von Daimler verwendeten Abschalteinrichtungen nun für illegal erklärt, hält das Unternehmen sie weiter für legal und will rechtliche Schritte gegen den Rückruf einleiten. Der Vorgang könnte für Daimler noch teuer werden. Auch in den USA fordern Mercedes-Besitzer bereits Schadenersatz von Daimler.
Bereits vor zwei Wochen hatte das Scheuer unterstellte Kraftfahrtbundesamt erstmals offiziell den Vorwurf erhoben, auch die Stuttgarter hätten eine unzulässige Abschalteinrichtung verwendet, um den Schadstoffausstoß ihrer Fahrzeuge auf dem Prüfstand zu senken. Von 5.000 Exemplaren des Kleintransporters Vito war zunächst die Rede. Nun hat sich der Vorwurf der Abgasmanipulation auf häufig verkaufte Mercedes-Modelle ausgedehnt. Betroffen sind laut Ministerium der Geländewagen GLC 220d und ein Modell der C-Klasse (C 220d). Bis auf wenige Ausnahmen sind die Autos nach Konzernangaben in den drei Millionen Dieseln enthalten, für die Daimler im vergangenen Juli freiwillig ein Software-Update angekündigt hatte. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt bereits seit über einem Jahr wegen des Verdachts des Betruges und der strafbaren Werbung gegen Daimler-Mitarbeiter. Im Mai 2017 durchsuchten Ermittler bereits Standorte des Autobauers.
Streitpunkt ist das sogenannte Thermofenster, das die Abgasreinigung in Abhängigkeit von der Außentemperatur abschaltet – bei Daimler unterhalb von 10 Grad. In Deutschland, wo die Durchschnittstemperatur bei 8,5 Grad liegt, sind viele Diesel damit deutlich schmutziger als angegeben. Laut der Deutschen Umwelthilfe überschreitet ein Mercedes C-Klasse 250d bei unter 6 Grad Celsius den NOX-Grenzwert auf der Straße um das bis zu 13-fache.
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