: RaumfürKunst
Das Atelier der Künstlerin S. ist in Schöneberg, aber sie hat dort ohne Förderung des Landes gemietet und bezahlt „viel zu viel Geld“ für die 30 Quadratmeter. Noch dazu gibt es kein Wasser in dem Raum, der Teppich ist räudig, die Wände zu einer angrenzenden Tanzschule sind hellhörig. Zum Ende des Monats hat sie gekündigt, sie muss dringend etwas Neues finden, und zwar in der Innenstadt, denn sie hat kein Auto und oft viel zu transportieren. Die Künstlerin, die 1963 in Berlin geboren und 1990 an der Hochschule der Künste Meisterschülerin bei Marwan Kassab-Bachi wurde, kocht erst einmal zwei Tassen guten, starken Instantkaffee.
An der Wand hängen beeindruckend kraftvolle Bilder unterschiedlichen Formats, die aus sich selbst heraus zu leuchten scheinen: abstrakte Collagen, mit geriffeltem Plexiglas und Folien überklebt. Manche schimmern ein wenig wie Linsenrasterbilder, die sogenannten Wackelbilder. Es geht in S.’ Werken vordergründig nur um Licht und Schatten, sie lösen aber großes Kino aus: Man denkt an die Einsamkeit, wenn man nachts in fremde Fenster späht, die seltsame Spannung aus Stille und Bewegung, wenn man im Auto die Leitplanken vorbeifliegen lässt, bis sie zu einem hellgrauen Rauschen verschmelzen.
„Ich habe schon darüber nachgedacht, aufzuhören“, sagt S., als sie mit ihrem Kaffee in einem Sitzsack versinkt. Sie hat schon einmal aufgehört, in den Neunzigern. Dann hat sie traditionelle chinesische Medizin, Shiatsu und Akupunktur gelernt. Aber schließlich wurde sie „rückfällig“.
Gefühlt hat sie sich dann durch die halbe Stadt saniert, Ateliers in Wohnungen und Atelierhäusern schick gemacht und entmüllt, Kacheln zerschlagen, Decken freigelegt, Wände getüncht. Um dann immer wieder rauszumüssen.
Jetzt sucht sie wieder etwas Bezahlbares, auch wenn es noch so schwer ist, mit all den anderen KünstlerInnen. Auch jenen, die jeden Tag neu ankommen in dieser Stadt, die sich gern als Kunststadt zeigt. Die finden, das sei ein funky Pflaster hier und noch bezahlbar im Vergleich mit den Städten, aus denen sie selbst oft geflüchtet sind. „Ich komme nicht an, lebe auf gepackten Koffern“, sagt die Frau, die schon seit dreißig Jahren als Künstlerin in Berlin arbeitet.
Es gibt KünstlerInnen, die zu Hause arbeiten können, aber die Wohnung, in der S. lebt, ist winzig und dunkel, eigentlich unbewohnbar, wie sie sagt. Aber selbst, wenn es dort schöner wäre: S. braucht den Abstand. Einen Raum, wo alles rausdarf, „auch das Dreckige“. Vor allem aber einen Raum, in den Käufer und Galeristen kommen. „Der Mietenwahnsinn ist schlimm“, sagt S. „Aber womit wir uns herumschlagen, das ist beileibe auch kein Luxusproblem.“
S. ist keine, die sich zielorientiert vermarktet, dazu ist sie auch zu langsam, meint sie. „Ich arbeite vor mich hin, bis ich’s gut finde“, sagt sie, „sonst werden die Arbeiten zu flach.“ Sie ist ein freier Geist, braucht das Gefühl von Unabhängigkeit. Und von einem Mindestmaß an Sicherheit, das sich einfach nicht einstellt, wenn man tagein, tagaus darüber nachdenken muss, wo man eigentlich bleiben soll.
Auch für Marcel Frey ist es vor allem das künstlerische Selbstbewusstsein, das unter der steten Frage, wo arbeiten, leidet. Der 1980 geborene Künstler, der von 2002 bis 2007 an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe studiert hat und dann Meisterschüler bei Silvia Bächli war, ist erst seit knapp zwei Jahren in Berlin. Seither hat er sich auf rund 40 geförderte Ateliers beworben, auch erfolglos auf dem freien Markt gesucht. Im Augenblick arbeitet er im Atelier einer Freundin im südlichen Tempelhof, die gerade im Ausland arbeitet. Das Atelier hat hohe Wände, sodass er die Materialien der Freundin unter der Decke verstauen konnte.
Frey sollte an seiner vierten Einzelausstellung in seiner Galerie arbeiten, in der Galerie Thomas Fischer, die am 15. Juni Vernissage feiern soll. Es geht gut voran, aber er könnte den Kopf freier haben.
Und den Kopf frei zu haben, das ist nun mal die Grundvoraussetzung für seine Arbeit.
Seine Werke wirken ganz anders, aber nicht weniger streng, konzeptionell und konzentriert als die der Künstlerin S. Frey faltet für sie Leinwände und besprüht sie, faltet sie wieder auf, spannt sie auf einen Rahmen und hängt sie auf. Sie verhandeln den Raum für Neues, das trotz strenger Ausgangsidee entstehen kann – und erinnern dabei manchmal an die reduzierten, konstruktivistischen Werke von Paul Klee oder László Moholy-Nagy.
Trotz der Ungewissheit, wie es weitergehen soll, hat Marcel Frey wie S. nicht das Gefühl, er müsse besser versorgt werden. Er hat seinen Beruf nicht gewählt, weil er damit reich werden wollte. Auch seine Nebenjobs, um überhaupt überleben zu können, Assistenzjobs bei zwei beruflich erfolgreichen Künstlern, macht er sehr gern, wie er sagt.
Trotzdem ist er angewiesen auf einen Raum, der nicht mehr als 300 Euro kosten sollte. Er muss auch nicht riesig sein, 30 Quadratmeter wären genug. Frey akzeptiert, dass er sich auf solchem Raum nicht lang mit fertigen Werken auseinandersetzen kann. Denn die, die fertig sind, müssen bald ins Regal, um Platz für neue zu schaffen. Vom Raum von KünstlerkollegInnen, die ihr Atelier in einem Berlin gefunden haben, in dem es noch größere Freiräume gab, will Marcel Frey heute trotzdem nicht aufhören zu träumen.
Von Räumen wie dem Hansjörg Schneiders zum Beispiel.
Hansjörg Schneider, Jahrgang 1960, hat zunächst Freie Kunst an der Muthesiusschule in Kiel studiert, bevor er 1989 in Berlin ankam. Seit fast zehn Jahren arbeitet er in einem umwerfend großen Atelier mit hohen Decken in den Uferhallen, Industrieromantik inklusive. Im Augenblick arbeitet er an einem Projekt mit Pressefotos. Auf drei riesigen Tischen liegen mehr als 40 ehemalige Pressefotos von Gebäuden, Architekturfotos, die er zu Cut-outs bearbeitet hat. Soll heißen: Er schneidet auf dem dünnen Papier beispielsweise mit Skalpellen die Fenster aus einem Wolkenkratzer. Dann legt er die filigranen Skelette auf Fliegengitter, besprüht sie mit säurefreiem Wasserleim und klebt sie auf schweres schwarzes Büttenpapier.
Um zu kontrollieren, wie die Werke gelungen sind, ist es wichtig, dass sie eine Weile nebeneinander liegen. Hansjörg Schneider, der sonst auch großformatig arbeitet, läuft zwischen den Tischen herum, prüft, vergleicht. Nebenher spricht er vom Machtanspruch der Bilder, den er minimieren will. Von Reduktion durch Weglassung, sehr aktuell im Zeitalter von Twitter und Co.
Hansjörg Schneider ist einer von rund 50 KünstlerInnen, die auf dem Gelände der Uferhallen Ateliers gemietet haben. Die Uferhallen gehörten der BVG. Hansjörg Schneider erinnert sich noch gut daran, wie er erst einmal überall das Öl abwaschen musste, als er seinen Raum bekam, denn hier wurden die Motoren der Straßenbahnen geprüft. 2006 verkaufte das Land die Uferhallen an eine Aktiengesellschaft.
Doch im August letzten Jahres wurde bekannt, dass eine Firma das 40.000 Quadratmeter große Gelände gekauft habe, auf dem sich außerdem Gewerbe wie der Pianosalon und das Café Pförtner befinden. Hinter der Firma steckt unter anderen einer der Samwer-Brüder, die in Berlin ein Internet-Imperium aufgebaut haben. Die Immobilie soll an die 30 Millionen Euro gebracht haben, das Doppelte ihres Verkehrswertes. Wolfgang Weber, Geschäftsführer der Aktiengesellschaft, die die Hallen verkauft hat, sagt, die neuen Besitzer würden das Gelände „behutsam und langsam“ und nicht „mit der Planierraupe“ entwickeln wollen. Sowohl KünstlerInnen als auch KennerInnen der Stadtentwicklung gehen davon aus, dass nichts bleiben wird, wie es ist.
„Nach etwas anderem umsehen werde ich mich noch lange nicht“, sagt Hansjörg Schneider dennoch gelassen. Eher hofft er auf Solidarität, auf das zarte Pflänzchen einer neuen Gemeinsamkeit zwischen den Nachbarn, das seit dem Herbst wächst und gedeiht. Wie viele von ihnen zahlt er weniger als 4 Euro den Quadratmeter, hat allerdings nur einen Vertrag über drei Jahre mit dreimonatiger Kündigungsfrist.
Kürzlich, erzählt er, habe er wie alle hier das Angebot bekommen, seinen Vertrag um drei Jahre zu verlängern – gegen Herausgabe der letzten Künstleraktien, die noch nicht verkauft sind.
Hansjörg Schneider erzählt diese Geschichte mit sichtbarem Schalk in den Augen: 2011 erlaubte die Aktiengesellschaft etwa 100 KünstlerInnen auf dem Gelände, je 25 Aktien zu gestalten. Die sollten pro Stück 1.500 Euro kosten. Ziel war eine Publikumsgesellschaft mit breiter Streuung. Doch leider konnten nur hundert der Aktien verkauft werden.
Nach wie vor besitzt Hansjörg Schneider seine eigene Aktie. Er hat sie wie alle, die damals mitmachten, als Gegenleistung für die Gestaltung bekommen. Sie ist heute 9.000 Euro wert und macht ihn zum stolzen Besitzer von 11 Quadratmetern des Geländes. Schneider muss breit grinsen, als er sagt, dass er seine natürlich auch jetzt nicht verkauft habe.
„In solchen Fällen soll es ja Gerichtsverfahren gegeben haben, die sich Jahre hingezogen haben“, fügt er an.
Susanne Messmer
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