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Kolumne Knapp überm BoulevardAuch so kann Liberalismus aussehen

Isolde Charim
Kolumne
von Isolde Charim

In den USA und Österreich machen sich Menschen für restriktive Gesetze stark. Eigenverantwortung und Verbot sind keine Gegensätze mehr.

Jugendliche protestieren am 24. März 2018 in Washington für ein verschärftes Waffengesetz Foto: ap

L etzten Samstag gingen in den USA mehr als eine Million Menschen auf die Straße. Nach dem Amoklauf an einer High School in Florida fanden Kundgebungen im ganzen Land statt. Unter dem Motto „March for our lives“ forderten sie schärfere Waffengesetze, damit so etwas „Nie wieder“ geschehe. Allein in Washington waren Hunderttausende dabei, als die High-School-Schülerin Emma Gonzalez bei 6 Minuten und 20 Sekunden – exakt die Dauer des Amoklaufs – ihr minutenlanges Schweigen brach. Zuvor hatte sie nach der Verlesung der 17 Toten unter Tränen kein Wort mehr gesagt. In Österreich hat die rechte Regierung angekündigt, das absolute Rauchverbot in der Gastronomie zu kippen – also das Rauchen in Lokalen wieder zu genehmigen.

Die Ärztekammer Wien (jetzt nicht gerade der Inbegriff einer Graswurzelbewegung) hat daraufhin unter dem Titel „Don’t smoke“ ein Volksbegehren gestartet, um gegen die Aufhebung des Verbots zu protestieren. Innerhalb kürzester Zeit haben mehr als eine halbe Million Menschen unterschrieben. Es mag absurd erscheinen, diese beiden Ereignisse in einem Atemzug zu nennen. Nicht absurd ist aber, was sie verbindet.

Zum einen handelt es sich in beiden Fällen um Einsprüche gegen Rechtspopulisten, die an der Macht sind. Zum anderen aber haben diese Einsprüche eine besondere, neue Form. Dass sie aus der Zivilgesellschaft heraus formuliert werden, ist nicht das Novum daran. Das Besondere aber ist, was hier formuliert wird: Forderungen nach einem Gesetz. Die Forderung nach einer Verschärfung der laxen Waffengesetze in den USA. Und die Forderung nach der Beibehaltung einer strikten Antiraucherverordnung.

Hier ergeht der Ruf nach Schutz gegen eine Politik, die diesen Schutz eben nicht gewährt. Eine Politik, die als Law-and-Order Politik angetreten ist und die die Körper, das Leben, eben nicht schützt. So müssen die Menschen diesen Schutz selbst in die Hand nehmen und Gesetze von ihren Law-and-Order-Politikern einfordern. Seitens der Zivilgesellschaft formuliert und artikuliert, bricht sich ein Ruf nach Regulierung Bahn. Ein Ruf nach staatlicher Regulierung – als Einspruch gegen die Deregulierungen der Regierung! Ein Ruf nach Gesetzen – als Einspruch gegen die Populisten.

Das ist nicht nur großartig. Das ist auch ein unerwartetes Vorgehen. Denn das wirbelt die Kategorien durcheinander. Bisher hieß Zivilgesellschaft: Hier wird der selbstständige Bürger, der eigenverantwortlich sein Leben bestimmt, in Stellung gebracht gegen eine staatliche Bevormundung. Das war die Anordnung des Liberalismus. Hier der Einzelne, dessen Freiheit gegen die Zumutungen behauptet, gegen die Zugriffe des Staates geschützt werden muss. Dieser Einzelne, der sich nur frei von Eingriffen des Staates entfalten kann. Und entgegen der Annahme, dass Rechtspopulisten und Liberalismus einfach ein Gegensatz wäre, berufen sich etwa die österreichischen Freiheitlichen auch auf die Freiheit und deren Verteidigung. Anders gesagt, es sind Rechtspopulisten, die sich als Schutzmacht der Freiheit gerieren – nicht aber als Schutzmacht der liberalen Gesellschaft.

Jetzt wird dies sowohl in den USA als auch in Österreich nun gegen sie ins Treffen geführt. Mehr noch: Hier wird der Gegensatz verkehrt! Die Leute mobilisieren sich, setzen sich in Bewegung, gehen auf die Straße. Sie versammeln sich und ihre Unterschriften, um sich für ein Verbot starkzumachen. Sie fordern selbstbestimmt staatliche Vorschriften. Sie nehmen sich die Freiheit, nach gesetzlichen Regulierungen zu rufen! Eigenverantwortung und Verbot sind da keine Gegensätze mehr. Man demonstriert nicht allgemein gegen die Regierung, sondern für konkrete Gesetze. Man stärkt den Rechtsstaat gegen die Regierung. In populistischen Zeiten muss man feststellen: Auch so kann Liberalismus ausschauen.

