Neuer Ministerpräsident in Italien: Eingequetscht an der Macht
Giuseppe Conte ist politisch unerfahren. Der Technokrat könnte zum reinen Exekutor der Entscheidungen der Populisten werden.
Der 54-jährige Conte ist Jura-Professor an der Uni Florenz, spezialisiert auf Privatrecht, hoch angesehen unter seinen Kollegen. Ansonsten aber ist er vor allem eines: einer breiteren Öffentlichkeit völlig unbekannt. Nie in seinem Leben bekleidete er ein politisches Amt, und sei es auch nur das eines Bezirksbürgermeisters, nie führte er eine größere Behörde.
Wie schon bei ihrem Regierungsprogramm – massive Steuersenkungen bei gleichzeitigem großzügigem Ausbau des Sozialstaats – versuchen die Koalitionspartner sich so auch bei der Personalauswahl der Regierung an der Quadratur des Kreises. Gewiss, Technokraten an der Spitze des Kabinetts hat Italien schon öfter gesehen, zuletzt Mario Monti in den Jahren 2011 bis 2013. Monti allerdings hatte eine komplette Technokratenregierung hinter sich, die Parteien mussten draußen bleiben. Diesmal ist es völlig anders: Der parteilose Technokrat Conte soll eine Parteienregierung führen, und die beiden Parteichefs Di Maio und Salvini sollen ihm als Vizepremiers zur Seite stehen.
Geboren wurde diese Lösung aus der Not. Eigentlich war Di Maio als Führer der stärkeren politischen Kraft im Bündnis – das M5S hatte 32,7 Prozent bei den Wahlen geholt – auf den Posten des Regierungschefs scharf. Bei Salvini – dessen Lega mit 17,4 Prozent der Juniorpartner ist – biss er damit jedoch auf Granit: Salvini fürchtete heftige Widerstände aus den eigenen Reihen, wenn er die Lösung Di Maio zulassen würde.
Er stand auf keinem Wahlzettel
Deshalb musste es ein Parteiloser sein. Di Maio bestreitet zwar, Conte sei ein Techniker. „Eine politische Regierung mit einem politischen Premier“ werde da gebildet, verkündete er, schließlich habe Conte schon dem Schattenkabinett der Fünf-Sterne-Bewegung angehört, das kurz vor den Wahlen präsentiert worden war, als zukünftiger Minister für öffentliche Verwaltung. Er dürfe deshalb für sich beanspruchen „von elf Millionen Italienern gewählt“ worden zu sein, auch wenn sein Name auf keinem Wahlzettel stand, auch wenn er für das Parlament gar nicht aufgestellt worden war.
Gewiss, der bekennende Katholik Conte, der nach eigenen Worten früher links wählte, ist Sympathisant des M5S, auf dessen Ticket er 2013 in den „Präsidialrat der Verwaltungsjustiz“ gewählt wurde – mehr aber auch nicht. Bei den Koalitionsverhandlungen der letzten Wochen, in denen das Programm der neuen Regierung festgezurrt worden war, war er nicht dabei, und auch die Liste „seiner“ Minister handelten die beiden Parteien ohne ihn aus. Deshalb wohl erinnerte Staatspräsident Mattarella Di Maio und Salvini daran, dass nach der Verfassung der Ministerpräsident Chef der Regierung und nicht ihr ausführender Angestellter ist.
Eben dies aber droht Conte zu werden: Exekutor von Entscheidungen, die andere treffen, eingemauert in einem Kabinett, in dem die beiden Parteichefs mit am Tisch sitzen als diejenigen, die immer das letzte Wort zu haben drohen. Zwei Optionen hat er dann – entweder sich mit dieser Rolle abzufinden oder immer wieder den Konflikt mit den ihn tragenden Parteien zu suchen. Eine wirklich stabile Lösung ist das nicht. Doch wenigstens einen Vorteil hat Conte auf seiner Seite. Der Jurist gilt als Experte für Streitschlichtungsverfahren und Mediation – das könnte im schwierigen Zusammenspiel zwischen M5S und Lega wertvoll sein.
Beruhigungsoffensive mit ungewissem Ausgang
Wertvoll ist sicher auch, dass der grundseriöse Conte in Werdegang und Habitus perfekt das Establishment repräsentiert – und so den beiden Anti-Establishment-Parteien zu Hause ebenso wie in Europa die Flanke sichern kann. Auch einige andere zentrale Position wollen M5S und Lega nach dieser Logik besetzen. So soll Giampiero Massolo Außenminister werden.
Er, der heute den Werftkonzern Fincantieri leitet, hat eine Karriere als Diplomat hinter sich, die ihn bis in die höchste Beamtenposition des Außenministeriums trug, die des „Generalsekretärs“ (das entspricht dem beamteten Staatssekretär in Deutschland). Und Enzo Moavero Milanesi, eingefleischter Europäer, soll Europaminister werden – dieses Amt bekleidete er auch in den Regierungen Monti und Letta in den Jahren 2011 bis 2014.
Ob diese Beruhigungsoffensive klappt, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Momentan reagieren die Märkte einigermaßen nervös. Der Spread – der Zinsabstand zwischen Italien und Deutschland – stieg in den letzten Tagen von 1,3 auf gut 1,8 Prozent. Daran änderten auch Di Maios und Salvinis Worte nichts, die am Montagabend beide erklärten, natürlich werde Italien seine vertraglichen Verpflichtungen einhalten. Eine Anti-System-Regierung, die mit dem „System“, vorneweg in Europa, zurechtkommen muss: Diese Dialektik wird das politische Experiment prägen, das gerade in Rom beginnt.
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