Neues Album von Rapavatar Marsimoto: Aufstand der Hühner
Marsimoto, durchgeknallter Avatar von Marteria, legt mit „Verde“ ein Freestyle-Rapalbum vor. Von Trap keine Spur, Sound und Reime bringens voll.
Marsimoto mag Tiere. Und er hat ein großes Herz für alle Außenseiter, die es schwer haben, weil niemand sie versteht. In seinen Rapreimen verteidigte er schon Wale, in die Harpunenpfeile gespießt wurden, kleine Bühnen, die gegen ihre riesigen Geschwister in den Multifunktionsarenen traurig wirken, und schmale Skier, die durch breite Snowboards von den Pisten gemobbt werden. Auf seinem neuen Album „Verde“ fordert Marsimoto in dem gleichnamigen Song den „Chicken Terror“.
Darin nimmt er die Perspektive eines Huhns ein, das den Menschen lediglich als Nahrungsquelle dient. „Seit der Geburt ist der Zustand des Gegenteils vom Leben erreicht / Sie sehn nur das Fleisch / Alles dreht sich im Kreis“, reimt Marsimoto und fordert den Aufstand der Hühner.
Was klingt wie ein bedröhnter Revoluzzer-Traum, ist es auch. Denn Marsimoto ist eigentlich ein rappendes Alien, das furchtbar viel Gras raucht und mit quäkender Stimme aufzählt, was alles falsch auf Erden läuft. Hinter dem Alias Marsimoto steckt niemand anderes als der 35-jährige Rostocker Marten Laciny, der wiederum als Marteria einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Rapper zurzeit ist. Seit 2006 existiert sein außerirdischer Avatar Marsimoto, den er von Zeit zu Zeit neu belebt.
Einige Oktaven höher
Damals erschien Marsimotos Debütalbum „Halloziehnation“ und Lacinys tiefes Timbre verschwamm gelegentlich mit Passagen, in denen seine Stimmhöhe durch Software ein paar Oktaven höher gedrechselt wurde. Seitdem wechseln sich Marteria und Marsimoto jeweils mit neuen Alben ab. Der Außerirdische hat sich längst verselbstständigt, trägt bei Konzerten konsequent Maske und einen grün schillernden Umhang. Lacinys Stimme ist nicht mehr im Naturzustand zu hören, so komprimiert er seine Fähigkeit, komplexe Themen durch kluge Wortspiele aufs Wesentliche zu verknappen. Das Alien ist sein Experimentierfeld, radikaler als Marteria, auch was den Sound angeht.
So hat Marsimoto früher etwa mit Dubstep experimentiert, als sich das sonst noch kein Rapper hierzulande traute. Die Frickeleien des Elektronikproduzenten Robot Koch flossen in seine Songs ein. Das hat sich inzwischen geändert. Auf „Verde“ spielt Robot Koch keine Rolle, die Sounds klingen weniger vertrackt. Es dominieren langgezogene Synth-Pads und langsam darunter versickernde Basslines. Ergänzt werden sie immer wieder durch Grooves, die in den Neunzigern schon mal amtlich waren und bei Marsimoto mit aggressivem Percussion-Geklicker verwachsen.
Marsimoto: "Verde" (Green Berlin/Four/Sony Music)
Mit dem derzeit angesagten Trap-Sound hat das wenig zu tun. Gerade deswegen klingt es erfrischend. Ebenso erfrischend sind die fremden Stimmen, die sich zum Alien gesellen. Marsimoto kultivierte immer sein Außenseiterimage und wollte daher mit den (Erfolg-)Reichen nichts zu tun haben. Doch auf „Verde“ haben sich mit Casper und Trettmann zwei prominente Kollegen der Rapszene zu ihm gesellt. Der eine schreit, bis er heiser vor Erschöpfung wirkt, der andere säuselt beseelt vom letzten High. Diese stilistischen Brüche sind nötig, um die 14 Tracks durchstehen zu können.
Unmut wegen Display
Dann ist da noch Audio88, der mit Marsimoto in dem Track „Der beste Freund des Menschen“ gemeinsam Unmut bekundet: Es geht ihnen um Displays und alles Negative, was damit verknüpft ist: Macker produzieren sich, um in Apps toll auszusehen, andere können den Blick nicht vom Bildschirm lösen und verlieren den Bezug zur Realität. Wieder andere bleiben Tag und Nacht standby und springen dem Burnout in die Arme. Marsimoto ist sicher kein Kulturpessimist, aber übersteigerten Leistungsdruck und Selbstoptimierungswahn mag er nicht. „Verde“ verpackt diese Kritik in Geschichten, die zuerst nach großer Weltverdunkelung klingen, aber sich bei genauerem Hinhören als schlaue Gegenwartsbeobachtungen entpuppen.
Was auf Dauer etwas eintönig wirkt, ist Marsimotos ewige Lobpreisung von Kiffen. Über diese Schwäche und eine Liebeserklärung an „Go Pro“-Kameras, die verdächtig nach Werbejingle klingt, lässt sich aber hinweghören. Denn mit „Verde“ liefert er einige wichtige Denkanstöße.
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