piwik no script img

Die WahrheitScooterman verliert einen Nachbarn

Kolumne
von Knud Kohr

Plötzlich wird ein Bekannter weggebracht. Vielleicht in ein Heim oder irgendwohin, wo er sein Zimmer niemals mehr auf Dauer verlassen wird.

G erade an den Gestaden der Spree, wo der Scooterman in einer gänzlich barrierefreien Behindertenwohnung lebt, kann man sich auf das Gehen der Menschen nur selten so vorbereiten, wie es eigentlich angemessen wäre. Meistens kündigt sich das Gehen eines Nachbarn nämlich völlig profan an. Dann steht ein Lieferwagen an der Straße, in den ein Fahrer und ein paar eilends zusammengekarrte Verwandte des Gehenden dessen weltlichen Besitz einladen.

Haben Sie sich eigentlich jemals Gedanken darüber gemacht, wie wenig Besitz von Ihnen übrig bleiben wird? Machen Sie das besser nicht. Ganz trübsinnig kann einen das machen. Vor allem sollte man zügig verdrängen, wohin die Fahrt geht. Nicht selten nämlich endet sie in einem Heim oder einem vergleichbaren Ort, wo der ab sofort ehemalige Nachbar des Scooterman in irgendein Zimmer gelegt wird, das er niemals mehr auf Dauer verlässt. Es sei denn, er heißt Uma Thurman und spielt die Hauptrolle in „Kill Bill“. Und auch mit der möchte man eigentlich nicht tauschen. Immer diese Schlägereien mit diesen Japanern.

Neulich stand ein Transporter drei Eingänge von demjenigen entfernt, hinter dem sich auch die Wohnung des Scooterman befindet. In ihn geladen wurden ein paar Kartons, die Herrn Elias gehören. Der in Wirklichkeit ganz anders heißt. Aber wer so kühl aus der Gemeinschaft aussortiert wird, der soll sich wenigstens an einem warmen Namen laben können. Findet jedenfalls der Scooterman.

Also schob er sich zwischen den Wagen und seinen Nachbarn. Der wirkte überfordert. Man muss ihm allerdings zugute halten, dass er 88 Jahre alt ist. Schwerbehindert durch eine Kinderlähmung, ließ er sich nicht abhalten, sein Leben lang täglich mehrere Kilometer an seinen beiden Stöcken durch die Gegend zu spazieren. Erst der Tod seiner Frau vor drei Jahren schien ihm den Lebensmut zu nehmen. Seitdem grüßte er nur flüchtig im Vorübergehen. Zu längeren Gesprächen kam es eigentlich nur noch, wenn er dem Scooterman eine seiner Luftpumpen lieh. Die Reifen des Handrollstuhls verloren nämlich kontinuierlich Luft. Bis an energisches Bremsen nicht mehr zu denken war.

So. Nun wird Scooterman noch ein bisschen auf seinen Balkon rollen. Und in einer Stunde wird er sich subkutan sein Mittel gegen die Multiple Sklerose spritzen. Etwas später wird er dann von den Nebenwirkungen wieder blöd im Kopf werden. Hoffentlich nicht ganz so schlimm wie vor zwei Tagen. Da war er sich nämlich so sicher, dass er vom Spätdienst noch um 180 Grad gedreht werden müsste, dass er Streit mit den Helfern anfing. Den überarbeiteten Helfern blieb nichts anderes über, als ihn telefonisch auf eine Bereitschaftsliste zu setzen. Hätte er in dieser Nacht um Hilfe gebeten, wäre die flink angerückt. War aber nicht nötig. Genau wie der ganze Streit. Der Scooterman ist schließlich nicht Uma Thurman und prügelt sich dauernd mit Japanern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Zitat: „Der Scooterman ist schließlich nicht Uma Thurman und prügelt sich dauernd mit Japanern.“

     

    Da hat er großes Glück gehabt, der Scootermann! Mehr Glück als Verstand vermutlich. Es ist schließlich nicht sein Verdienst, dass er ersten keine Frau und zweitens keinem Quantin Tarantino in die Hände gefallen ist.

     

    Gäbe es viele Frauen, die dringend Mitglied in einem Attentatskommando werden mussten, um anschließend, nur weil sie versehentlich schwanger geworden sind, ebenso dringend aus dem Kommando wieder auszusteigen, hätte der Möchtegern-Westernheld Tarantino vermutlich nicht einen rostigen Heller verdient an dieser haarsträubenden Story. Besser wäre es gewesen, finde ich. Für alle Beteiligten übrigens.

     

    By the way: Hat Uma Thurman eigentlich schon #MeToo getwittert? Ich meine: Ohne zugleich den Namen Weinstein zu verwenden?