: Sozialarbeit im Ring
Dass gerade Kampfsport zur Gewaltprävention taugt, dafür werben Projekte wie „Kick im Boxring“. Das beschäftigt auch Sozialarbeiter, andere Anbieter allerdings tun das nicht
Von Alina Schwermer
„Ich habe viel Mist gebaut in meinem Leben“, erzählt ein Neuköllner Jugendlicher namens Mohamed in einem Promovideo über „Kick im Boxring“. „Aber bin immer gut weggekommen.“ Seine Geschichte ist eine von schlechten Noten, gescheiterter Ausbildung wegen Fehlzeiten, des nirgendwo Ankommens. Und von Boxen im Sozialprojekt. „Man will was schaffen im Leben durch das Boxen“, sagt er. Zuverlässigkeit, Disziplin, Pünktlichkeit, Weiterkämpfen, das habe er hier gelernt. Mohamed ist jetzt beruflich selbstständig und findet, das laufe gut.
In einem Café sitzt Marike Ingwersen, Trainerin und Sozialarbeiterin bei „Kick im Boxring“, und sagt: „Die Jugendlichen kommen nicht und sagen: Ich hab ein Problem, ich brauche Hilfe. Aber wenn man sie kennt, kriegt man es meistens mit.“
Das mehrfach ausgezeichnete Berliner Projekt „Kick im Boxring“ will bei einer Klientel Vertrauen schaffen, die nicht im klassischen Jugendtreff auftaucht. Ursprünglich wurden vor allem straffällig gewordene Jugendliche von der Polizei übermittelt. Heute ist das Projekt für alle offen. „Sport ist das Mittel, um Jugendliche zu erreichen“, so Ingwersen. „Es ist nicht das Ziel, Champions auszubilden.“
Das Projekt befindet sich dabei in guter Gesellschaft. Boxen zieht die Sozialprojekte an. In Berlin drängeln sich die Preisträger und Prominenten: Das „Kick“-Projekt, die „Boxgirls“, der Schöneberger Verein Isigym, die Work and Box Company in Reinickendorf, mit Box-Stars wie Axel Schulz und die Klitschkos als regelmäßige Besucher. Hinzu kommen kleinere Anbieter, die mit dem Label Boxen und Gewaltprävention werben. Aber warum gerade Boxen? Und was kann das?
Sozialarbeit im Boxen hat Tradition. Auch, weil der Sport die Menschen, mit denen man etwa an Aggression und Gewaltverhalten arbeiten möchte, von ganz allein bringt. Boxen fasziniert sie erwartbar mehr als Tennis oder Ballett. Ein harter Sport mit männlichem Image, ein Milieusport, der im Umfeld gut ankommt.
Aber Boxen scheint auch systemische Vorteile bringen: Durch die enge Beziehung zum Gegner und die reflektierte Gewalt ergeben sich erzieherische Möglichkeiten, wie es sie im Fußball oder Basketball nicht in diesem Maße gibt.
„Im Ring zu stehen ist ein Erlebnis, was unglaublich wirkt auf Jugendliche“, sagt Ingwersen. Natürlich ist Boxsport damit nicht allein: Von Mixed Martial Arts (MMA) über Karate bis Judo bieten viele Kampfsportarten in der Theorie solche Anknüpfungspunkte. In der Praxis werden sie deutlich weniger genutzt.
Kampfsport Aufgrund der intensiven und respektvollen Auseinandersetzung mit dem Gegner soll sich Kampfsport besonders gut für die soziale Arbeit eignen. Projekte gibt es vor allem im Boxen, aber auch beim asiatischen Kampfsport. Als pädagogisch sinnvoll gelten die sogenannten BuDo-Disziplinen, die den Sport mit einer Philosophie verbinden. Das sind etwa Judo, Karate, Aikido oder Jiu Jitsu.
Vorbildhaft "Kick im Boxring" wurde 2007 gegründet und ist derzeit an drei Standorten in Berlin tätig, am intensivsten in Neukölln. Ursprünglich wurden vor allem straffällig gewordene Jugendliche von der Polizei an das Projekt vermittelt, heute ist das Angebot für alle offen. Es trainieren Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 20 Jahren, darunter auch einige wenige Mädchen.
