: Der Reichtum der Anderen
Zwischen den Villen im Grunewald und den Plattenbauten in Hellersdorf liegen 20 Kilometer und trotzdem trennen sie Welten. Auf der Suche nach sozialem Neid in Berlin
Von Sophie Japp, Johanna Kiermaier, Johannes Oswalt und Finn Schädlich
Ein schwarzer Geländewagen hält zwischen zwei großen Eichen vor dem Edeka am Bahnhof Berlin-Grunewald. Nur vereinzelt kaufen Menschen hier ein. Vielleicht sind ihre Kühlschränke für das Wochenende gefüllt. Vielleicht liegt es am Wetter. Es ist kalt. Der Nebel liegt schwer zwischen den Häusern. Auf der anderen Straßenseite steht Helmut Beißner vor einer blätterlosen Hecke, die eine Villa mit Erkertürmchen umschließt. Der Rentner wohnt um die Ecke, hat eine Zweitwohnung im Wedding. Ist Reichtum gerecht?
“Wer sein Geld rechtschaffen erwirbt, darf auch ein gutes Gehalt beziehen. Leistung muss sich lohnen.“ Kürzlich hatte Gesundheitsminister Jens Spahn gesagt, Hartz IV biete alles, was Menschen zum Leben brauchen. „Ein bisschen überzogen, in der Tendenz aber richtig“, sagt Beißner. Ärmere Menschen sollten jedoch die finanzielle Möglichkeit haben, an kulturellen Veranstaltungen teilzunehmen. Ihm ist es wichtig, soziale Verantwortung zu übernehmen. Beißner engagiert sich in der Obdachlosenhilfe. Gibt es Neid auf höhere Einkommen? „Ja, den gibt es.“ Sozialneid sei vor allem dort verbreitet, wo nicht viel da ist. „Es steht immer der sozial Stärkere im Fokus.“
In Grunewald bleibt man meist unter sich. Menschen wie Peter Kowalski* bekommen jedoch einen Einblick in das Leben hinter den hohen Hecken.
Der Landschaftsgärtner kümmert sich um die Villengärten im Berliner Südwesten. Während seine Kund*innen für einen Bonsai-Baum schon einmal 50.000 Euro hinlegen, wohnt er selbst in einer Wohnung ohne Garten und Balkon. Doch Kowalski nimmt es mit Humor. „Wer braucht schon schöne Gärten – das ist purer Luxus“, sagt er am Telefon.
An den Verhältnissen könne man sowieso nichts ändern. Neid verspürt er nicht. „Die leben einfach in einer anderen Welt, das sind Dimensionen, die man sich nicht vorstellen kann.“ In den Wedding zurückkehren wird er nicht. „Da war es so dreckig“, sagt Kowalski. Zwischen Buchsbaumhecke und gestutztem Rasen fühlt er sich wohler.
Faszination für Glanz
Auch die 24-jährige Paulina Weidemann* führte die Faszination für Glanz und Luxus in die Welt der Wohlhabenden. Die gelernte Hotelfachfrau schwärmt im taz-Café von ihrer Arbeit in einem Berliner Fünf-Sterne-Hotel. Vor ihrer Ausbildung war diese Welt für sie noch ein Mysterium, jetzt ist sie ein Teil von ihr. „Das ganze Umfeld ändert sich, man verschiebt seine Prioritäten.“ Der tägliche Umgang mit Luxus färbe ab. „Billig-Alkohol trinke ich nicht mehr.“ Mittlerweile leiste sie sich lieber mal ein Glas Champagner. Von Neid will Weidemann nicht sprechen, aber natürlich wecke ihr Alltag den Wunsch, auch mal so viel Geld zu verdienen. „Natürlich wird das in meinem Job nicht ganz leicht.“
Im Bezirk Marzahn-Hellersdorf geht es fernab von Champagner und Bonsai-Bäumen um existenziellere Fragen. Findet man hier den Sozialneid, von dem Helmut Beißner spricht? Hier wachsen immerhin knapp vierzig Prozent der Kinder und Jugendlichen in Familien auf, die auf Hartz IV angewiesen sind.
Marcel Hanfler lebt hier. Er läuft Richtung U-Bahn über den Alice-Salomon-Platz. Neidisch auf reichere Menschen ist er nicht. „Die haben es sich wohl verdient. Natürlich würde ich auch gerne dahin. Das heißt nicht, dass ich es Anderen nicht gönne“, sagt der Bademeister. „Wenn ich mehr Geld verdienen möchte, dann kann ich mir das erarbeiten. Durch zusätzliche Bildung zum Beispiel.“
Die Grünflächen zwischen den großen Plattenbauten in Hellersdorf sind für alle zugänglich. Auf der Straße trifft man viel mehr Menschen als in Grunewald. Wen man auf das Thema Sozialneid anspricht, redet offen darüber. Viele mussten in den letzten Jahren aus anderen Bezirken hierher ziehen. Auch Christina König* konnte ihre Miete in Kreuzberg nicht mehr bezahlen und wohnt jetzt mit ihrer Tochter Luca in der großen Plattenbausiedlung im Berliner Osten. Als arbeitslose und alleinerziehende Mutter bezieht sie Hartz IV. „Wir haben zu zweit knapp 1000 Euro zur Verfügung und damit kommen wir schon über die Runden. Für Kleidung und Spielzeug für mein Kind reicht es aber nicht.“
Vieles habe sich für sie verändert. „Ich lerne hier keine neuen Leute mehr kennen“, erzählt die Anfang 30-Jährige. Dass sie wie viele andere im Bezirk nicht an der Kultur teilnehmen kann, ist für sie das größte Problem. „Für die Leute in Hellersdorf bleibt als Kultur nur, sich vor dem Supermarkt bei einem Bier zu unterhalten. Was anderes können sich die Leute nicht leisten.“
Sie schaut sich nach Luca um, die auf der Wiese spielt. „Es gibt keine Debatte um unsere Situation. Niemand kümmert sich darum, dass sich die Verhältnisse für uns verändern“, sagt König. Die Frage, ob sie neidisch auf Reiche ist, verneint sie. Sie macht nicht die Menschen mit mehr Geld für die Ungerechtigkeit verantwortlich.
Christina König versucht, für ihre Tochter und sich das Beste aus der Situation zu machen. „Wir lassen uns von niemandem mehr ärgern, Luca wa?“
* Namen geändert
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