Mögliche Zuckersteuer in Deutschland: Kids trinken Cola, Politiker schauen zu
Mit neuen Formaten wirbt Coca-Cola bei Jugendlichen. Eine Zuckersteuer muss der Konzern dennoch nicht befürchten.
Zusammen mit einem weiteren YouTube-Star turnt Dner unter professioneller Anleitung über Mauern und Geländer. „Parkour“ nennt sich dieser moderne Sport. Bis zur Pause. Die Jungs greifen beherzt zur frischen Coca-Cola: „Genau das brauche ich jetzt.“ Da sind sie sich einig. Es folgen weitere coole Aufnahmen, krasse Sprünge – und die Coke ist immer im Bild.
Das Gefährlichste an der Aktion sind nicht die waghalsigen Sprünge der Teenager. Die tatsächlich gesundheitsschädliche Unternehmung ist der Konsum von zuckerhaltigen Drinks wie Coca-Cola, für den mit dem Spot geworben wird. Darauf hat die Verbraucherorganisation Foodwatch am Mittwoch hingewiesen – in einem ausführlichen „Coca-Cola-Report“ (PDF).
Demnach ist Dner keine Ausnahme: 24 YouTuber, die mehr als eine Million Abonnenten haben, waren laut Foodwatch schon auf „CokeTV“ zu sehen. Die Videos wurden seit dem Start vor etwa vier Jahren mehr als 65 Millionen Mal abgerufen. Die Kampagne stehe zudem im Widerspruch zur Selbstverpflichtung des Konzerns, keine Werbung an Kinder unter 12 Jahren zu richten, kritisiert Foodwatch. „Coke spannt die beliebten YouTube-Stars geschickt vor seinen Marketing-Karren“, meint Foodwatch-Experte Oliver Huizinga. „Der Konzern nutzt die neuen Idole von Kindern und Jugendlichen, um mehr Zuckergetränke zu verkaufen.“
Jeder zehnte Jugendliche ist fettleibig
Und diese Strategie ist offenbar erfolgreich. Deutsche Jugendliche im Alter von 14 bis 17 trinken dem „Coca-Cola-Report“ zufolge viel zu viel Zuckergetränke: Mit rund einem halben Liter pro Tag ist der Verbrauch fast 15-mal so hoch wie von der amerikanischen Herzgesellschaft empfohlen.
Das bleibt nicht ohne Folgen: In Deutschland gilt aktuell etwa jeder vierte Erwachsene und jeder zehnte Jugendliche als fettleibig. Und die Zahl der in Deutschland an Typ-2-Diabetes erkrankten Personen wird auf 6,7 Millionen Menschen geschätzt – mit steigender Tendenz. Coca-Cola weist die Verantwortung dafür zurück. Die Einladung, sich direkt bei der Vorstellung des Reports zu äußern, schlug das Unternehmen mit der Begründung aus, man wolle sich nicht „an den von Foodwatch aufgestellten Pranger“ stellen lassen. Stattdessen wies Coca-Colas PR-Chef Patrick Kammerer die Vorwürfe schriftlich zurück: „Übergewicht ist ein komplexes Problem“, erklärte er. Ein direkter Zusammenhang mit dem Konsum zuckerhaltiger Getränke sei nicht nachgewiesen.
Anreiz oder Strafe? Versuche, dem gesundheitsschädlich hohen Zuckergehalt in Getränken durch eine „Sündensteuer“ beizukommen, gibt es inzwischen in mehr als zwei Dutzend Staaten. Hier drei Beispiele aus ferneren Gefilden:
Mexiko
Nirgendwo sonst verputzen die Leute solche Mengen süßer Getränke wie in Mexiko. Im Januar 2014 verhängten die Behörden eine Steuer, die den Preis für alle gezuckerten Getränke (außer auf Milch) um zehn Prozent anhob. Nach offiziellen Angaben sanken die Verkäufe der betroffenen Marken um 5,5 Prozent im Jahr 2014 und um 9,7 Prozent im Jahr darauf.