Unterstützer "Kick im Boxring" wurde zusammen mit der Laureus Sport for Good Foundation entwickelt und wird von ihr finanziert. Weiterer Unterstützer ist unter anderem die Tribute to Bambi Stiftung. Das Projekt erhielt 2015 den Bambi für Integration. Es wurde von der Sporthochschule Köln und von der Evangelischen Hochschule Berlin evaluiert. (asc)
„Boxsport ist historisch betrachtet in unserer Gesellschaft viel tiefer verankert als asiatischer Kampfsport“, sagt der Wissenschaftler Olaf Zajonc, Geschäftsführer der Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit (KoFaS), der unter anderem zu Gewaltprävention im Sport forscht. Asiatischer Kampfsport wird durchaus für soziale Arbeit genutzt, MMA kaum. „MMA etwa hat gerade wegen seiner hohen Kampfintensität besondere Potenziale“, glaubt Zajonc. „Es gibt jedoch noch relativ wenige Projekte, weil hiermit eine ethisch-moralische Diskussion zum Sinn und Unsinn präventiver sozialerzieherischer Maßnahmen mittels Extremkampfsportarten einhergehen wird.“ Anders gesagt: Wer bei einem Sport mit derart blutrünstigem Image wie MMA Sozialprojekte gründet, müsste sich viele Fragen anhören. Beim Boxen muss man das selten. Aber vielleicht ist das nicht immer gut so.
Denn Gewalt spielt natürlich eine zentrale Rolle. Kampfsport belohnt Gewalt. Dass er Aggressionen abbaut, scheint nicht so sicher, wie oft dargestellt. Zajonc sagt: „Um die erhofften Effekte zu erzielen, benötigt eine Maßnahme eine ganze Palette personaler und struktureller Voraussetzungen. Wenn man dies leisten kann, hat Kampfsport im Vergleich zu anderen Sportarten tatsächlich ein erhöhtes Potenzial zur Selbsterziehung. Wenn nicht, kann man aber durch Kampfsport auch schnell Jugendliche zu aufgerüsteten Straßenkämpfern aufbauen.“
„Kick im Boxring“ hat dank Stiftungen die finanziellen Mittel, um zwei hauptamtliche SozialarbeiterInnen, darunter Ingwersen, zu beschäftigen. Marike Ingwersen ist selbst Ex-Boxerin. Kenntnis vom Boxsport und von sozialer Arbeit ist eine wichtige und bisher noch seltene Qualität. Das Projekt arbeitet außerdem mit klaren Regeln. Nach jedem Schuljahr werden die Zeugnisse eingesammelt. Sind die Noten zu schlecht, gibt es Nachhilfepflicht im Boxverein. Und wer sich zu viel auf der Straße prügele, fliege raus. „Viele wirken nach außen sehr selbstbewusst, aber sind es eigentlich nicht“, so Ingewersen. „Wir wollen ein gesundes und realistisches Selbstvertrauen fördern.“
Kampfsport soll auffangen, was die oft rassistische Leistungsgesellschaft ausspuckt. Mittlerweile ist „Kick im Boxring“ an drei Standorten in Berlin tätig, die mit anderen Anbietern geteilt werden.
Seine beachtlichen Effekte erzielt Boxen allerdings nicht automatisch. Nicht zufällig finden sich im Boxsport viele Sportler mit eigener Gewaltbiografie. Im kriminell durchsetzten Profigeschäft geraten sie schnell erst recht in die falschen Kreise. Die Geschichte vom durch Boxen in der Gesellschaft angekommenen Bad Boy wird gern medial erzählt, und das gern unreflektiert. In Berlin bejubelte der Boulevard zuletzt Hamudi al-Zein, vermeintlich vorbildlicher Nachwuchsboxer aus einem kriminellen Clan, bis der wenig später mit dem Vorwurf des versuchten Totschlags vor Gericht landete.
Marike Ingwersen von „Kick im Boxring“
„Es gibt Projekte, die Gewaltprävention kompetent und selbstreflektiert umsetzen, aber noch viel mehr, die nur vorgeben, dies zu tun“, glaubt zumindest Zajonc.
Möglicherweise hat das auch mit der veränderten Sicht auf Sport zu tun. Die Erwartungen an den Sportverein sind gestiegen: Er soll nicht nur den Nachwuchs beschäftigen, sondern auch Integration leisten, Gewaltprävention, Flüchtlingsarbeit und sich am besten noch gesellschaftspolitisch positionieren. Eine eigentlich positive Entwicklung, die allerdings Ehrenamtler überfordert. Und manchen eine einladende Möglichkeit bietet, sich zu vermarkten. Ausgebildete Sozialarbeiter aber wie im „Kick“-Team, Kontakt mit Schulen, Hausaufgabenhilfe im Verein: Das ist ein bemerkenswerter Bonus, keine Normalität.
Es würde helfen, den Amateursport nicht mit Erwartungen zu überlasten. Und die, die mehr leisten möchten, zu prüfen und dann langfristig zu unterstützen. Die Chancen sind da. „Das Potenzial, das Sportvereine haben, ist unheimlich groß“, glaubt Marike Ingwersen.
„Kick im Boxring“, das 2015 den Bambi für Integration erhielt, würde 2018 oder 2019 gern einen eigenen Standort eröffnen, um einen Mittagstisch und neue Angebote ermöglichen zu können. Für den Übergang in den Beruf etwa und Vermittlung von Praktika. Vom Boxring ins Leben.
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