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3 Kommentare

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  • 7G
    75064 (Profil gelöscht)

    Das ist kein irgendwie gearteter Gegensatz, sondern das ist das Wesen einer grundrechtlich ausgerichteten Gesellschaft. Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit soll, nein muss, der Staat, die Regierung, das Parlament gegen das Recht auf Eigentum und das in der neoliberalen Gesellschaft daraus (unzulässigerweise) abgeleitete Recht auf maximalen Profit abwägen. Hier geht es also nicht um liberal versus restriktiv sondern m.E. eher um praktische Konkordanz.

  • "Unter dem Motto „March for our lives“ forderten sie schärfere Waffengesetze, damit so etwas „Nie wieder“ geschehe."

     

    Sie können natürlich fordern, was immer sie wollen; ist ihr gutes Recht. Nur was sind die Folgen?

     

    Z.B. die NRA. Sie wird (vollkommen zu Recht!!!) für ihren großen Einfluß auf die US Politik kritisiert. Nur wie finanziert sich die NRA eigentlich? Sie finanziert sich über Mitgliederbeiträge und Spenden. Seit dem Parkland Massaker und den damit verbundenen Ruf nach schärferen Waffengesetzen kann sie sich über viele neue Mitglieder und eine Verdreifachung der Spendeneinnahmen freuen!

     

    Ähnliches gilt für die Waffenhersteller / -verkäufer, die zur Zeit ordentlich Kohle machen. Viele Amis kaufen einfach jetzt Schießeisen aus Angst das sie bald verboten sein könnten.

     

    Beim Fußball nennt man so etwas ein Eigentor....

     

    Und dann ist da natürlich noch Trump, der politischen Selbstmord beging. Dieser Unterschrieb, in Deutschland wenig beachtet, am 23.3. einen sogenannten "Omnibus Bill". Ich will über den Inhalt nicht weiter ins Detail gehen, wichtig ist nur das sich seine Wähler dadurch verraten sehen und ihn in Scharen die Gefolgschaft kündigen. Selbst Ann Coulter, ultrakonservative Kolumnistin und Trump Unterstüzerin der ersten Stunde will ihn nun impeached sehen.

     

    Unter diesen Umständen wäre es für die Demokraten ein leichtes in den im November stattfindenden "Midterm Elections" die Mehrheit im Repräsentantenhaus und Senat zu erobern und so Trump für den Rest seiner Amtszeit zu blockieren.

     

    Durch die Waffenrechtsdiskussion kann Trump nun aber alle mobilisieren, die sich sagen:"Kann zwar weder Trump noch den Republikanern was abgewinnen, aber wenigstens wollen sie nicht an der Verfassung rumdoktern."

     

    Zusammengefasst:

    1.) Mehr Macht für die NRA

    2.) Noch mehr Knarren im Umlauf

    3.) Schützenhilfe für den eigentlich erledigten Trump

     

    Das sind die Folgen der ideologisch extrem aufgeladenen Waffenrechtsdebatte.

  • „Liberalis“, der Ursprung des Wortes Liberal, ist lateinisch und bedeutet so viel wie „die Freiheit betreffend“. Davon, dass die Freiheit nur Auserwählten zusteht, ist ursprünglich genau so wenig eine Rede gewesen wie davon, dass Tod und Leiden besonders frei machen.

     

    Freiheit war immer schon auch die des Anderen. In sofern sind Eigenverantwortung und Verbot noch nie Gegensätze gewesen. Nicht in Gemeinschaften. Da hat die Freiheit der Einen immer schon ihre Grenzen gefunden, wo die der Anderen begonnen hat. Gesetze haben diese Grenzen für alle gleichermaßen festgelegt. Das haben die, die bisher (fast) allein das Sagen hatten, nur nicht gerafft. Kein Wunder, das. Waren die Herrscher doch über Jahrtausende hinweg fast ausschließlich Männer ohne echten Familienanschluss aber viel Hass im Bauch.

     

    Übrigens: Der politische Liberalismus ist laut Lexikon „eine Grundposition [...], die eine freiheitliche politische, ökonomische und soziale Ordnung anstrebt.“ Ich frage mich, wie irgend jemand, dem Worte was bedeuten, Rechtspopulisten oder Propheten des „reinen“ Marktes jemals mit Liberalen verwechseln konnte. Außerdem frage ich mich, wieso die „Linken“ den Liberalismus ausgerechnet denen überlassen mussten, die Schindluder damit treiben wollten. Weil es mehr Spaß gemacht hat, über die FDP zu lästern, als ihr politisch was entgegenzusetzen?

     

    Ja, auch und gerade das kann Liberalismus sein: Nicht allgemein GEGEN die Regierung zu demonstrieren, sondern FÜR eine Regierung, die ordentlich arbeitet. Wer einen Hoffnungsschimmer sucht am Ende eines langen dunklen Tunnels, der kann angesichts einzelner Beispiele gerne vom Sommer des mündigen Bürgers träumen. Er sollte dann allerdings aufhören, Zeitung zu lesen, Radio zu hören oder im Internet zu surfen. Da nämlich ist vom Liberalismus längst noch keine Rede. Da haben Patriarchen jeglichen Geschlechts und Alters immer noch die große Klappe. Eigenverantwortung? Ist an der Medien-Basis noch eindeutig Mangelware.