: First we take Munich, than we take Düsseldorf
Noch vor der Sommerpause will NRW-Innenminister Herbert Reul sein scharfes Polizeigesetz durch den Landtag peitschen – doch der Protest wächst
Aus Köln und Düsseldorf Andreas Wyputta
In Nordrhein-Westfalen gerät das geplante, die Freiheitsrechte aller BürgerInnen massiv einschränkende Polizeigesetz von CDU-Innenminister Herbert Reul immer stärker in die Kritik. Für den 7. Juli ruft das von über 100 Organisationen getragene Bündnis „Nein zum neuen Polizeigesetz NRW“ zu einer Großdemonstration nach bayerischem Vorbild in Düsseldorf auf. Auch Linke und Grüne unterstützen das Bündnis.
„Wir haben erst einmal 10.000 TeilnehmerInnen angemeldet“, sagte der Gewerkschafter Nils Jansen am Mittwoch in Köln – der Verdi-Mann ist einer der Sprecher des Bündnisses. „Aber wir können jederzeit nachlegen, damit Polizei und Politik nicht in Ohnmacht fallen.“ In München waren im Mai mehr als 30.000 Menschen gegen das dortige „Polizeiaufgabengesetz“ auf die Straße gegangen.
Reuls von der FDP-Landtagsfraktion mitgetragener Entwurf will den Begriff einer „drohenden Gefahr“ ins Gesetz bringen. Auf bloße Vermutung hin soll es der Landespolizei damit erlaubt werden, jedeN bis zu 7 Tage in Unterbindungsgewahrsam zu nehmen – bisher war Vorbeugehaft maximal 48 Stunden erlaubt. Wird der Gefährder als „terroristisch“ eingestuft, soll ein Monat Gewahrsam möglich sein. Außerdem plant die schwarz-gelbe Koalition von CDU-Ministerpräsident Armin Laschet die massive Ausweitung von Video-, Telefon- und Internetüberwachung etwa durch Staatstrojaner.
Zusätzlich sollen „Aufenthaltsgebote“ und „Kontaktverbote“ durch elektronische Fußfesseln überwacht werden. Erlaubt werden sollen auch die Schleierfahndung und der Einsatz von Elektroschockpistolen. Als Testgebiet für diese „Taser“ ist offenbar die Region um Kerpen vorgesehen, wo es oft zu Protest von KlimaaktivistInnen gegen die dortigen Braunkohletagebaue Garzweiler und Hambach kommt. „Den Rechtsstaat vernichten kann nur der Gesetzgeber – und er ist auf dem besten Weg dahin“, warnt der Kölner Strafrechtler Christian Mertens vom Bündnis gegen das Polizeigesetz.
Entsprechend kritisch fielen die Stellungnahmen vieler Fachleute für eine Anhörung durch den Landtags-Innenausschuss am Donnerstag aus. Für Amnesty International kritisierte die Juristin Maria Scharlau, der Begriff der „drohenden Gefahr“ sei zu unbestimmt definiert: „Jeder Mensch“ müsse wissen, „durch welches Verhalten er oder sie sich strafbar macht“. Der „polizeiliche Gewahrsam“ sei nach „menschenrechtlichen Maßstäben im Gefahrenvorfeld unzulässig“, findet auch der Münchner Richter Markus Löffelmann. Die Deutsche Polizeigewerkschaft mahnt eine klarere Unterscheidung zwischen Kriminalität und Terror an.
Die Landesdatenschutzbeauftragte Helga Block warnt, das Polizeirecht solle „mehr und mehr dem Recht der Nachrichtendienste angeglichen werden“. Überhaupt werde das Tempo, mit dem Reul sein Gesetz noch vor der Sommerpause Mitte Juli durch den Landtag peitschen will, „der Relevanz der Thematik nicht gerecht“.
Dabei sind NRW und Bayern keine Einzelfälle: Lediglich in Thüringen ist keine Verschärfung des Polizeigesetzes geplant – im grün-schwarzen Baden-Württemberg ist sie dagegen bereits beschlossen, im rot-schwarz regierten Niedersachsen in Arbeit. Ein bundesweit einheitlicher Entwurf aber fehlt.
Immerhin: In NRW prüfen die Landtagsfraktionen von SPD und Grünen bereits den Gang vor das Landesverfassungsgericht. Selbst in der FDP gibt es Widerstand: Auch deren Ex-Minister Gerhart Baum und Burkhard Hirsch kündigten Klagen an, sollte Schwarz-Gelb nicht nachbessern.
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