: Gib nicht deine Rechte auf!
Eine junge Frau, die von zwei Polizisten vergewaltigt wird: Zum Auftakt der Arabischen Filmtage Berlin porträtiert Kaouther Ben Hanias Drama „Beauty and the Dogs“ ein nachrevolutionäres Tunesien, das in Bezug auf Frauenrechte noch einigen Nachholbedarf hat
Von Mirjam Ratmann
Eine junge Frau in einem glänzenden grünen Kleid rennt auf High Heels eine verlassene Straße entlang. Sie blickt sich panisch um, schreit und weint. Ihre Haare sind zerzaust, ihr Make-up verschmiert. Ein Mann folgt ihr. Als sie stolpert und hinfällt, bekommt er sie zu fassen. Ein Auto fährt vorbei, die Frau schreit erneut panisch auf. „Keine Sorge, sie sind weg“, versucht der Mann sie zu beschwichtigen. Doch die 21-jährige Mariam (gespielt von Mariam Al Ferjani) ist völlig aufgelöst, sie schluchzt und zittert am ganzen Körper.
Sie hatte mit Freundinnen in einem Club in Tunis tanzen wollen. Dann lernt sie Youssef (Ghanem Zrelly) kennen und verlässt mit ihm die Party. Was nun passiert, zeigt die Regisseurin Kaouther Ben Hania nicht, stattdessen erscheint plötzlich ein großes weißes „2.“ auf dem schwarzen Bildschirm. Youssef ist der Mann, der Mariam hinterhergelaufen ist. Er versucht sie zu beruhigen und bringt sie in ein Krankenhaus.
„Was hat sie denn?“, fragt die Rezeptionistin. „Sie wurde vergewaltigt und wir brauchen ein Dokument, das das beweist“, erklärt ihr Youssef im Flüsterton. Doch sowohl hier als auch im zweiten Krankenhaus, das die beiden aufsuchen, begegnen ihnen Gleichgültigkeit und Ablehnung. „Sie sieht doch gesund aus“, äußert eine Krankenschwester nüchtern, nachdem sie einen Blick auf sie geworfen hat. Auch ein Arzt darf sie nicht untersuchen, bevor die Polizei nicht Ermittlungen aufgenommen hat.
Der Film Mit "Beauty and the Dogs" der Regisseurin Kaouther Ben Hania eröffnet das Alfilm-Festival am Mittwoch, 11. April, um 20 Uhr im Kino Arsenal. Nochmals zu sehen ist der Film am Freitag, 13. April, um 19 Uhr im City Kino Wedding.
Das Festival Das arabische Filmfestival Alfilm findet dieses Jahr zum neunten Mal statt. Vom 11. bis 18. April sind dabei in verschiedenen Kinos über 40 Filme aus den arabischen Ländern zu sehen. Programm: www.alfilm.de
Um Aufmerksamkeit zu schaffen, spricht Youssef eine Journalistin an: Ihr erzählt er, dass zwei Polizisten Mariam vergewaltigt haben. Von nun an geht das Martyrium für Mariam erst los, denn sie will die Männer, die ihr das angetan haben, zur Rechenschaft ziehen. Doch die Polizisten, auf die sie nun trifft, haben nicht im Sinn, ihr zu helfen, im Gegenteil: Mariam wird gedemütigt und verhöhnt.
Kaouther Ben Hania greift in ihrem Film eine Geschichte auf, die sich in ähnlicher Form tatsächlich in Tunesien zugetragen hat. Eine 27-jährige Tunesierin, die im Jahr 2012 von zwei Polizisten vergewaltigt worden war, stand am Ende selbst vor Gericht, da man sie in einer „unanständigen Position“ mit ihrem Verlobten vorgefunden hatte. Ihr wurde vorgeworfen, sie hätte gegen die Sittlichkeitsgesetze des Landes verstoßen.
Der Fall sorgte international für Aufsehen, nachdem Hunderte Frauen protestierend durch die Straßen zogen. Erst daraufhin wurden die beiden Polizisten zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Obwohl seitdem eine neue Verfassung in Kraft getreten ist, die Frauen mehr Rechte zuspricht und sie formal vor Gewalt, wie zum Beispiel Vergewaltigung in der Ehe, schützt, zeigt der Film deutlich, dass das noch lange nicht in allen Strukturen verinnerlicht worden ist.
In „Beauty and the Dogs“ werden Polizisten dargestellt, die sich das Gesetz so zurechtbiegen, wie es ihnen passt, die sich als Behüter der revolutionären Errungenschaften sehen und eben deshalb ihre Institution bewahren wollen, auch auf Kosten anderer. Der Filmverlauf orientiert sich dabei an den einzelnen Stationen, die Mariam durchlaufen muss, um überhaupt erst einmal erhört zu werden – noch bevor sie untersucht wird, ihre Klamotten wechseln, geschweige denn duschen gehen kann. Stattdessen ist sie sexistischen und patriarchalen Polizeistrukturen ausgesetzt, die ihre Rechte und Würde mit Füßen treten. Als Youssef, der versucht, ihr beizustehen, willkürlich verhaftet wird, ruft er ihr zu„Lass dir nicht von ihnen Angst machen, gib nicht deine Rechte auf!“
Die Entscheidung der Regisseurin, diese Geschichte langsam zu entwickeln, wird unterstützt durch lange Kamerafahrten, melancholische, tragende Musik und Nahaufnahmen, insbesondere von Mariam. Sie ist es auch, die den Film trägt. Mariam Al Ferjani porträtiert eine Frau, die trotz Erniedrigungen, Rückschlägen und Einschüchterungen nicht aufgibt, für Gerechtigkeit zu kämpfen – auch wenn der Film nicht auflöst, wie die Geschichte ausgeht. „Beauty and the Dogs“ ist ein würdiger Eröffnungsfilm für die 9. Auflage von Alfilm, weil er Frauen vor und hinter der Kamera in den Fokus rückt.
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