Schweiz und EU-Datenschutzverordnung: Europafeinde lauern schon
An der Frage, wie die Schweiz mit EU-Datenschutzregeln umgeht, entzündet sich Streit: Soll man sich von Brüssel etwas sagen lassen?
Adrian Lobsiger, der oberste Datenschützer des Landes, mahnt die Politik zur Eile. Die Schweiz habe „ein vitales Interesse daran, dass sie bald ein Datenschutzniveau aufweist, das mit ihrem europäischen Umfeld vergleichbar ist“. Am 25. Mai tritt die neue Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) der EU in Kraft. Bereits bis zum 6. Mai müssen alle EU-Staaten ihre nationalen Gesetze angepasst haben.
Durch die DSGVO sollen die großen IT-Firmen wie Apple, Microsoft und Facebook gezwungen werden, ihre technischen Einstellungen anzupassen, um strengere Verbraucherrechte beim Datenschutz umzusetzen. Dazu gehört unter anderem das „Recht auf Vergessenwerden“, also das Löschen aller persönlichen Daten sowie aller Links darauf.
Die DSGVO wurde bereits im April 2016 vom EU-Parlament verabschiedet. Zwei Jahre Zeit also für eine Anpassung der Schweizer Gesetze. Die ist erforderlich, weil die DSGVO auch eidgenössische Unternehmen betrifft, die Geschäfte mit EU-Kunden treiben sowie EU-BürgerInnen, die etwa in Datenbanken von Schweizer Parteien zu finden sind. Doch von Beginn stieß das Vorhaben auf die Bedenken der SVP, die jegliche Anpassung an EU-Normen gerne als „Unterwerfung unter des Brüsseler Joch“ geißelt, um von dieser Feindbildpropaganda an den Wahl- und Abstimmungsurnen zu profitieren.
Auftrieb für die Europafeinde
Diese Fraktion erhielt Auftrieb und auch Unterstützung von den christ- und freidemokratischen Parteien der bürgerlichen Mitte im Parlament, nachdem die Brüsseler Kommission im Dezember letzten Jahres beschlossen hatte, der Schweizer Börse zunächst nur einen bis Ende 2018 befristeten Zugang zum EU-Binnenmarkt zu gewähren. Den unbefristeten Zugang machte die EU abhängig vom Abschluss eines „institutionellen Rahmenabkommens“ mit der Schweiz, das nach bisherigen Absichtserklärungen aus Brüssel und Bern bis spätestens Ende 2018 unter Dach und Fach sein soll.
„Die EU versucht die Schweiz zu erpressen“, titelte selbst der europafreundliche, liberale Tagesanzeiger, die größte Zeitung des Landes. Mit dem Rahmenabkommen muss aus Sicht Brüssels die uneingeschränkte Personenfreizügigkeit zwischen der EU und der Schweiz auch weiterhin gesichert werden. Sie wurde zwar bereits 1999 in einem bilateralen Vertrag vereinbart, ist aber in Frage gestellt, seit das Schweizer Volk bei einer Abstimmung im Frühjahr 2014 die von den Rechtspopulisten lancierte „Initiative gegen die Masseneinwanderung“ aus Deutschland und anderen EU-Staaten angenommen hat.
Auch der Konflikt, ob bei künftigen Streitfällen zwischen der EU und der Schweiz zu den bestehenden 24 bilateralen Verträgen der Europäische Gerichtshof in Straßburg zuständig ist oder ein Schiedsgericht, soll in dem institutionellen Rahmenabkommen endlich geregelt werden.
Kampagne gegen „fremde Richter“
Die SVP heizt diesen Streit an mit einer Kampagne gegen „fremde Richter“ und einer für den Herbst zur Abstimmung angesetzten Volksinitiative. Bei deren Annahme würden sowohl Entscheidungen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes wie auch Europäische Menschenrechtskonventionen und andere Völkerrechtsnormen von der Schweiz künftig nicht mehr als rechtsverbindlich akzeptiert.
Nach der EU-Entscheidung für einen lediglich befristeten Zugang der Schweizer Börse zum Binnenmarkt beschloss die zuständige Kommission im Berner Parlament im Januar, sich bei der Anpassung an die neue EU-Datenschutzverordnung Zeit zu lassen. Bis Ende Mai sollen nur die Anpassungen vollzogen werden, die zwingend erforderlich sind, damit die Schweiz ihre Mitgliedschaft im Schengen-Raum nicht verliert. Alle weiteren Maßnahmen, so der Beschluss vom Januar, sollen erst im Zuge eine Totalrevision der Schweizer Datenschutzgesetzgebung erfolgen, die frühestens 2019 beschlussfähig wäre und gegen die die SVP bereits grundsätzliche Bedenken erhebt.
Die Verzögerung der Anpassung an die EU stößt auf Kritik beim Wirtschaftsverband Economiesuisse. „Es ist wichtig, dass das grundsätzlich technische Thema Datenschutz nun nicht politisch aufgeladen wird“, erklärte Verbandssprecher Erich Herzog in der Neuen Zürcher Zeitung. Bliebe es bei dem von der Parlamentskommission beschlossenen Zeitplan, sind neue Konflikte zwischen der EU und der Schweiz oder auch Klagen von EU-BürgerInnen gegen eidgenössische Unternehmen oder Institutionen wahrscheinlich.
In Reaktion auf den Facebook-Skandal mehrten sich allerdings die Stimmen, die sich von einem schnellen Abschluss der Anpassung an die DSGVO der EU einen verbesserten Schutz der Schweizer BürgerInnen vor Datenmissbrauch erhoffen. Die andere Seite fühlt sich wiederum bestärkt durch die Erklärung eines Facebook-Sprechers von Ende März, das Unternehmen werde die von der EU verlangten neuen Richtlinien automatisch auch im Umgang mit Userdaten aus der Schweiz befolgen.
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