„Ausländerstopp“ bei der Essener Tafel: Der Pass soll keine Rolle mehr spielen
Die Essener Tafel nimmt wieder Ausländer auf. In Zukunft sollen bei Platzmangel Alleinerziehende und SeniorInnen bevorzugt werden.
Details dazu wollte der 61-Jährige erst einmal nicht nennen: „Zunächst sollen unsere Außenstellen informiert werden. Ich möchte nicht, dass unsere Leute das in der Zeitung lesen müssen.“ Es gilt aber als sicher, dass sich die Hilfsorganisation an den Empfehlungen eines Runden Tisches orientiert, zu dem die Verwaltung der Ruhrgebietsmetropole im März die Tafel, Wohlfahrtsverbände und MigrantInnenorganisationen zusammengerufen hatte: Der hatte geraten, bei Engpässen künftig bevorzugt Alleinerziehende, Familien mit minderjährigen Kindern und SeniorInnen neu in die Liste der Hilfsbedürftigen aufzunehmen. Die Staatsangehörigkeit soll dagegen keine Rolle mehr spielen.
Im Februar war bekannt geworden, dass die Essener Hilfsorganisation bereits seit Dezember nur noch Deutsche mit einer sogenannten Kundenkarte, die zum Lebensmittelempfang berechtigt, ausgestattet hat. Bereits registrierte MigrantInnen erhielten allerdings weiter Unterstützung. „Da aufgrund der Flüchtlingszunahme in den letzten Jahren der Anteil ausländischer Mitbürger bei unseren Kunden auf 75 Prozent angestiegen ist, sehen wir uns gezwungen, um eine vernünftige Integration zu gewährleisten, zurzeit nur Kunden mit deutschem Personalausweis aufzunehmen“, hieß es zur Begründung.
Der wie alle Tafel-MitarbeiterInnen ehrenamtlich tätige Vereinsvorsitzende Sartor machte außerdem mit zumindest ungeschickten, rassistisch klingenden Statements von sich reden: Besonders Syrer und Russlanddeutsche hätten ein „Nehmer-Gen“, eine „Anstellkultur“ fehle, sagte der im Umgang mit Medien offenbar unerfahrene ehemalige Bergmann Spiegel Online.
„Nicht gut“, sagte Merkel
Ein Aufschrei folgte. Autos und Gebäude der Tafel wurden mit „Nazi“-Graffiti besprüht, PolitikerInnen aller Bundestags-Parteien verurteilten den Aufnahmestopp für AusländerInnen. Kanzlerin Angela Merkel urteilte, die Entscheidung der Essener Tafel sei „nicht gut“. Warum Hilfsbedürftige in der Bundesrepublik überhaupt für Lebensmittel Schlange stehen müssen, erklärte sie dagegen nicht.
Allerdings: Seit der Essener Entscheidung wird wieder über Armut debattiert. Während CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn Hartz IV „zur Antwort der Solidargemeinschaft auf Armut“ erklärte, nannte Grünen-Chef Robert Habeck die von seiner Partei mitbeschlossenen Arbeitsmarktreformen Ursache für „Demütigungen und Existenzängste“. Selbst in der SPD wird mit dem „solidarischen Grundeinkommen“ über das Ende von Hartz IV nachgedacht, das unter anderem die Linkspartei schon lange fordert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Krieg in der Ukraine
Russland droht mit „schärfsten Reaktionen“
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken