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Neuseeland steckte tief in ihren Knochen

NEUSEELAND 1 Die Schriftstellerin Katherine Mansfield, Meisterin der Short Story, war eine sarkastische Beobachterin. Pünktlich zur Frankfurter Buchmesse, die in diesem Jahr ihr Geburtsland zu Gast hat, kann man sie neu entdecken

Neuerscheinungen von Katherine Mansfield

■ „Sämtliche Erzählungen in zwei Bänden“. Aus dem Englischen von Elisabeth Schnack. Diogenes Verlag, Zürich 2012, 912 Seiten, 45,90 Euro

■ „Glück und andere Meistererzählungen“. Aus dem Englischen von Elisabeth Schnack. Diogenes Verlag, Zürich 2012, 400 Seiten, 9,90 Euro

■ „In einer deutschen Pension“. Aus dem Englischen von Ute Haffmans. Zweitausendeins Verlag, Frankfurt am Main 2011, 192 Seiten, 9,95 Euro

■ „Ich will die Dinge auf die Spitze treiben!“ Erzählungen. Gelesen von Elke Heidenreich. Random House Audio, München 2012, 2 CDs, ca. 115 Minuten, 9,99 Euro

VON JENNI ZYLKA

Neuseeland muss ein denkwürdiger Ort sein. Bevor die Polynesier den Inselstaat besiedelten, gab es dort keine Säugetiere, stattdessen jede Menge gemütlich-dickliche, flugunfähige Vögel. Neben Englisch und Maori ist die Neuseeländische Gebärdensprache seit sechs Jahren Amtssprache. Die gesamte Inselgruppe erstreckt sich über vier verschiedene Zeitzonen und liegt mit einem Teil auf der australischen, mit dem anderen auf der pazifischen Kontinentalplatte. Und weil vielen Menschen zu neuseeländischer Kultur ausschließlich Peter Jackson oder „Das Piano“ einfallen, ist das eigenwillige Land in diesem Jahr Ehrengast bei der Frankfurter Buchmesse.

Katherine Mansfield, die ihre Heimatstadt Wellington 1903, mit 15 Jahren, verließ, um in England zu studieren, wollte vor allem in ihren letzten Jahren eigentlich wieder auf die grünen Inseln zurückkehren: „Neuseeland steckt tief in meinen Knochen“, schrieb sie am Ende ihres kurzen Lebens. Da war sie bereits an Tuberkulose erkrankt, hustete und reiste auf der Suche nach Genesung durch Europa. Sie starb 1923, 34-jährig, in einem ehemaligen Schloss bei Paris, wo ein esoterischer Wunderheiler namens Georges I. Gurdjieff, ein Glatzkopf mit beeindruckend gezwirbeltem Bart und wirren Ideen, das „Institut für die harmonische Entwicklung des Menschen“ führte.

Sprung ins Geschehen

Zuvor hatte Mansfield 73 Kurzgeschichten geschrieben, von denen 13 im Jahr 1911 in einem Sammelband mit dem Titel „In einer deutschen Pension“ veröffentlicht und in den literarischen Zirkeln der Welt vergnügt und bewundernd goutiert wurden. Man fand ihren knappen, unverschnörkelten Stil modern, ihre Themen waghalsig – meist ironisierte sie die Sitten der sogenannten Gesellschaft, außerdem waren ihre Heldinnen oft jung, frech, selbst- und sehnsüchtig – und das Format neu und aufregend. Mansfield selbst dagegen hatte sich von den meisten dieser frühen Werke distanziert, weil sie sie als „viel zu unreif“ erachtete.

Das steht im Klappentext eines zur Buchmesse erschienenen Hörbuchs mit dem Titel „Ich will die Dinge auf die Spitze treiben“, das fünf ihrer bekanntesten Erzählungen, gelesen von Elke Heidenreich, enthält. Die bodenständige, zart westfälisch gefärbte Stimme, die Heidenreich den satirischen Geschichten gibt, bildet einen hübschen Kontrast zum Inhalt. Denn viele von Mansfields Storys beobachten scharf, wie absurd die Etikette und die gesellschaftlichen Spielregeln in den 10er Jahren des letzten Jahrhunderts waren.

Wenn Heidenreich in „Deutsche bei Tisch“ den polterigen Herrn Rat spricht, der der Ich-Erzählerin beim gemeinsamen Essen ihre angeblich unsinnigen englischen Tischgewohnheiten wie das Anwärmen der Teekanne vorwirft und sich dabei die Suppenspritzer aus dem Schnauzbart wischt, dann bollert Heidenreich ebenfalls angemessen. „Nun, um 9 mache ich mir ein englisches Frühstück, aber nicht viel: vier Scheiben Brot, zwei Eier, zwei Scheiben kalten Schinken, einen Teller Suppe, zwei Tassen Tee – für Sie ist das ja so gut wie nichts!“

Mansfields Erzählungen, die größtenteils zunächst in modernistischen Literaturmagazinen erschienen, leben durch ihren wenig blumigen, schlichten Stil und den Sprung mitten ins laufende Geschehen, mit dem die Autorin stets begann. Die Protagonistinnen sind nicht selten verwöhnte Frauen, die zwischen Launenhaftigkeit und Drama schwanken, die unter den herrschenden Geschlechterverhältnissen leiden und deren eigentliche Konflikte hinter klirrendem Kommunizieren verborgen sind.

Mansfields literarischen Einflüsse kamen spätestens 1951 ans Licht, als, Jahre nach ihrem Tod, britische LeserInnen plötzlich auf die verwunderlichen Ähnlichkeiten zwischen Mansfields Erzählung „Das-Kind-das-müde-war“ (die 1910 im New Age-Magazin veröffentlicht wurde und ihre erste Zusammenarbeit mit dem legendären Literaturredakteur A. R. Orange darstellte) und Tschechows bereits 1888 erschienenen, bedrückenden Geschichte „Schlafen“ aufmerksam wurden. Hier wie da geht es um ein furchtbar müdes Mädchen, das, konfrontiert mit nie endender Hausarbeit und ungnädigen Eltern, das ihr in die Obhut befohlene Baby mit einem Kissen erstickt, um endlich den lang ersehnten Schlaf zu finden.

„Weniger echte Mansfield, mehr echter Tschechow“, kommentiert diese einmalige Tatsache der Herausgeber eines Mansfield-Sammelbands mit – im Jahr 2006 – neu übersetzten Kurzgeschichten, die im Zweitausendeins-Verlag erschienen. Die Erzählungen gehen auf einen Aufenthalt Mansfields 1909 im bayerischen Bad Wörishofen zurück, bei dem die im fünften Monat Schwangere eine Fehlgeburt erlitt.

Nötig wäre eine andere Übersetzung nicht gewesen, hübsch ist das Buch mit vielen Anmerkungen und einem langen Nachwort dennoch. Nicht nur jene Plagiatsvorwürfe zu „Das-Kind-das-müde-war“ werden im Büchlein erwähnt, sondern auch ihre angeblich während des Bayern-Aufenthalts entstandene Beziehung zu dem polnischen Autor Floryan Sobieniowski, der sie anderen Quellen zufolge später sogar mit ihren an ihn geschriebenen Liebesbriefen erpresste.

Die sarkastischen Beobachtungen, die von einer damals zutiefst traurigen jungen Frau festgehalten worden waren, zeigen eine Intellektuelle ihrer Zeit. Eine, die es in Ordnung findet, als höhere Tochter und – nach ihrem Selbstverständnis – „wahre Künstlerin“ eine lange Weile vom Geld ihrer Eltern zu leben und für die auch die noch stark tabuisierten Themen Sexualität und Gender dazugehörten: In „Bei Lehmann“ flirtet die naive Caféangestellte Sabina mit einem jungen Mann, während die von ihr verachtete und durch die Schwangerschaft schwer gewordene Cafébesitzerin eine Etage höher ein Kind bekommt.

„Geburt – was war das? fragte sich Sabina. Tod – das war einfach.“ „Von jugendlicher Bitterkeit“ seien ihre Geschichten geprägt gewesen, sagt die Autorin später. Und schrieb in einem Brief an den Vater ihres verlorenen Kindes, mit dem sie nie zusammen war, dass sie das Mittelmaß nicht ertragen könne. Kurz vorher hatte sie ihren viel älteren Gesangslehrer geheiratet, ihn jedoch bereits in der Hochzeitsnacht wieder verlassen.

Mansfield konnte nach der Fehlgeburt in Deutschland keine Kinder mehr bekommen. Sie litt sehr unter dem Tod ihres einzigen Bruders, der 1915 im Krieg fiel, heiratete später den Essayisten John Murry und lebte weiter als selbstbewusst prätentiöse Künstlerin unter anderen KünstlerInnen in Europa. Die immer wieder durch Diskussionen geprägte Freundschaft mit D. H. Lawrence und seiner Frau Frieda war für das Pärchen sehr wichtig und wurde durch gemeinsame Ferienaufenthalte zementiert.

Eine feministische Autorin

Auch ihre Jugendfreundin Ida Baker begleitete sie ihr ganzes Leben – die Südafrikanerin war dabei, als Mansfield am Ende ihr Wunderheil in Frankreich suchte. Baker selbst, so heißt es, brach nach dem Tod ihrer Freundin zusammen und litt bis an ihr Lebensende darunter, die begabte Autorin zum Mittelpunkt ihres eigenen Lebens gemacht zu haben, der ihr nun schmerzhaft fehlte. Ida Baker schrieb Ende der 40er Jahre eine von zahlreichen Biografien über Mansfield, zerstritt sich danach allerdings so sehr mit Mansfields Witwer Murry, dass die beiden nie wieder ein Wort miteinander wechselten.

Der Einfluss dieses kurzen Lebens scheint auf literarischer und emotionaler Ebene enorm gewesen zu sein, und ihr trauriges Krankheitsschicksal, zusammen mit eindringlichen Fotos einer ernsten jungen Frau mit exakt geschnittenem, kurzem Bob, mögen zu ihrem anhaltenden Bekanntheitsgrad vor allem als „feministische Autorin“ beigetragen haben.

In dem soeben erschienenen Buch von Jenny Erpenbeck, „Aller Tage Abend“, spielt die Berlinerin mit der Idee, wie unterschiedlich man einen Menschen im Rückblick wahrnähme, wenn er zu anderen Zeitpunkten stürbe. Im Falle von Katherine Mansfield hätte man gern ein Spätwerk gesehen. Einen Roman, ein Buch, durch die man sie vielleicht noch besser, länger, ausgeglichener kennengelernt hätte. Die Zeit dazu hatte sie leider nicht.

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