: Zehntausende gegen die Festnahme Puigdemonts
98 Verletzte bei Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Separatisten in Barcelona. Folgen für die Regierung Rajoy unabsehbar
Aus Madrid Reiner Wandler
Kaum war bekannt, dass Kataloniens Ex-Regierungschef Carles Puigdemont in Deutschland auf dem Weg von Finnland nach Belgien verhaftet worden war, riefen die Verfechter der Abspaltung von Spanien auch schon zu Protesten. In Barcelona zogen Zehntausende von der Vertretung der Europäischen Union zum deutschen Konsulat und forderten, Puigdemont und die neun in Spanien wegen „Rebellion“ und „Veruntreuung öffentlicher Gelder“ in Untersuchungshaft sitzenden Politiker und Aktivisten freizulassen.
Den ganzen Abend und die halbe Nacht über wurden Fernstraßen und Autobahnmautstellen blockiert. In Barcelona kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten. Polizisten stürmten Kneipen und räumten sie. Fernsehberichte zeigten Mannschaftswagen, die in die Menge fuhren. 98 Verletzte zählten die Krankenhäuser am Ende. 9 Demonstranten wurden verhaftet.
Am Abend hielt der Präsident des katalanischen Parlaments, Roger Torrent, eine Fernsehansprache. „Wir sind Leute des Friedens“, beteuerte er und forderte die Befürworter der Unabhängigkeit auf, auch weiterhin besonnen zu handeln. Auch Puigdemont schickte aus dem Gefängnis einen Aufruf gegen jedwede Gewalt.
Torrent lud in seiner Ansprache alle politischen Kräfte, die großen Verbände und Organisationen der Zivilgesellschaft sowie Gewerkschaften zu einer „Front zur Verteidigung der Grundrechte, der Demokratie und der Institutionen“. Ein ähnliches Bündnis hatte bereits nach dem Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober einen Generalstreik und Demonstrationen organisiert, damals aus Protest gegen den brutalen Polizeieinsatz am Wahltag, bei dem es über 900 Verletzte gab.
Die Sprecherin der Liste Puigdemonts, „Gemeinsam für Katalonien“ (JxCat) Elsa Artadi, beteuerte derweil den Wunsch, doch noch einen Weg zu finden, um Puigdemont trotz seiner Inhaftierung zusammen mit den anderen Unabhängigkeitsparteien zum „effektiven Regierungschef Kataloniens“ zu wählen. Puigdemont hatte „vorübergehend“ seine Bewerbung um das Amt zurückgezogen, weil Ermittlungsrichter Pablo Llarena ihn nicht nach Spanien zurückließ, um vom Parlament ins Amt gewählt zu werden.
Ein weiterer Kandidat, der ehemalige Vorsitzende der Organisation Katalanische Nationalversammlung (ANC), Jordí Sànchez, bekam keinen Hafturlaub, und Puigdemonts enger Vertrauter Jordi Turull wurde von Llarena am Freitag, einen Tag vor der entscheidenden Parlamentssitzung, in U-Haft geschickt. „Das Problem ist, dass sie alle Kandidaten stoppen, die wir vorschlagen“, so Artadi.
Für Spaniens Ministerpräsidenten Mariano Rajoy kann die Verhaftung Puigdemonts und der anderen katalanischen Politiker schwere Folgen haben. Zwar stellen sich die Sozialisten und die rechtsliberalen Ciudadanos hinter die Entscheidung der Justiz und die harte Haltung der spanischen Regierung, doch braucht der Konservative die Stimmen der Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV) um den Haushalt für 2018 doch noch verabschieden zu können.
Der Präsident der PNV, Andoni Ortuzar, forderte am Sonntag bereits „die Freilassung aller Gefangenen“. Seine Partei habe immer wieder erklärt, dass es ohne Dialog mit den separatistischen Katalanen keine Zusammenarbeit mit Rajoy geben werde – was dieser bisher geflissentlich überhört.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen