Gescheiterte „Akademie Kannenberg“: Teure Insolvenz – für die Stadt
Die Sozialbehörde hat einen Vergleich mit dem Insolvenzverwalter der „Akademie Kannenberg“ ausgehandelt – und bleibt auf vier Millionen Euro sitzen.
„Bitter“ sei der Verlust des Geldes, sagte Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne), aber so werde der Schaden für Bremen immerhin begrenzt. Im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung um die Forderungen Bremens an Kannenberg und die Gegenforderungen von ihm hätten es bis zu 4,8 Millionen Euro werden können. Bremen, sagt Stahmann, hätte im Herbst 2017 Forderungen von Kannenberg von über drei Millionen Euro nicht ausgezahlt, sondern mit Außenständen der „Akademie Lothar Kannenberg“ verrechnet. Ein solches Vorgehen sei rechtlich umstritten und hätte deswegen möglicherweise vor Gericht gekippt werden können.
Der Zeitpunkt bleibt unklar
Ebenfalls „nicht dienlich“ wäre es laut dem von der Sozialbehörde hinzugezogenen Anwalt Jens-Uwe Nölle, wenn im Rahmen eines Verfahrens danach gefragt werde, zu welchem Zeitpunkt klar gewesen sei, dass Kannenberg zahlungsunfähig war. Die CDU-Abgeordnete Sandra Ahrens hatte in der Deputation zuvor wissen wollen, ob sich die Sozialbehörde möglicherweise der Beihilfe zur Insolvenzverschleppung schuldig gemacht haben könnte.
Genauso wie Sofia Leonidakis (Linke) kritisierte sie, dass Kannenberg nur einen Monat vor der Insolvenz noch 170.000 Euro erhalten habe – zu einem Zeitpunkt, als der Sozialbehörde längst bekannt war, dass er die an ihn geleisteten Vorschüsse offenbar nicht zurückzahlen kann.
Das geht aus einem Revisionsbericht hervor, der „behördeninterne Verfahrens-, Entscheidungs- und Zeitabläufe im Zusammenhang mit der Finanzierung der Jugendhilfeeinrichtungen der Akademie Lothar Kannenberg“ (AKLK) unter die Lupe genommen hat: Es sei festzustellen, heißt es da, „dass es bereits zu Beginn des Jahres 2017 erste Zweifel an der wirtschaftlichen Solidität der AKLK gab und es wünschenswert gewesen wäre, wenn diesen in stärkerem Umfange nachgegangen worden wäre“.
Stattdessen hätten sich die zuständigen Verwaltungsmitarbeiter im Frühjahr 2017 monatelang Zeit gelassen, um bei Kannenberg die Rückzahlungen von Vorschüssen der Sozialbehörde einzutreiben: „Die Tatsache, dass innerhalb von fast fünf Monaten lediglich eine Erinnerungsmail verfasst wurde, ist für die Innenrevision nicht nachvollziehbar und als Versäumnis zu werten“, schreiben die Prüfer und: „Durch das abwartende und nur inkonsequent einfordernde Verhalten der senatorischen Behörde hinsichtlich der Rückzahlungen der Abschläge konnte der Träger eine drohende Insolvenz mehrere Monate hinauszögern.“
Cindi Tuncel, Die Linke
Dass die Behörde Kannenberg stärker hätte im Auge behalten müssen, befand nicht erst die Innenrevision: Bereits im vergangenen November, kurz nach seiner Insolvenz, sagte die CDU-Abgeordnete Sigrid Grönert in Richtung Sozialsenatorin: „Vielleicht war Kannenbergs Wagemut und Pragmatismus damals gut, aber er war völlig unerfahren – und das hätte Sie wachsam machen müssen.“ Kannenberg habe unverhältnismäßig viel Geld ausgegeben und offenbar auch seine Mitarbeiter besser bezahlt als andere: „Er hat anderen Einrichtungen die Mitarbeiter regelrecht abgeworben“, so Grönert.
Wagemutig gab Kannenberg sich damals in der Tat: Denn ohne pädagogische Kompetenz, ohne Erfahrung mit Jugendhilfe in großem Stile und ohne eine Kenntnis der wirtschaftlichen Risiken eines so großen Unterfangens erklärte er sich 2015 bereit, den größten Teil der in Bremen angekommen minderjährigen Geflüchteten unterzubringen und zu betreuen.
Bereits im Jahr 2014 war der ehemalige Boxer und Ex-Junkie nach Bremen gekommen, um ein Dutzend straffällig gewordener, minderjähriger Geflüchtete zurück auf den rechten Weg zu bringen – mit fragwürdigen Methoden. Kannenberg setzte auf einen rauen Umgangston, klare Männlichkeitsbilder und das Prinzip der Kollektivstrafe. Die Jugendlichen sollten in Bremen „Strukturen und Werte lernen“ durch „viel Sport bis zur Erschöpfung“ und „einem straffen Programm zwischen 6 und 22 Uhr“, wie es hieß.
Mäßiger Erfolg
Das hat nicht sonderlich gut funktioniert, das Haus war nie voll belegt und einige Jugendliche wuchsen selbst Kannenberg so über den Kopf, dass er sie in andere Einrichtungen gab. Nichtsdestotrotz: Im Jahr 2015, als rund 1.600 Plätze für unbegleitete, minderjährige Geflüchtete geschaffen werden mussten, hat Kannenberg davon 40 Prozent übernommen.
„Wir hatten keine Alternative“, sagte Stahmann in der Deputation am Donnerstag und erntete dafür Gegenwind von dem Linken-Abgeordneten Cindi Tuncel. Es habe durchaus andere Träger gegeben, die sich bereiterklärt hätten, minderjährige Geflüchtete aufzunehmen, sagte er: „Aber ich hatte den Eindruck, Kannenberg hatte so etwas wie einen Freifahrtschein.“
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