: The only good nation is hibernation
Aufstehen, ihr Igel: In den kommenden Wochen und Monaten erwachen zahlreiche Säugetiere aus dem Winterschlaf. Aber warum halten sie den überhaupt? Schlafen sie durch? Und was machen die Frösche? 11 Fragen und Antworten
Von Ulrike Stegemann
1Es gibt Tiere, die verdösen ihr halbes Leben im Winterschlaf. Warum machen sie das?
Weil sie im Winter zu wenig Nahrung zum Überleben finden. Zudem sind Säugetiere und Vögel gleichwarme Tiere, die ihre Körpertemperatur unabhängig von der Außentemperatur regulieren. Um ihren Körper konstant warm zu halten, brauchen sie Energie – und wenn es kalt ist, umso mehr. Der Winterschlaf hilft also doppelt dabei, einer lebensbedrohlichen Nahrungs- und Energieknappheit zu entgehen.
2Doppelt? Was hat die Körpertemperatur denn mit dem Winterschlaf zu tun?
Ort: Ein kugelförmiges Nest, das nicht zu kalt oder feucht wird, etwa in einem Laubhaufen.
Dauer: In der Regel von Oktober/November bis März. Bei länger anhaltenden Außentemperaturen um 10 Grad erwachen die Igel.
Körperfunktionen: Der Herzschlag fällt von ungefähr 200 Schlägen pro Minute auf 2 bis 12 Schläge ab. Die Körpertemperatur sinkt von 35 Grad in die Nähe der Umgebungswerte – aber nicht unter 5 Grad.
Was noch? Frauen und Kinder zuletzt: Als Erstes gehen die Igelmännchen schlafen, danach die Weibchen, die sich von der Aufzucht erholen müssen. Als Letztes die Jungtiere, die sich erst genug Gewicht anfressen müssen.
Während des Winterschlafs schlafen die Tiere nicht im klassischen Sinn. Vielmehr fährt ihr Körper – selbstkontrolliert – lebenserhaltende Funktionen wie Körpertemperatur, Herzschlag und Stoffwechsel stark herunter. So wird der Energiebedarf um 99 Prozent reduziert. Eine Art Stand-by-Modus, der auch Torpor genannt wird.
3Torpor?
Das ist lateinisch für „Erstarrung, Betäubung“. Den Torpor beherrschen allerdings nur gleichwarme Tiere, also Säugetiere und Vögel. Es gibt übrigens auch den sogenannten Tagestorpor, bei dem der Stoffwechsel nur für eine kurze Zeit heruntergedimmt wird. Bei klassischen Winterschläfern wie Fledermäusen, Igeln, Murmeltieren oder auch Siebenschläfern dauert er aber viele Monate.
Ort: Im Kobel, so heißen die kugeligen Nester aus Zweigen. Bei sehr kalten Temperaturen bleiben Eichhörnchen tagelang im Kobel.
Dauer: Eine durchgehende Winterruhe halten Eichhörnchen nicht, da sie sich keinen Winterspeck anfressen. Aber sie verringern ihren Aktivitätsgrad im Winter und beschränken sich darauf, die im Herbst angelegten Nahrungsdepots aufzusuchen.
Körperfunktionen: Keine nennenswerten Veränderungen.
Was noch? Eichhörnchen wissen den Winter produktiv zu nutzen – im Februar ist ihre Paarungszeit. Nach 38 Tagen kommen die Jungen auf die Welt, zum Frühjahrsbeginn.
4Das heißt, Igel & Co. schlafen dann von Oktober bis März durch?
Nicht ganz. Auch Tiere, die Winterschlaf halten, haben sogenannte periodische Aufwärmphasen. Heißt: Sie wachen zwischendurch immer wieder kurz auf und fahren die Körpertemperatur hoch, sie ändern die Schlafposition, geben Kot und Urin ab, fressen aber nichts. Werden sie jedoch durch äußere Einwirkungen zu oft geweckt, kann das aufgrund des Energieverlusts beim Aufwärmen mit dem Hungertod enden.
5Auch im Winter sieht man aber immer wieder Tiere im Garten. Halten Eichhörnchen etwa keinen Winterschlaf?
Es gibt noch eine andere Art, die kalte Jahreszeit zu überstehen: die Winterruhe. Die halten unter anderem Braunbären, Dachse, Eichhörnchen und Waschbären. Dabei sinken Körpertemperatur und Herzschlag weniger stark als bei den Winterschläfern. Außerdem wachen die Tiere häufiger auf und suchen sogar hin und wieder nach Nahrung – je nach Temperatur. In Zooanlagen, wo die Bären regelmäßig gefüttert werden, fällt die Winterruhe komplett aus. In Sibirien ist es wiederum so kalt, dass Braunbären bis zu sieben Monate in ihren Höhlen bleiben.
Ort: In Asthöhlen und Baumnestern, aber auch in Erdhöhlen, teilweise einen Meter tief im Boden. Das Versteck wird mit Laub und Moos gepolstert.
Dauer: Mehr als die namensgebenden sieben Monate: Der Winterschlaf beginnt Ende September und dauert bis Mai oder Juni, wenn die Temperaturen über 20 Grad steigen.
Körperfunktionen:Normalerweise schlägt das Herz 300 Mal pro Minute, im Winterschlaf verringert es seine Frequenz sukzessive auf 5 Schläge.Die Körpertemperatur beträgt nur noch 5 Grad.
Was noch?Stellen die Siebenschläfer nach dem Erwachen fest, dass fetthaltige Nahrung – am liebsten mögen sie Bucheckern – knapp ist, fällt die Paarung aus. Sie fressen nur einmal sehr, sehr viel und legen sich wieder hin. In solchen Jahren dauert der Winterschlaf also mehr als elf Monate – Rekord!
6Woher wissen die Tiere eigentlich, dass es so weit ist? Schauen sie in den Kalender?
Ganz geklärt ist diese Frage nicht. Der Beginn des Winterschlafs ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Die Kombination aus geringerem Nahrungsangebot, sinkenden Temperaturen und kürzeren Tagen löst wohl ein hormonellen Zustand aus, der den Winterschlaf „einleitet“. Weniger Sonne führt zu einer geringeren Produktion von körpereigenem Vitamin D, was wiederum zur Ausschüttung jener Hormone führt, die den Körper erstarren lassen. Auch die innere Uhr spielt wohl eine Rolle.
7Wir reden immer nur über Säugetiere. Was ist mit den Vögeln?
Ort:In Höhlen, Mauerritzen oder alten Stollen, Kellern, Dachböden oder Baumhöhlen. Geschlafen wird kopfüber hängend in die eigene Flughaut eingewickelt.
Dauer: Ungefähr von November bis Mitte März, Anfang April.
Körperfunktionen:Die Herzschläge vermindern sich von ca. 600 auf 10 pro Minute, auch die Atemfrequenz geht stark zurück. Die Körpertemperatur wird von 40 auf 0 bis 10 Grad reduziert.
Was noch?Damit die Fledermäuse nicht austrocknen, muss die Luftfeuchtigkeit hoch sein. In Aufwachpausen checken die Tiere das Mikroklima ihrer Schlafstätte und wechseln notfalls auch mitten im Winter ihr Quartier.
Die einzige Vogelart, die Winterschlaf hält, ist die nordamerikanische Winternachtschwalbe. Die Überlebensstrategie vieler Vögel ist es, im Herbst in südlichere, wärmere Regionen zu fliegen. Die dagebliebenen Vögel passen ihren Speiseplan an: statt Insekten gibt es dann Samen oder Körner. Bei sehr kalten Temperaturen können sie aber auch in den Tagestorpor fallen und sich so durch das temporäre Herunterfahren des Stoffwechsels und der Körpertemperatur schützen.
8Und die Frösche, was machen die, wenn es kalt wird?
Ort:Eingerollt zur Kugel in einem Nest am Boden. Auch Nistkästen und Baumhöhlen werden genutzt.
Dauer: Von Oktober bis April, manchmal beginnt der Winterschlaf bereits an kalten Septembertagen.
Körperfunktionen:Zwischen zwei Atemzügen können 5 bis 11 Minuten liegen. Bei Minusgraden liegt dann auch die Körper-temperatur nur noch knapp über 0 Grad.
Was noch?Der buschige Schwanz der Haselmaus ist so lang wie das Tier selbst. Im Torpor rollt er sich auf der Bauchseite bis über den Kopf hinweg.
Die halten keinen Winterschlaf. Denn als wechselwarme Tiere entspricht ihre Körpertemperatur der Außentemperatur, weshalb sie bei Kälte zur Reglosigkeit erstarren, genau wie Fische, Reptilien und andere Amphibien. Diesen Zustand nennt man Winterstarre. Frösche vergraben sich beispielsweise im Schlamm. Mit wärmeren Temperaturen im Frühling erwachen sie dann wieder. Anders als beim Torpor wird dieser Zustand aber nicht eigenständig herbeigeführt und ist nicht kontrollierbar.
9Wenn Menschen, beispielsweise krankheitsbedingt, länger ruhen müssen, leiden sie schnell unter Muskelschwund. Gibt es beim Winterschlaf ähnliche Nebenwirkungen?
Ort:Der Winterbau befindet sich bis zu 2 Meter tief unter der Erde. Er hat die Form eines Kessels und ist mit 10 bis 15 Kilogramm Gras gepolstert. Der Eingang zum Bau wird verschlossen.
Dauer: Sechs bis sieben Monate, ungefähr von Oktober bis März.
Körperfunktionen:Die Körpertemperatur sinkt von 39 Grad auf 3 bis 9 Grad. Pro Minute atmen die Murmeltiere nur noch 2 bis 4 Mal, die Herzfrequenz sinkt von 100 auf 2 bis 5 Schläge.
Was noch?Murmeltiere halten sozialen Winterschlaf, in Gruppen von 10 bis 20 Tieren. Sie wärmen sich gegenseitig, was vor allem den Jungtieren beim Überleben hilft.
Durch den Abbau von Fettpolstern specken die Tiere zwar ab, die Muskeln aber bleiben. Eine Studie zeigte, dass Schwarzbären trotz Winterruhe mehrmals täglich unbewusst ihrer Muskeln anspannen. So erhalten sie ihre Muskelkraft. Die lange Ruhephase führt jedoch bei einigen Tieren zu Gedächtnisschwund und dem Abbau von Nervenverbindungen im Gehirn: So haben etwa Ziesel, eine Erdhörnchenart, in einem Experiment zuvor erlernte Fähigkeiten, wie das Durchqueren eines Labyrinths, vergessen.
10 Trotz der Kälte grünt und blüht es dann im Frühling wieder. Halten Pflanzen auch eine Art Winterschlaf?
Ort: In eigens gegrabenen oder bereits vorhandenen Höhlen oder Felsspalten, gepolstert mit Farn, Gras, Laub oder Moos.
Dauer: Die Winterruhe der Bären beginnt zwischen Oktober und Dezember und endet zwischen März und Mai. Es gibt auch Tiere, die gar nicht ruhen.
Körperfunktionen:Herzfrequenz und Atmung gehen deutlich zurück, die Körpertemperatur nur um etwa 4 bis 5 Grad. Während der Winterruhe werden Aminosäuren nicht in Harnstoff umgewandelt, um eine Harnvergiftung zu vermeiden.
Was noch?Der Gewichtsverlust während der Wintermonate ist bei Weibchen deutlich höher als bei Männchen: 40 Prozent gegenüber 22 Prozent.
Keinen richtigen Winterschlaf, aber auch Pflanzen haben verschiedene Strategien, den Winter zu überstehen. Bäume werfen ihre Blätter ab und lagern den Großteil der Nährstoffe in Stamm und Wurzeln ein. Eine ähnliche Strategie verfolgen Schneeglöckchen. Während der Wachstumszeit lagern sie Reservestoffe in ihren unterirdischen Knollen ein. Aus diesen könne sie im Frühjahr Energie ziehen. Bei Stauden, wie etwa Fingerhut oder Margerite, sind die Knospen im Herbst durch die Laubschicht und im Winter durch den Schnee geschützt. Beim Klatschmohn oder der Kornblume überwintern wiederum nur die Samen und sorgen im nächsten Jahr für neue Pflanzen.
11 Wo kann ich noch mehr erfahren?
Zum Beispiel im Buch „Das Geheimnis der Winterschläfer“ der Biologin Lisa Warnecke. Es wurde 2017 bei C. H. Beck veröffentlicht.
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