: Das beste Superfood ist rohes Gemüse
In den Geschäften werden exotische Lebensmittel mit gesundheitsfördernden Eigenschaften angepriesen. Heimisches Grünzeug kann mithalten – und ist nachhaltiger
Von Malte Kanefendt
Health Food, Nutrition, Organic Food und Wellness lauten die Hashtags, mit denen „Superfood“ in sozialen Netzwerken wie Instagram und Facebook geteilt wird. Viele Influencer verweisen dort auf die sich selbst optimierende Wirkung ihrer Produkte, die vor lauter Antioxidantien, Vitaminen und Aminosäuren aus jeder Person einen Athleten zu machen scheint.
Die pflanzlichen Wundermittel sollen den Blutdruck senken, das Gewicht reduzieren und das Immunsystem stärken. Geworben wird mit den Azteken und Maya, die sich von Chiasamen ernährten, oder ayurvedische Lehrer, die die lateinamerikanische Moringawurzel als „Alleskönner“ bezeichnen. Doch was ist dran an den Superfoods, die längst den Sprung vom Biomarkt in den Discounter geschafft haben?
„Dass es sich bei Superfood nicht um einen geschützten Begriff handelt, ist ein großes Problem“, sagt Janina Willers von der Verbraucherzentrale Niedersachsen (VZN). Häufig werden bei Superfoods ungewohnte Getreidearten wie Quinoa mit exotischen Früchten wie der chinesischen Gojibeere kombiniert. Vermarktet werde das mit der Lust auf etwas Neues und einer angeblich belebenden Wirkung für den Körper.
Die Gesundheitsversprechen wie jenes, dass 20 Gramm Gojibeeren am Tag den Blutdruck senken, seien „wissenschaftlich überhaupt nicht tragbar“, sagt Willers. Falls es überhaupt belastbare Studien gibt, wird nur ein einzelner Wirkstoff in Reinform im Reagenzglas untersucht. „Daher sollten die Verbraucher kritisch bleiben und keine Wundereffekte erwarten“, sagt Antje Gahl von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE).
Acaibeeren und Quinoa aus Südamerika mögen zwar zur Vielfalt auf unseren Tellern beitragen, der hohe Preis macht sie jedoch zum Luxusprodukt. Auch wenn viele der Superfoods tatsächlich wertvolle Inhaltsstoffe enthalten, „darf nicht der Eindruck entstehen, dass regionale und saisonale Lebensmittel unseren Bedarf nicht decken würden“, sagt die Verbraucherschützerin Willers.
Dafür gibt es genügend Superfood vom Feld nebenan. Paprika, Erdbeeren und Schwarze Johannisbeeren stehen im Vitamingehalt der Gojibeere in nichts nach. Kürbis- und Sonnenblumenkerne können den Bedarf an Omega-3 Fettsäuren decken. Und auch die Scheingetreidesorten Quinoa und Amaranth, bei denen es sich eigentlich um Gräser handelt, übertreffen Dinkel und Buchweizen nicht an Zink, Magnesium oder Ballaststoffen.
„Aus diesem Grund wird der Begriff Superfood in der Wissenschaft nicht genutzt“, sagt der Ernährungsexperte Bernhard Watzl vom Max-Rubner Institut in Karlsruhe. Sekundäre Pflanzenstoffe, die hauptsächlich für den gesundheitsfördernden Effekt von Obst und Gemüse verantwortlich sind, kommen insbesondere in den Randschichten von Samen und Beeren vor. Bei der Verarbeitung vieler Superfoods zu Pulver, Säften oder Tabletten werden diese Stoffe aber entfernt. „Dabei ist bewiesen, dass schon eine Portion unverarbeiteter pflanzlicher Lebensmittel das Risiko, eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zu erleiden, um vier bis fünf Prozent verringert“, sagt Watzl. Das könnten zwei Äpfel am Tag sein.
„Mit der Entscheidung, ein Superfoodprodukt zu kaufen, geht zudem häufig eine enorme Umweltbelastung aufgrund langer Transportwege und schlechter Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft der Exportländer einher“, kritisiert Willers. „Vor allem bei der Düngung, Ernte oder Trocknung der exotischen Früchte werden Hygienestandards verletzt“, sagt Watzl.
Das bestätigt eine Studie der Verbraucherzentrale Hamburg, die auf chinesischen Kräutern, Weizengraspulver und Gojibeeren Pestizidrückstände, Keime und Mineralölrückstände nachwies. „Allein der Grund, dass ein erhöhter Konsum von Avocados, Chiasamen und südamerikanischen Getreidesorten in Europa zu Monokulturen und der Zerstörung von Existenzgrundlagen in den Anbauländern führt, sollte uns dazu bewegen, Superfood nicht übermäßig zu konsumieren“, findet DGE-Sprecherin Gahl.
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