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taz-Serie Neu-BerlinernDer Brexit hat sie nach Berlin gebracht

Großbritanniens Ausstieg aus der EU als Grund, die Heimat zu verlassen: Im zehnten Teil ihrer Serie trifft sich Henriette Harris mit Carol Van Buren.

Früher ab und zu, jetzt ständig in Berlin: die britische Juristin Carol Van Buren Foto: André Wunstorf

Sie saß in der ersten Reihe in der britischen Botschaft. Sie fiel auf mit ihren üppigen geflochtenen Haaren und mit ihrer präzisen Frage zum Brexit und dessen Konsequenzen für die britischen Staatsbürger in Deutschland.

Sir Sebastian Wood, Großbritanniens Botschafter in Deutschland, ist zwar charmant – natürlich ist er das –, und es ist ihm auch klar, dass „das Referendum Anlass zu Sorgen und Enttäuschungen für Briten, die in der EU leben“, gibt. Aber die Fragen seiner empörten und beunruhigten Landsleuten, die nun ihre Lebensgrundlage im EU-Europa für sich schwinden sehen, kann er nicht immer klar und zufriedenstellend beantworten. Doch immerhin spricht er sicherlich die Wahrheit, als er verkündet: „Ich hoffe, ihr habt das Gefühl, dass wir eine zugängliche Organisation sind. Unsere Türen sind offen. Metaphorisch gesehen.“

Beim letzten Zusatz bricht der mit mehreren Hundert Zuhörern besetzte Saal in Gelächter aus. Eine Situation ist nie so ernst, dass die Briten nicht da­rüber lachen können.

Schon bei diesem Treffen in der Botschaft erzählt Carol Van Buren, dass sie vor kurzer Zeit nach Berlin gekommen ist. Der Brexit ist der Grund, warum sie Großbritannien verlassen hat. Briten, die fünf Jahre in Deutschland gelebt haben, erwerben das Recht auf einen permanenten Aufenthalt. Für Carol Van Buren hat der Countdown so schon angefangen.

Unser nächstes Treffen findet im Literaturhaus in der Fasanenstraße statt. Carol Van Buren hat den Ort gewählt, sie wohnt in Charlottenburg nicht weit vom Literaturhaus.

Als Dolmetscherin in Brüssel

Die promovierte Juristin, die auch einen Abschluss in Sprachen und eine Vergangenheit als Dolmetscherin in Brüssel hat, kam im Sommer 2017 nach Berlin. Vor Kurzem hat sie begonnen, ju­ristische Texte für Berliner Rechtsanwälte zu übersetzen.

In England hat die Klasse viel mehr Bedeutung als die Hautfarbe

Carol Van Buren

Bevor sie in Berlin gelandet ist, hat sie einen Sommersprachkurs im dänischen Helsingør gemacht. „Weil ich nur in einem Land leben möchte, wo ich auch die Sprache spreche“, sagt sie. Aber Dänemark war ihr zu teuer, und sie war sich auch nicht sicher, dass sie die Sprache gut genug beherrschen würde, um einen Job zu bekommen.

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Neu in der Stadt: Immer mehr internationale Zuzügler sind in den vergangenen Jahren nach Berlin gekommen. Sei es, weil die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen in ihren Heimatländern nicht mehr stimmen, sei es, weil sie beruflich oder privat an der Spree neu durchstarten wollen.

Die Serie: Was suchen und was finden sie in Berlin? Unsere Autorin Henriette Harris, die 2004 aus Kopenhagen nach Berlin kam, stellt die Neuankömmlinge an dieser Stelle einmal im Monat vor.

„Dann bin ich nach Amsterdam gefahren. Amsterdam ist schön, es ist sehr multikulturell, aber es hat immer geregnet, und dann habe ich gedacht: Ich schaue mir Berlin an. Und dann war ich genau die vier Tage hier, an denen es Sonne gab, und die Entscheidung war einfach“, sagt sie. Es ist allerdings nicht das erste Mal, dass Carol Van Buren in Deutschland und Berlin lebt.

„Ich bin 1964 in London geboren, aber mein Vater war in der britischen Armee, und wir haben in den 60er und 70er Jahren in Deutschland gelebt. Mein Bruder ist in Westdeutschland geboren. Die Arbeit meines Vaters hat uns auch in den Nahen Osten und nach Zypern, Spanien und Dänemark gebracht, wo ich immer Nato-Schulen besucht habe“, erzählt sie.

Zurück in London

Als die Familie zurück nach London ging, war Carol Van Buren 13 Jahre alt. Ihr Vater hatte eine Arbeit bei der Polizei angefangen, was von den anderen schwarzen Kindern als Verrat empfunden wurde. Carol wurde gehänselt – und sie war außerdem extrem gelangweilt. Im Ausland hatte sie, weil sie schlau ist, immer eine höhere Klassenstufe besucht. Jetzt war sie zurück unter ihren Altersgenossen.

„Ich habe angefangen, Unsinn zu machen, aber dann habe ich in Deutsch eine schwarze Lehrerin bekommen. Sie hat zu mir gesagt: ‚Du musst doppelt so hart arbeiten, weil du Frau und schwarz bist.‘ Sie hat mir Zusatzaufgaben gegeben, ich habe einen Schüleraustausch in Bremen gemacht und tolle Freunde gefunden, mit denen ich nach 35 Jahren noch immer in Kontakt stehe. Letztendlich hat es zu einem Studienplatz in Cambridge geführt“, erzählt Carol Van Buren, deren Großeltern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Jamaika nach Großbritannien kamen. An der viertältesten Universität der Welt hat sie ihren ersten Abschluss in Sprachen gemacht.

