: Die Sonne in der Wolke speichern
Die Energiewirtschaft vermarktet die Solar-Cloud – sie soll eigenen Photovoltaikstrom in die Nacht retten und für Regentage sichern
Von Bernward Janzing
Daten speichert man heute in der Cloud. Das ist modern – die Cloud mithin ein Modewort geworden. Und schon haben auch Strategen der Energiewirtschaft den Begriff gekapert: Der Stromkonzern Eon zum Beispiel verkündet, Sonnenstrom in einer „Solar-Cloud“ zu speichern. Damit suggeriert das Unternehmen, man könne nun auch seinen selbst erzeugten Strom irgendwo in fernen Speichern parken und jederzeit darauf zugreifen – ähnlich, wie es mit persönlichen Daten geschieht, die auf Servern rund um den Globus statt auf der eigenen Festplatte liegen.
Vollmundig spricht der Versorger von einem „einzigartigen virtuellen Speicher“, mit dem man „Solarstrom unbegrenzt ansparen und bei Bedarf wieder abrufen“ könne: „An sonnigen Tagen bauen Sie ein Guthaben auf, das Sie in der Nacht, bei Regentagen, in den Wintermonaten oder für Ihr Elektroauto nutzen können.“ Werbeslogan: „Nutzen Sie jetzt einfach 100 Prozent eigenen Solarstrom.“
Auf Rückfrage muss das Unternehmen allerdings einräumen, dass dieses Konzept in erster Linie Marketing ist. Denn an den energiewirtschaftlichen Vorgaben kommt auch Eon nicht vorbei. Einspeisung und Strombezug sind zwei separate Vorgänge, die hier lediglich abrechnungstechnisch verknüpft werden. „Nebelkerze für die Energiewende“ nennt das die Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie.
Auch der Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV) in Aachen spart nicht mit Kritik: Der Kunde werde „kräftig an der Nase herumgeführt“, sagt Susanne Jung vom SFV, Eon betreibe die „perfekte Marketingstrategie“.
Solarstrom, der ins öffentliche Netz eingespeist wird, vermische sich mit Strom aus fossilen Quellen und Atomkraft, er werde über das Stromnetz allenfalls räumlich verschoben: „Eine zeitliche Verschiebung in Zeiten ohne Solarstrom findet nicht statt.“ Der Strom, den Eon liefert, wenn die Sonne gerade nicht scheint, stamme „ganz überwiegend nicht aus gespeichertem Solarstrom“.
Auch die politische Botschaft dieses Modells findet der SFV heikel. Denn das Angebot erwecke den Eindruck, Stromspeicher seien unnötig, als reichen der Stromhandel und die Digitalisierung. So werde „der Energiewirtschaft und der Politik beim Ausbremsen von Investitionen in echte Kurz-, Mittel- und Langzeitspeicher kräftig auf die Schulter geklopft“.
Auch ökonomisch sei dieses Modell für den Kunden nicht unbedingt vorteilhaft; zudem seien die Vertriebsstrukturen für die Kunden „in Teilen undurchschaubar“. Eon sieht die Kritik gelassen. „Die Kunden wünschen ein solches Angebot“, sagt Firmensprecher Stefan Moriße. Es sei einfach „ein anderes Gefühl“, wenn man „virtuell seinen eigenen Strom zurückgeliefert“ bekomme.
Eon ist mit seinem Cloud-Modell nicht allein. Der Oldenburger Versorger EWE nennt sein Konzept „My Energy Cloud“. Auch hier ist die Rede davon, dass sich damit „die Menschen nahezu komplett mit ihrem selbst erzeugten Solarstrom versorgen können“. Auch bei EWE funktioniert das Modell nur in der Kommunikation, während faktisch die Kunden mit dem normalen Ökostrommix des Unternehmens beliefert werden. Als Argument für das Konzept führt das Unternehmen einen „reduzierten administrativen Aufwand“ für die Kunden an: Indem Anlagenbetreiber ihre Einspeisevergütungen an EWE abtreten und diese bei der Stromrechnung gutgeschrieben bekommen, sei es für sie komfortabler.
Ein weiterer Anbieter ist die Firma Sonnen im bayerischen Wildpoldsried, die ihre „Sonnen-Community“ als „die erste dezentrale Energiegemeinschaft Deutschlands“ vermarktet. Alle Besitzer einer Sonnenbatterie seien „virtuell und intelligent miteinander verbunden“. So könnten sie „je nach Bedarf und Wetterlage überschüssigen Strom in die Community einspeisen oder benötigten Strom hieraus beziehen“. Dass freilich auch hier die energiewirtschaftliche Sicht eine andere ist, zeigt die gesetzlich verpflichtende Stromdeklaration: Sonnen weist in seinem Strommix, den das Unternehmen seinen Kunden liefert, 32 Prozent Kohle und 11 Prozent Atomstrom aus.
Was alle Akteure in diesem Geschäft eint, ist die Hoffnung auf Änderungen der energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Denn so bemüht und so werbetechnisch überdreht die heutigen Cloud-Konstruktionen sich mitunter präsentieren – in Zukunft sollen daraus echte Geschäftsmodelle im Dienste der Energiewende werden. Etwa, wenn überschüssiger Solarstrom von einem Dach unkompliziert und günstig von einem anderen Abnehmer verbraucht werden könnte. Doch für unkomplizierte und günstige Lösungen dieser Art ist der Rechtsrahmen heute noch nicht gegeben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen