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Das Beängstigende an der Entwicklung in der Türkei ist, dass es immer noch ein bisschen schlimmer kommt, als man befürchtet hatte: Der Putsch hat nicht zu einer bloßen Stärkung der AKP, sondern gleich zu einer kompletten Abschaffung des Rechtsstaats, der Gewaltenteilung, der parlamentarischen Kontrolle der Regierung und funktionierender Kontrollorgane wie des ausgehöhlten Verfassungsgerichts geführt, dessen Mitglieder künftig fast allein vom Präsidenten bestimmt werden. Die Verfassung ist damit unmittelbar mit der Syriens vergleichbar.
Und nun hat Erdoğan nicht etwa als milder Landesvater gesagt: Gut dass ich diese Kompetenzen habe, ich nutze sie aber erst einmal nicht. Vielmehr hat er sofort 150.000 Beamte entlassen, Tausende verhaften lassen und unglaubliche politische Prozesse gegen hunderte Journalisten durchgedrückt, bei denen selbst höherrangige Gerichte wie das Verfassungsgericht schlicht ignoriert wurden. Um von der inneren Lähmung abzulenken, bot sich für den mit totalitären Staaten erfahrenen Beobachter ein Krieg an - eventuell in fünf Jahren, wenn die Herrschaftsakzeptanz erlahmt. Tatsächlich ist dieser große Krieg von Erdoğan aber bereits jetzt losgetreten worden, und er hat das Potential, die Türkei in einem Bürgerkrieg komplett zu zufetzen. Denn nichts ist sicher in einem Partisanenkrieg mit Menschen, die verzweifelt ihren letzten Rückzugsort verteidigen - auch für ein NATO-Mitglied nicht.
Die Medizin klassifiziert Krankheiten nicht nur nach Art, sondern auch nach ihrem Stadium; so gelten z.B. Hämorrhoiden 4 Grades nur noch als operabel.
So sehe ich das auch bei der Türkei.
Israels „begrenzte Bodenoffensive“ im Libanon birgt immense Gefahren. Nicht nur Iran steigt in den Krieg ein. Die Welt schaut ohnmächtig zu.
Kommentar Pressefreiheit in der Türkei: Herr über tausende Kioske
Erdoğan greift sich nicht nur Medienhäuser, sondern ganze Vertriebswege. Er kontrolliert nicht nur Inhalte, sondern auch die Verbreitung von Zeitungen.
Freie Presse? Das ist fraglich Foto: dpa
Nach der Übernahme der türkischen Tageszeitung Hürriyet und einer ganzen Reihe mit ihr verbundener Fernsehsender wie CNN Türk durch eine Erdoğan-nahe Holding zu Beginn dieser Woche wurden Kommentare laut, die die Sache auf die leichte Schulter nahmen: „Standen die nicht sowieso längst unter Regierungskommando?“ „Was wird sich schon ändern?“ Aber so einfach ist es leider nicht.
Denn zu dem verkauften Paket gehört auch Yaysat, eine von zwei Vertriebsorganisationen in der Türkei, die auch die wenigen verbliebenen regierungskritischen Blätter wie Cumhuriyet, BirGün oder Evrensel in den Verkauf bringt. Die zweite Vertriebsfirma ist Turkuaz, die zur Sabah-Gruppe gehört, die bereits vor längerer Zeit unter Erdoğans Kontrolle kam.
Das denkbar beste Szenario wäre, dass beide Vertriebsorganisationen im Wettbewerb weiterhin ihre Tätigkeit ausüben. Die Alternative aber lässt einem die Haare zu Berge stehen: Yaysat und Turkuaz erhöhen gemeinsam ihre Kommission für den Vertrieb, die höheren Preise werden auf die oppositionellen Zeitungen umgelegt. AKP-nahe Medien dagegen erhalten Rabatte oder werden gar gratis vertrieben. Das träfe zunächst Publikationen mit niedriger Auflage. Regierungskritische Zeitungen, die in den letzten Jahren ohnehin Schwierigkeiten am Kiosk hatten und fast nur noch in Supermärkten und Buchhandlungsketten verkauft wurden, wären vom Verschwinden bedroht.
Dazu kommt die leider nicht unwahrscheinliche Option, dass auf Befehl von oben Pakete mit Zeitungen und Zeitschriften im Vertrieb in Anatolien gar nicht erst geöffnet werden, sondern als „unverkauft“ zurückgehen. Wer würde schließlich über einen Prozess entscheiden, wenn etwa die Cumhuriyet gegen eine Vertriebsgesellschaft klagte?
Kurz: Bei dieser Übernahme geht es um mehr als Hürriyet und CNN Türk. Im Vorfeld der Wahlen 2019 besitzt die AKP jetzt auch noch das Monopol über Zigtausende Zeitungskioske in der Türkei.
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Kommentar von
Barış Uygur
arbeitet als Schriftsteller und Journalist. Er ist Mitbegründer der bekannten türkischen Satirezeitschrift Uykusuz.
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