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Prozess um BrandanschlagSaufen, grillen, abfackeln

Fast sechs Jahre nach einem rassistisch motivierten Brandanschlag in Woltmershausen beginnt nun der Prozess – er endet wohl mit einer Bewährungsstrafe.

Das Haus der Familie C. kurz nach dem Anschlag im Jahr 2012 Foto: Sebastian Heidelberger

BREMEN taz | Am Ende wird Sascha T. wahrscheinlich mit einer Bewährungsstrafe davon kommen. Darauf haben sich die Staatsanwaltschaft, sein Verteidiger und das Landgericht schon geeinigt, ehe der Prozess richtig begonnen hat. Angeklagt ist der 30-Jährige wegen versuchter schwerer Brandstiftung und weil er seinen Nachbarn Fatih C. mit den Worten „Ausländer raus“ beschimpft haben soll. Auch der Ruf „Sieg Heil“ soll gefallen sein, dazu die Drohung „Einer fackelt gleich diese Ausländerbude ab“.

Mittlerweile ist das alles fast sechs Jahre her – aber weil T. nicht in Untersuchungshaft saß, blieb die Anklageschrift im Landgericht jahrelang liegen.

Man habe „größte Schwierigkeiten“, auch nur die Haftsachen rechtzeitig zu verhandeln, sagt der Sprecher des Gerichtes immer wieder. In der Vergangenheit wurden deshalb schon mal Untersuchungshäftlinge entlassen, weil das Landgericht den Prozess nicht rechtzeitig eröffnet hatte. „Staatsversagen“ raunt einer der vielen Sicherheitskräfte, die den Prozessbeginn gegen Sascha T. begleiten. Die Richterin kommentiert die lange Verfahrensdauer mit keiner Silbe.

Selbst der inzwischen 26-jährige Fatih C. kann sich heute an viele Details jener Sommernacht am Warturmer Platz nicht mehr erinnern. Als er am 28. Juli 2012, einem Samstag, so gegen drei Uhr morgens nach Hause kommt, wird er von Nachbarn mit „Ausländer raus“-Rufen begrüßt, sagt er vor Gericht. Sie grillen und feiern ein paar Häuser weiter, auf ihrer Terrasse.

Er ignoriert das, sagt er, raucht seine Zigarette zu Ende und verschwindet wortlos im Haus. Kurz danach klingelt es an seiner Haustür. Er sieht den brennenden Stoff schon durch die Scheibe, auch die Eingangstür wird eingeschlagen „Die Flamme war einen Meter hoch“, sagte C. damals der taz. Was bleibt, ist ein fußballgroßes Loch im Glas und schwarzer Ruß an der Tür. Mehrere Leute seien beteiligt gewesen, sagt C., und sie hätten auch Holzlatten dabei gehabt.

Es war idyllisch hier, bis die Ausländer kamen, sagte eine der Tatverdächtigen

In dem Haus wohnt zu jener Zeit die deutsch-türkische Familie C. mit sieben Kindern. Kurz nach der Tat nimmt die Polizei in der Nachbarschaft vier Personen fest. Am frühen Morgen kommen sie alle wieder frei. Sascha T. hat da immer noch 1,87 Promille Alkohol im Blut, die Anklageschrift attestiert ihm deshalb „verminderte Schuldfähigkeit“.

Der Tatort in Woltmershausen hat eine unrühmliche Vergangenheit: Die dörflich anmutende Siedlung wurde 1936 errichtet – als „Familien-KZ“ für „Asoziale“. Stigmatisierungen gibt es bis heute. Der Anschlag wurde 2012 erst durch den Anruf eines Anwalts bei einer Zeitung bekannt. Eine Woche nach dem Brandanschlag gingen in Bremen rund 600 Menschen unter dem Motto „Aufdecken statt Vertuschen!“ auf die Straße. Inzwischen ist das Interesse gering – zum Prozessbeginn kommen nur drei Zuschauerinnen, aus dem Umfeld des Angeklagten.

Sascha T. wird erst morgen aussagen, sein Anwalt hat ein Geständnis angekündigt – das ist die Voraussetzung dafür, dass er mit eineinhalb Jahren Haft auf Bewährung davon kommt.

Nur einer ist damit nicht einverstanden: Der Anwalt der Familie C., der zunächst vergeblich versuchte, als Nebenkläger von Fatihs Mutter Nuriye zugelassen zu werden. Es sei ein „falsches Signal“ und „nicht nachvollziehbar“, wenn T. als freier Mann davon komme, sagt er. Seine Mandantin war zum Tatzeitpunkt im Haus und leidet heute unter paranoider Schizophrenie. Dass der Anschlag damit etwas zu tun hat, ist aus Sicht des Gerichtes nicht bewiesen.

Anja S., eine der damals Tatverdächtigen, sagte seinerzeit zur taz: „Es war idyllisch hier, bis die Ausländer kamen.“ Was an der Tür von Familie C. passiert sei, könne sie aber nicht gutheißen. Ihre Erklärung für den Brandanschlag: „Einfach zu viel getrunken. Aus dem Suff heraus. Es gibt keine ausländerfeindlichen Hintergründe oder so.“

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