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Kolumne PressschlagMein erster Abstieg

René Hamann
Kolumne
von René Hamann

Einst war er ein großer Verein, nun geht es in die 2. Liga. Aufstieg und Fall des Hamburger SV – und was das alles mit unserem Autor zu tun hat.

Unwürdige Bilder zum Abschluss: Pyrotechnik konnte den Abstieg des HSV nicht verhindern Foto: Reuters

P lötzlich wirkte die Stadt wie tot. Wie ausgestorben. Es war der Anfang eines langen Abschieds, es war der 9. Mai 1998, durch ein 2:2 gegen ausgerechnet Bayer Leverkusen stand der erste Abstieg des 1. FC Köln fest, und damit war klar: Ich lebte fortan in einer Zweitligastadt. Die Idee eines Umzugs in die neue Hauptstadt fand hier ihren Ursprung.

Aber eigentlich war ich ja HSV-Fan, insofern berührte mich der Abstieg des Lieblingsklubs meiner Wahlheimat und meiner Freunde nicht so sehr. Die besten Zeiten meines Lieblingsvereins lagen aber auch schon lange zurück. Wie die glücklichen Tage meiner Kindheit.

Wie kommt aber ein rheinisches Kind zu einem norddeutschen Verein? Mein Großvater war schuld. Der stammte aus Hamburg. Nein, es war sogar mein Urgroßvater, der noch in Hamburg lebte und mein Fantum mit reichlich Devotionalien-Post unterstützte. Aus der Hamburger Morgenpost ausgeschnittene Artikel, Fanartikel vom Flohmarkt, so etwas. Mein niederrheinischer Onkel versuchte noch, mich vom MSV Duisburg zu überzeugen, aber da war es schon zu spät.

Die Initialzündung kam merkwürdigerweise bei einer Sportschau-Zusammenfassung eines 3:3 des HSV in Nürnberg. Eine 3:1-Führung wurde noch leichtsinnig verspielt. Es war Samstag, der 7. April 1979. Etwa einen Monat später wurde ich erstmals deutscher Meister, trotz eines 1:2 zu Hause gegen den FC Bayern. Das Volksparkstadion wurde auseinandergenommen. Ich bekam ein Erinnerungsbuch geschickt.

Am arschkalten 19. Januar 1980 war ich erstmals im Volksparkstadion, bewaffnet mit einem einfachen Waldhorn, das als Tröte herhalten sollte, und in mit Zeitungen ausgestopften Stiefeln. Ich sah ein 3:1 gegen den VfL Bochum. Es waren schöne Jahre – die Meisterschaft wurde zweimal blöd verspielt, bevor sie zweimal glänzend gewonnen wurde; das Athener Endspiel mit Felix Magaths Zaubertor gegen Juve verfolgte ich heimlich im Radio, weil ich am nächsten Morgen früh Schule hatte. Mein Onkel gratulierte mir zum Titel.

Plötzlich Leeds-United-Fußball

Ich dachte, es ginge immer so weiter – Deutschland war Europameister, der HSV einer der besten Klubs der Welt. In der Schule gab es nur HSV oder Bayern. Gladbach- oder FC-Fans galten als Orchideen; BVB- oder Schalke-Fans kamen überhaupt nicht vor. Dann kam die vergeigte Meisterschaft 1984 (durch ein 0:2 gegen Eintracht Frankfurt), noch ein paar Vizemeisterschaften und der Pokalsieg 1987.

Das war dann das Ende. Das Ende der Kindheit, der Jugend. Nach der WM 1990 gab es den Triumphzug des Hässlichen – Münchener Titelserien, Otto Rehhagel, die langen Kohl-Jahre unter Berti Vogts, RTL, „ran“, der deutsche Rumpelfußball. Der HSV biederte sich in die Bedeutungslosigkeit, die anderen Traditionsklubs stiegen nach und nach ab, der FC, Gladbach, die Eintracht aus Frankfurt, der FCK. Plötzlich war der HSV „der Dino“, das letzte Gründungsmitglied, das noch verblieben war. Dann folgte der zweite Aufschwung, der in den Papierkugelduellen gegen Werder sein jähes Ende fand.

Der Dino ist ausgestorben, die Uhr steht, die Raute geht unter, die Unabsteigbaren sind abgestiegen.

Die letzten Jahre waren hart, aber das Glück des entscheidenden Moments schweißte auch zusammen: Fans und Team, Verein und Fans, zumindest in den letzten Momenten. Ich werde mich immer erinnern, wo ich war, als Marcelo Diaz zum Freistoß antrat, ich werde stets ein Fan des fußlahmen Pierre-Michel Lasogga sein, seine Ausleihe nach Leeds ist wie der Weggang von Michael Gregoritsch einer der Gründe des Abstiegs.

Ein anderer war der Leeds-United-Fußball, das steinzeitliche Kick-and-Rush, das Trainer Markus Gisdol spielen ließ, bis es Bernd Hollerbach mit Berti-Vogts-Fußball probieren durfte. Der Retter aus den eigenen Reihen, der bescheidene Herr Titz, kam zu spät. Der Dino ist ausgestorben, die Uhr steht, die Raute geht unter, die Unabsteigbaren sind abgestiegen. Seit Samstagabend gilt ein neuer Leitspruch: „Liebe kennt keine Liga“.

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René Hamann
Redakteur Die Wahrheit
schreibt für die taz gern über Sport, Theater, Musik, Alltag, manchmal auch Politik, oft auch Literatur, und schreibt letzteres auch gern einmal selbst.
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2 Kommentare

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  • Von dem HSV, deren Spieler ich einst von meinem Schulhof aus traineren sehen konnte, den Seelers und Dörfels, hat sich der Verein schon vor Jahrzehnten entfernt. Ein Tummelplatz von berufenen und selbstberufenen Managern und eine Fanszene, die schon in den 80ies nichts gegen Neonazis und Schläger in den eigenen Reihen unternahm. Insofern tut es dem Verein vielleicht gut, in der 2. Liga einen Neuanfang zu unternehmen - was ich allerdings nicht glaube. Aber ich muss zugeben, von der Jugendliebe HSV habe ich mich gelöst und 'mein Glück' beim Kiezclub gefunden. Eines noch zum Abtritt der HSV-Ultras, ihre 'Aktion' sollte wohl signalisieren: Wir steigen ab, aber mit einem Knall, der noch in Jahrzehnten in den Geschichtsbüchern stehen wird...an was erinnert mich das bloß?!

    • @Philippe Ressing:

      "… eine Fanszene, die schon in den 80ies nichts gegen Neonazis und Schläger in den eigenen Reihen unternahm." Ahja, endlich wieder HSV=Nazi. Klar, die Nazibande schmeißt auch noch Pyro und das ganze Stadion singt das Horst Wessel Lied dazu! Man, man, man liebe Paulianer, lasst euch doch mal was anderes einfallen um uns fertig zu machen. Angriffsfläche gibt es doch genug, aber immer wieder dieser Nazi Quatsch, dass ist doch lächerlich. Oder wollt Ihr euch am Ende vielleicht selbst als „Ewiggestrige“ darstellen?