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Frauenstreik in SpanienWeder arbeiten noch putzen

Tausende Frauen treten am Frauentag in den Ausstand. Sie protestieren gegen Benachteiligung im Job und häusliche Gewalt.

Streikende Frauen in Spanien am 8. März in Portugalete, westlich von Bilbao Foto: reuters/Vincent West

Madrid taz | „Wenn wir stillstehen, steht die Welt still“, lautete das Motto eines „feministischen Streiks“ gegen Benachteiligung am Arbeitsplatz, gesellschaftliche Diskriminierung und häusliche Gewalt am Frauentag in Spanien. Kleinere Gewerkschaften schlossen sich dem Aufruf der Frauenbewegung an. Die beiden großen, UGT und CCOO, mobilisierten nur zu einer zweistündigen Arbeitsniederlegung. Doch die Basis entschied meist anders und blieb der Arbeit ganz fern. Die Frauen wurden auch dazu aufgerufen, zu Hause weder zu putzen, noch Kinder und Alte zu pflegen oder zu kochen.

Hunderte von Zügen, U-Bahnen und Bussen fuhren laut Verkehrsministerium nicht. Die Müllabfuhr in Madrid funktionierte nur eingeschränkt. In Barcelona blockierten die Streikenden die wichtigsten Zufahrten.

In den bekanntesten Radiosendern waren nur männliche Sprecher zu hören, die Redaktionsräume beim staatlichen Fernsehen blieben weitgehend leer. Eines der beliebtesten Morgenprogramme auf einem Privatsender fiel aus. Die Moderatorin hatte sich ebenfalls dem Streik angeschlossen. Viele Schulen und Fakultäten schlossen mangels Personal.

Gründe für den Ausstand gibt es viele. Frauen verdienen, je nach Studie, bis zu 23 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. 75 Prozent der Teilzeitarbeitsplätze sind von Frauen besetzt. Nur 50 Prozent der arbeitslosen Frauen erhalten Stütze. Bei den Männern sind es 60 Prozent. Außerdem haben nur knapp 38 Prozent der Frauen einen Rentenanspruch, bei den Männern sind es 62 Prozent. Die Renten der Frauen liegen 57 Prozent unter denen der Männer. 42 Prozent der Alleinerziehenden leben an oder unter der Armutsgrenze. 81 Prozent davon sind Frauen.

Sogar die Königin streikt

Über 300 Kundgebungen fanden in ganz Spanien statt. So zum Beispiel um 12 Uhr vor dem Rathaus in Madrid. Neben Bürgermeisterin Manuela Carmena nahmen auch Mitglieder des Stadtrats teil. Selbst Königin Letizia hatte ihren Terminkalender vollständig geleert. Laut Umfragen glauben 82 Prozent der Spanier, dass der Streik gerechtfertigt sei.

Die rechtsliberale Partei Ciudadanos (Cs) unterstützt den Streik nicht, weil er „antikapitalistisch“ sei. Und Vertreterinnen der konservativen Regierungspartei Partido Popular empfahlen den Frauen „eine japanischen Streik“ – das heißt, weiter zu arbeiten. So etwa die Chefin der Regionalregierung in Madrid, Cristina Cifuentes, die erklärte, am Frauentag noch mehr arbeiten zu wollen als sonst.

Der Streik ist ein großer Schritt nach vorn. Der Erfolg der Frauenbewegung hat alle überrascht

Lurdes Merino, Streikende

„Das ist eine Beleidigung, wir arbeiten doch eh schon rund um die Uhr“, sagt Lurdes Merino, die zur Kundgebung gekommen ist. Die 57-Jährige arbeitet beim Gepäckdienst auf dem Flughafen. Sie fährt Elektrokarren oder schlüpft in die Ladeluken, um Koffer zu stapeln. „Das ist ein sehr machistischer Bereich“, erklärt sie. Nur wenige Frauen würden dort arbeiten.

„Der Streik ist ein großer Schritt nach vorn“, sagt Merino. Sie streikt während der ganzen Schicht. „Der Erfolg der Frauenbewegung hat alle überrascht“, meint sie.

„Ich hoffen, dass die Diskriminierung auch nach dem Frauentag ein Thema bleibt“, sagt die 29-jährige Lehrerin Sandra García. In den Schulen arbeiten wesentlich mehr Frauen als Männer, darum gibt es auch weibliches Führungspersonal. Doch García geht es nicht nur um die Arbeitsbedingungen, „sondern um die effektive Gleichstellung, auch im Privatleben“.

Anders als García spürt die 47-jährige Teresa Molina das das gläserne Dach. Sie ist Informatikerin bei einem Software-Unternehmen. „In der Führungsetage gibt es fast nur Männer“, beschwert sie sich. „Auch wenn der Streik ein Durchbruch ist, liegt noch ein langer Weg vor uns.“

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