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Kolumne Ausgehen und rumstehenZukunftsschock mit Schubumkehr

Kommt Techno aus Holland oder aus Detroit? Ab wann macht die Hitze Spaß? Fragen und Antworten zum Auftritt von Model 500 im Berliner HAU

Juan Atkins mit Model 500, aber nicht im Berliner Hebbel. Da wollte er nicht fotografiert werden Foto: Hebbel am Ufer

In der Kulturredaktion steht die Hitze. Südseite, vierter Stock. Es fühlt sich an, als laufe man gegen eine Wand, wenn man den Raum betritt. An konzentriertes Arbeiten ist nicht zu denken. Man verliert den Faden. Man kann keinen klaren Gedanken fassen. Man fragt sich, warum man hier sitzt und nicht draußen. Im Kopf der Falco-Refrain: „Es ist zu heiß für mich in dieser Stadt. Hier ist zu viel weiß, ich sehe mich nicht satt. Es hat zu viel Hitze und da friere ich. Diese Stadt hat nichts für mich und dich!“ Das war Wien, so herrlich hin, im Jahr 1982. Ein heißkalter Planet weit weg von uns.

In Berlin 2018 lässt sich die Hitze nach Sonnenuntergang genießen. Umhüllt von warmer Luft sitzen wir mit nackten Beinen draußen herum, bis tief in die Nacht vor dem WAU. Am Nebentisch ist halb Detroit, halb Tresor und halb Hardwax versammelt. Wir haben gar keinen Tisch. Ein paar Stühle, wer braucht mehr. Ein kaltes Bier, einen Fächer vielleicht. Mo hat einen und wedelt sich Luft zu.

Bootlegs in Chicago

Das ist die Elektro-Ecke, was man an den Elektro-T-Shirts von Mo und Udo sehen kann. Weil das Elektro so legendär ist, gab es eine Zeit lang Bootlegs des Shirts in Chicago zu kaufen, erkennbar an der braunen Farbe, sagt Mo. Die Originale aus der Mauerstraße waren erst grün, dann schwarz. Ich hatte des Morgens kurz überlegt, meines auch anzuziehen.

Die Sache mit den T-Shirts ist vielleicht nur eine Fußnote, aber jetzt kommt sie halt noch mal hoch anlässlich des musikgeschichtlichen Seminars um uns herum. Die Verschwisterung von Detroit und Berlin, one nation under one groove, ist das Thema am Hebbel am Ufer. Hauptact des kleinen Festivals ist Model 500, das einflussreichste musikalische Projekt von Juan Atkins.

Der Originator, der Innovator und der Elevator

Juan Atkins gilt als der Originator, Derrick May als der Innovator und Kevin Saunderson als der Elevator von Detroit Techno. Die heilige Dreifaltigkeit hatte sich auf der High School von Belleville zusammengefunden, dreißig Kilometer vor der großen, heißen Stadt. Belleville klingt wie eine Zukunftsstadt in einem eiskalten Film von Godard, war aber wohl beschaulicher.

Model 500 inszenieren sich als cooles schwarzes Kraftwerk

Jetzt steht der Originator mit zwei Kollegen auf der Bühne des ehrwürdigen Hebbeltheaters. Die Bestuhlung wurde entfernt, man kann also tanzen. Das mache ich auch, trotz der selbst hier im dunklen Theaterraum herrschenden Hitze, um dem Originator die Ehre zu erweisen, sonst kann man ja auch gleich daheim bleiben.

Cooles schwarzes Kraftwerk

Model 500 inszenieren sich als cooles schwarzes Kraftwerk. Der Originator in Weiß in der Mitte, die beiden etwas jüngeren Kollegen rechts und links hinter ihm in Schwarz. Sie stehen vor Pulten und bedienen Keyboards, Laptop und ein paar andere Maschinen. Den älteren Stücken hört man an, dass sie aus einer Zeit stammen, als der junge Juan nicht nur Kraftwerk und Parliament, sondern auch europäischen Synthiepop gehört hat.

Obwohl Model 500 wirklich Model 500 sind, fühlt es sich trotzdem wie ein Reenactment an. Zukunftsschock mit Schub­umkehr. Das stört die jungen Menschen nicht, die frisch geduscht um mich herum tanzen und miteinander in unterschiedlichen Sprachen sprechen. Warum auch, es macht ja Spaß, und man lernt was dabei.

Alles naar de kloote?

Denn es gibt, wie ich später am Abend höre, Leute, die allen Ernstes glauben, Techno komme aus Holland. Was mich an mein DJ-Set in der Anna Loulou Bar zu Jaffa erinnert, die an jenem Abend von einem Bus voller niederländischer Teenager gestürmt wurde, die noch vor dem Bestellen des ersten Biers nachdrücklich Musik aus Holland gefordert hatten. Alles naar de kloote, oder was?

Wenn sie in der levantinischen Hafenstadt zu holländischer Musik tanzen wollten, hätten sie das Konzept des Reisens wohl nicht verstanden und wären besser zu Hause geblieben, sagte ich genervt. Außerdem, sagte ich weiter, um die Cretins richtig zu ärgern, werde auf Wunsch der Anna-Loulou-Raver heute Musik aus Berlin gespielt! Ließ mich dann aber erweichen und legte Sachen wie „Freestyler“ von den Bomfunk MCs auf, die sie abfeierten.

Bin abgeschweift. Es ist immer noch zu heiß für mich in dieser Stadt.

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