Saudi-Arabien
Seit Juni vergangenen Jahres werden Energydrinks mit zu 100 Prozent und süße Erfrischungsgetränke zu 50 Prozent besteuert – deren Preise damit bis zur doppelten Höhe gestiegen sind. Die Vereinigten Arabischen Emirate sind dem Beispiel inzwischen gefolgt.
Singapur
Sieben der hier wichtigsten Softdrink-Firmen (einschließlich Coca-Cola und PepsiCo) haben sich verpflichtet, den Zuckergehalt aller ihrer im Stadtstaat verkauften Getränke bis 2020 auf höchstens 12 Prozent zu beschränken. (li)
Dem widerspricht Foodwatch im Coca-Cola-Report ausdrücklich. Der Zusammenhang von erhöhtem Konsum zuckergesüßter Getränke und Übergewicht sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern sei „wissenschaftlicher Konsens“, heißt es dort. Der Genuss der Zuckergetränke führe dazu, dass viele Kalorien in kurzer Zeit aufgenommen werden, die nicht lange sättigen und den Konsum sogar noch weiter anregen. Zudem führe der zusätzlich aufgenommene Zucker „bewiesenermaßen zu einem erhöhten Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden oder an Gicht zu erkranken“, sagt Huizinga.
Die Deutsche Adipositas-Gesellschaft und die Deutsche Diabetes-Gesellschaft fordern darum, die an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel zu verbieten. Foodwatch verlangt darüber hinaus auch, eine Sonderabgabe auf Zuckergetränke einzuführen. Dieses Instrument hat in anderen Staaten den Konsum und den Zuckergehalt deutlich gesenkt. Besonders überzeugend findet die Organisation das Konzept, das Großbritannien in dieser Woche einführt.
In Deutschland hingegen hat eine solche Sondersteuer wenig Chancen. Im Koalitionsvertrag heißt es nur unverbindlich, die Regierung wolle für ihre „nationale Reduzierungsstrategie für Zucker, Fett und Salz in Fertigprodukten“ im Jahr 2018 „ein Konzept arbeiten“. Einzelheiten dazu sind noch nicht bekannt.
„Der Lebensmittelindustrie auf die Füße treten“
Die neue CDU-Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner hat sich in ihrer ersten Regierungserklärung (PDF) klar gegen eine solche Maßnahme ausgesprochen. „Ich bin nicht der Meinung, dass man Produkten oder einzelnen Rohstoffen allein die Schuld dafür geben kann“, sagte Klöckner. „Wir müssen uns den Lebensstil als Ganzes anschauen.“ Am Mittwoch bekräftigte sie, dass sie eine Zuckersteuer ablehne. Und selbst die Opposition tut sich schwer damit, dem Wahlvolk durch eine neue Steuer die Lust am Zucker zu nehmen. Renate Künast, selbst ehemalige Landwirtschaftsministerin und jetzt ernährungspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, erklärte angesichts der Foodwatch-Veröffentlichung zwar: „Wir müssen der Lebensmittelindustrie endlich auf die Füße treten.“
Doch die Forderungen, mit denen diese scharf klingende Ansage unterlegt wird, klingen eher weich: Die Grünen verlangen „eine verbindliche transparente Lebensmittelampel“ und – wie der Koalitionsvertrag von Union und SPD – eine „nationale Reduktionsstrategie für Zucker, Salz und Fett“. Teurer werden sollen ungesunde Produkte hingegen nicht. Auch die Linke verzichtet darauf und fordert neben einer bessere Kennzeichnung von Lebensmitteln lediglich „mehr Aufklärung“.
Selbst wenn es diese eines Tages geben sollte: Dass sie die gleiche Reichweite erreicht wie die von Coca-Cola gesponserten YouTube-Videos, darf bezweifelt werden. Die guten Geschäfte mit überzuckerten Getränken gehen hierzulande also vorerst ungehindert weiter.
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