piwik no script img

Die Rückkehr der Chefs

Gemeinsam leben, gemeinsam arbeiten, und das alles selbst bestimmt – mit diesem Anspruch gründeten sich in den 80er-Jahren unzählige selbstverwaltete Betriebe in Bremen. Fast alle haben inzwischen doch einen Chef. Ein Rückschritt?

Bremen taz ■ Es war ein Traum: Gemeinsam arbeiten, selbstbestimmt, in großer eigener Verantwortung. Für nicht allzu viel Geld, dafür nur in die eigene (gemeinsame) Tasche, und mit viel Freiraum dazu. Ein Rundum-Allround-Job: Ich denke für dich mit, du für mich, und das mögliche Chaos verwalten wir gemeinsam. Plenum statt Vorstandsbeschluss, Einheitslohn statt Klassenkampf. Es war einmal.

Doch es war oft. An allen Ecken sprossen sie in den 80ern aus dem Boden, die so genannten „Betriebe in Selbstverwaltung“: Buchläden, Druckereien, Fernseh-, Fahrrad- und Autowerkstätten, Maschinenbauer, Windkraftanlagen-Konstrukteure, Gartenpflege, nicht zu vergessen die Bremer taz.

Ein Beispiel von vielen: der „Radschlag“. Gegründet als Fahrradladen und Änderungsschneiderei (weil eine der GründerInnen nähen konnte), das Personal: Lehramts-Studis, SoziologInnen und andere Ex-Studierte, das Logo: eine Felge mit Hammer und Schraubenschlüssel in der Mitte. Formal lief der Betrieb als GmbH, die allen MitarbeiterInnen gehörte, montags hatte er zu: da suchte das Plenum nach dem Konsens für die anstehenden Entscheidungen.

Der Einheitslohn von 1.000 Mark im Monat „stand nicht zur Diskussion“, erinnert sich Geschäftsführer Christoph Behnke. Und was den eigenen Arbeitsplatz anging, so galt das Rotationsprinzip: Arbeit in Werkstatt, Büro und Verkauf wechselten einander ab, und zwar für alle. „Wir haben alle Fehler gemacht, die man machen kann“, sagt Behnke dazu.

Heute ist „Radschlag“ vor allem ein Fahrradladen. Die einstigen „globalen Ziele“ (etwa: „möglichst vielen Leuten einen Arbeitsplatz bieten“, „das erwirtschaftete Geld an möglichst viele verteilen“ und „möglichst glücklich sein“) traten in den Hintergrund.

Die Kunden wollten gute Produkte und guten Service. Ob selbstverwaltet oder nicht, interessierte sie nicht. Die Plenums-Diskussionen waren zäh und brachten wenig Neues. Der Einheitslohn, ursprünglich unabhängig von Qualifikation und Engagement gezahlt, führte zu Neid. Abends, sagt Behnke, hätten immer die gleichen noch dagestanden, irgendwann fingen sie dann an, ihre Stunden aufzuschreiben. „Das war der Anfang“, sagt er. Der Anfang vom Ende der Selbstverwaltung.

Es folgten: Gehalt nach Qualifikation, Angestellte, die für Stundenlohn arbeiteten, und schließlich die Chefs. „Ich war nicht mehr bereit, die Mängel der anderen mitzutragen“, sagt Behnke. Vor zwei Jahren stellten er und ein Kollege ihre MitinhaberInnen vor die Wahl: entweder sie dürften den Laden zu zweit übernehmen – oder sie würden ihn verlassen. „Nicht alle können in gleichmäßiger Art was zur Firma beitragen“, rechtfertigt Behnke den Schritt. Die MitinhaberInnen stimmten zu.

Der Laden läuft, bis heute. Die Autonomie am Arbeitsplatz ist weiterhin groß. Und „Radschlag“ noch immer Mitglied im „Verbund selbstverwalteter Fahrradbetriebe“. Armin Simon

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen