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Ausmarschiert

Mehrere tausend GegendemonstrantInnen stoppen einen von Rechten dominierten „Frauenmarsch“ durch Kreuzberg

Kam nur bis zur Rudi-Dutschke-Straße: der von AfDlerin Leyla Bilge angemeldete „Frauenmarsch“ Foto: Ksenia Les

Von Malene Gürgen

Für Checkpoint Curry 207 ist es ein guter Tag: Der Imbiss am Checkpoint Charlie, sonst hauptsächlich von Touristen frequentiert, kann sich am Samstagnachmittag über mangelnde Kundschaft nicht beschweren. Hunderte Menschen harren hier seit Stunden aus, um die Friedrichstraße zu blockieren – und so wandern eimerweise Pommes über die Theke quasi direkt in die Blockade.

Nicht nur hier am nördlichen Rand der Kreuzung Friedrichstraße/Kochstraße stehen die Menschen, auch nach Westen und Osten hin ist die Kreuzung dicht. Rund 1.500 Gegendemonstranten sind laut Polizei unterwegs, das Berliner Bündnis gegen rechts spricht von 3.000 Menschen. Südlich der Kreuzung stehen die, die eigentlich über die Friedrichstraße laufen wollen: der rechte „Frauenmarsch“ zum Kanzleramt, laut Polizei 500 Teilnehmer groß.

Vordergründig richtet sich diese Veranstaltung gegen Gewalt an Frauen – in ihren Reden und auf ihren Transparenten machen die Teilnehmenden aber keinen Hehl daraus, dass sie sich für diese nur interessieren, wenn die Täter Migranten sind.

Schon als die Demonstration sich um 15 Uhr am Kreuzberger Mehringplatz versammelt, wird klar: „Frauenmarsch“ passt nicht so ganz. Ein Großteil der Teilnehmenden ist männlich, darunter AfD-Abgeordnete aus verschiedenen Bundesländern und Brandenburger Neonazis. Als die Demonstration loszieht, werden die Frauen in den vorderen Teil des Zugs gescheucht. Vorne dabei ist auch Anmelderin Leyla Bilge, AfD-Politikerin mit kurdischen Wurzeln, eine Art Vorzeigemigrantin der Rechtspopulisten.

Etliche Teilnehmer machen einen skurrilen Eindruck: Ein Mann hat sich eine Art Kutte angezogen und ein Kopftuch umgelegt, auf seinem Schild fordert er, die „Schönheit einer selbstbewussten Frau“ dürfe nicht „mit einem hässlichen Tuch verschleiert werden“. Mittendrin die Prominenz der Bewegung: Pegida-Frontmann Lutz Bachmann ist gekommen, auch der thüringische AfD-Fraktionsvorsitzende Björn Höcke soll gesichtet worden sein.

„Mit Eiskugeln sollte man auf die schießen“

Teilnehmerin des „Frauenmarschs“

Gerade mal 700 Meter weit kommt die rechte Demonstration, dann ist noch vor 16 Uhr Schluss. Die Blockaden stehen, und die Polizei unternimmt zunächst auch keine Anstalten, sie zu räumen. Für die am „Frauenmarsch“ eingesetzten Kommunikationsteams der Berliner Polizei, die mit 900 Beamten vor Ort ist, beginnt nun eine anstrengende Zeit: Die Stimmung unter den Rechten wird zunehmend aggressiv, sie beschimpfen die Beamten, weil diese in ihren Augen nicht genug tun, um die Route freizubekommen.

„Wasserwerfer, Wasserwerfer“, skandiert die Menge. „Mit Eiskugeln müsste man dieses Pack von der Straße schießen“, sagt eine ungefähr 50-jährige Frau am Fronttransparent und schiebt sich die Brille zurecht. Weiter nördlich macht die Polizei ihre obligatorischen drei Durchsagen. Doch geräumt wird auch dann nicht. Zwar lassen es sich Einheiten nicht nehmen, sich immer wieder einen Weg quer durch die Blockade zu bahnen und dabei auch kräftig nach allen Seiten auszuteilen, auch einige Festnahmen gibt es – von ernsthaften Räumungsversuchen ist aber nichts zu sehen.

Vielleicht will man am touristischen Hotspot keine allzu unschönen Bilder produzieren, vielleicht reichen die Kräfte der Polizei zahlenmäßig schlicht nicht aus, um den rechten Aufmarsch tatsächlich auf der ganzen Route bis zum Kanzleramt gegen die zahlreichen Gegendemonstranten durchzusetzen. Klar ist jedenfalls: Um kurz nach 18 Uhr erklärt Veranstalterin Bilge den Aufmarsch per Megafon für aufgelöst. Sie fordert die verbliebenen Teilnehmer auf, sich „in kleinen Gruppen“ zum Kanzleramt aufzumachen. Rund 350 Menschen versammeln sich dort laut Polizeiangaben später zu einer Abschlusskundgebung. Für die Gegendemonstranten ist es nichtsdestotrotz ein Sieg: Rechte Aufmärsche in Kreuzberg, das funktioniert auch 2018 nicht.

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