Von dort ging es direkt nach Brüssel, wo sie einen Praktikumsplatz als Dolmetscherin bekam. „In der EU hat man Briten ermutigt, sich zu bewerben. Erstens, weil sie normalerweise keine Fremdsprachen sprechen, und zweitens, weil sie sich nicht für die EU interessieren. Auch damals nicht“, sagt sie. „Aber mit 22 Jahren war ich zurück in London und wusste nicht so genau, in welche Richtung mein Leben gehen würde.“

Ende der Achtzigerjahre hatte sie einen deutschen Freund in Westberlin. „Ich war Anfang November 1989 in Berlin, um ihn zu besuchen. Wir wussten, dass etwas passieren würde, und am 9. November sind wir ausgegangen, um eine Pizza zu essen. Plötzlich haben wir gehört: Die Ossis sind hier! Es gab Menschen überall. Ich dachte: Wow! Am nächsten Tag waren die Läden leer, und man hat schon in den ersten Tagen gehört und gespürt: Deutschland für Deutsche! Westberlin war wirklich sehr cool, aber jetzt kam der Rassismus. Das war der Grund, warum ich nicht zu meinem Freund nach Berlin gezogen bin. Berlin hatte für mich lost it’s charm. Viele Jahre kam ich nur für Konferenzen und Vorträge hierher. Vor dem Mauerfall war Berlin arm, aber sexy. Jetzt war es nur arm“, sagt Carol Van Buren.

Mit 25 fing sie dann an, Jura zu studieren. Diesmal am King’s College London. „Ich war das richtige Gesicht zum richtigen Zeitpunkt. Ich wurde Partner in einer Firma und habe immer gearbeitet. Zu viel gearbeitet“, erzählt sie, die auch zwei Kinder bekommen hat. Ihre Tochter und ihr Sohn, heute 25 und 27 Jahre alt, leben beide in New York. Die Tochter ist Model („mir wäre es lieber, wenn sie Physik studieren würde“, lacht Van Buren), ihr Sohn ist Künstler.

Lieber ein schnelles Internet

Als die Finanzkrise kam, begann sie, unentgeltlich für verschiedene Wohltätigkeitsorganisationen zu arbeiten. Gleichzeitig unterrichtete sie am King’s College, und als die Flüchtlinge nach Europa kamen, hat sie oft welche bei sich zu Hause versorgt. „Mein Mann war nicht so begeistert, es wurde uns langsam klar, dass wir verschiedene Wege gehen möchten. Und diesen Sommer habe ich dann ihn und England verlassen.“

In wenigen Tagen fand Carol Van Buren eine Wohnung in Charlottenburg. „Ich wollte kein Graffito, aber ein schnelles Internet“, grinst sie.

Vollkommen überzeugt von Berlin ist sie aber noch nicht. „Kurz nach meiner Ankunft kam der Herbst und dann der Winter. Ich hatte keine Arbeit, war deprimiert. Es war kalt, und die Berliner lächeln dich nie an. Und der Russe, der meine Pakete entgegennimmt, ist ein Rassist. Einmal hat er seinen Hund auf mein Paket pissen lassen. Daran bin ich nicht gewöhnt. In England hat die Klasse viel mehr Bedeutung als die Hautfarbe. Hier ist es das Gegenteil. Hier wirst du nach deiner Hautfarbe eingeschätzt. Berlin ist gar nicht so multikulturell, wie es denkt, aber schmückt sich zu viel damit“, sagt sie.

Ihre Eltern, die jetzt ihr Rentenalter in Jamaika verbringen, haben sie davon überzeugt, sie zu besuchen. „Den ganzen Januar dort mit Sonne und gutem Essen, und ich war wieder aufgefüllt. Als ich zurückkam, hat mein Freund Frank, den ich seit dem Bremer Schüleraustausch kenne und der ein Anwaltsbüro am Kurfürstendamm hat, zu mir gesagt: Du brauchst eine Beschäftigung. Als Anwältin zu arbeiten hatte ich keine Lust. Damit verdient man hier auch zu wenig. Aber die Übersetzungen finde ich toll, und mit der juristischen Übersetzung kombiniere ich meine beiden Ausbildungen. Also bin ich freiberufliche Übersetzerin geworden. Ich hoffe, dass ich bis zum Erscheinen dieses Artikels auch eine Website habe. Übrigens habe ich die Domain www.vb-translations.com schon gekauft“, sagt Carol Van Buren. „Hoffentlich stört es dich nicht, wenn ich die Gelegenheit nutze, ein bisschen für mich zu werben“, fügt sie lachend hinzu.

Sie findet es großartig, dass es in Berlin so viel Kultur gibt, „Obwohl ich das bis jetzt wenig ausgenutzt habe.“ Und jedes Mal, wenn sie sich schlecht fühlt, hat sie Freunde, die ihr helfen, sich wieder besser zu fühlen. „Die älteren Berliner in meiner Gegend lächeln mich auch oft an. Vielleicht sind sie mehr an schwarze Menschen gewöhnt“, lacht sie.

Für den Fall, dass sie sich doch nicht in Berlin zurechtfinden sollte, überlegt Carol Van Buren, nach Hamburg zu ziehen: „Ich fühlte mich immer wohl in Norddeutschland und habe dort Freunde, aber manche sagen, dass sich auch Hamburg ganz schön verändert hat.“

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