: Mit dem Rücken zur Straße
Die Bergmannstraße hat zwei neue Stadtmöbel: sogenannte Parklets. Sie sollen den ungnädigen AnwohnerInnen das Konzept der Begegnungszone schmackhaft machen
VonMartin Horn
Es ist vollbracht – jedenfalls ein bisschen. Nach einer jahrelangen öffentlich und hitzig geführten Debatte über die Errichtung einer Begegnungszone in der Kreuzberger Bergmannstraße weihten Bezirksbaustadtrat Florian Schmidt (Grüne) und Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für die Grünen) vor zehn Tagen zwei „Parklets“ ein. Da stehen sie nun, längliche Module mit hölzernen Bänken, Hockern und Stehtischen. An den Hausnummern 99 und 11 auf der alternativen Flaniermeile findet man fortan einen Aufenthaltsbereich, von dem man im Grunde nicht richtig weiß, warum er überhaupt gebaut wurde. Wirklich gefordert hat ihn jedenfalls niemand.
„Hier können Sie Pause machen und sich ein bisschen erholen“, steht auf einem Schild an der Banklehne. „Sie können etwas trinken, essen oder sich einfach unterhalten.“ Auch ein Gitarrensymbol ist zu sehen. Die Parklets scheinen ein Ort für alles und jeden sein zu wollen. Sie sind Auftakt für die Testphase im Herbst und sollen einen Eindruck davon vermitteln, wie der Straßenraum im Rahmen der geplanten Begegnungszone umgestaltet werden könnte.
In der Testphase werden die Parklets von weiterentwickelten Konstruktionen, sogenannten Bewegungsmodellen, abgelöst. Ein Jahr lang sollen Anwohner und Gewerbetreibende schauen, ob sie sich mit der geplanten Umgestaltung der Straße zwischen Mehringdamm und Marheinekeplatz anfreunden können, erst 2019 wird definitiv über eine Begegnungszone Bergmannstraße entschieden. Schon jetzt allerdings wird dazu eingeladen, Meinungen über das Pilotprojekt mit dem Bezirksamt zu teilen (Mail an weitergehen@senuvk.berlin.de).
Ihrer Errichtung gingen seit 2015 Informationsveranstaltungen, Werkstätten und öffentliche Onlinedialoge voraus. Ziel des mehrstufigen Verfahrens war es sicherzustellen, dass die Wünsche der BürgerInnen in die Planung einfließen. Grundsätzlich hat man in Senat und Bezirk die Bedeutung einer transparenten und einbeziehenden Planung erkannt: „ Ich bin gespannt, wie die Parklets von diesem vitalen und kreativen Kiez angenommen und genutzt werden“, sagt Florian Schmidt. „Von der Mitwirkung der Öffentlichkeit am Probelauf versprechen wir uns wertvolle Hinweise für ein Gelingen der Testphase.“ Er weiß um die Skepsis vieler Anwohner bis hin zur blanken Ablehnung des Projekts.
Nein, nicht alles war negativ in der Bürgerbeteiligung, es gab auch Lob für die Pläne. Aber die Zweifel an der Sinnhaftigkeit einer Begegnungszone wurden immer deutlich laut. Die Bergmannstraße sei doch gut, so wie sie sei, lautete der Tenor bei vielen, Plätze für Begegnungen seien doch jetzt schon zahlreich vorhanden. Genug Plätze übrigens auch, an denen Lärm entsteht – manche Anwohner haben große Sorge, dass PartytouristInnen die Bänke für Trinksessions nutzen. Und Gewerbetreibende befürchten Umsatzverluste. Denn dort, wo ein Parklet steht, würden normalerweise drei Autos einen Platz finden.
Auch verbinden die meisten Anwohner mit Begegnungszonen das erste Projekt dieser Art in der Schöneberg Maaßenstraße – es gilt für viele als gescheitert. 800.000 Euro wurden damals in die Hand genommen, am Ende war die Straße voller Poller und Bänke, auf denen zumindest bei durchschnittlichem Wetter fast niemand sitzt.
Im Jahr 2011 beschloss die Senatsverkehrsverwaltung die Fußverkehrsstrategie. Ein Modellprojekt darin: drei „Begegnungszonen“.
Sehr umstritten ist die Ende 2015 fertiggestellte Begegnungszone auf der Schöneberger Maaßenstraße.
Die Beteiligung der Öffentlichkeit an der Begegnungszone Bergmannstraße führte Ende 2016 zum Beschluss einer Testphase – die „Parklets“ sind Teil davon.
Der Plan einer dritten Begegnungszone rund um den Checkpoint Charlie wurde mittlerweile aufgegeben. Ein Alternativstandort wird gesucht.
Im Übrigen gab es durchaus schon – weniger prominente – Versuche, den Kreuzberger Kiez zu verschönern. Ursula Götz, Ladenbetreiberin und Urgestein in der Bergmannstraße, bepflanzte jahrelang in eigener Initiative Baumscheiben in der Straße und stellte Bänke auf, die im Prinzip denselben Zweck erfüllten wie nun die Parklets. Aber das Ordnungsamt machte ihr einen Strich durch die Rechnung, drohte mit Bußgeld und ließ die Bänke schließlich entfernen.
Nun soll es die Stadt also besser gemacht haben. Die Menschen im Kiez werden in den nächsten Wochen und Monaten genau hinschauen, ob die Parklets wirklich eine Verbesserung bringen – oder ob sie von ihrem Recht Gebrauch machen und auch mal Nein sagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen