: Worüber wir mal reden müssen
Die indische Politikwissenschaftlerin Richa Singh, 45, arbeitet mit Gewaltopfern in Kaschmir, Gujarat und Palästina.
Richa Singh hat ausdrucksvolle, wache Augen. Wenn man der Doktorin der Politikwissenschaften gegenübersitzt, glaubt man, das Sehen neu lernen zu können. „Ich bin Feministin“, stellt sich die Inderin vor. „Feminismus ist eine Revolution, eine Weltsicht, die Frauen verbindet.“ Und ihrer Meinung nach hat der sich keineswegs überlebt. „Frauen kämpfen gegen Grenzziehungen zwischen Staaten, Ethnien, Religionen und Kasten.“
Richa Singh wurde 1960 im ostindischen Bihar geboren, als jüngstes von sechs Kindern. „Die nordindische Gesellschaft erwartet von Frauen, dass sie gut ausgebildete Computerspezialisten heiraten.“ Sie lächelt. „Aber ich wollte lieber unabhängig leben.“
Dazu beigetragen hat sicherlich ihr Studium an der Nehru University in Delhi in den 80er-Jahren. Die indischen Unis, und vor allem diese, seien ein Hort der Freiheit. Frauen und Männer könnten sich ungehindert von Kastenzwängen begegnen, lebten unverheiratet zusammen. „Das war ein positiver Kulturschock. Seitdem habe ich keine Kulturschocks mehr. Nicht mal in Berlin.“ Sie lacht.
Als Akademikerin, sagt sie, fühle sie Verantwortung gegenüber weniger Privilegierten. Für sie heißt das, sich vor allem um die Rehabilitierung von Gewaltopfern zu kümmern – in Kaschmir, Gujarat, Bihar. Seit zwei Jahren arbeitet sie als Koordinatorin bei „Amal Trust“, einer in Delhi ansässigen Stiftung. Ihre Organisation leistet praktische Hilfe für Witwen, Waisen und Flüchtlinge, bietet Workshops für gewaltfreie Konfliktlösung an und lotet den Hintergrund von Gewaltkonflikten wissenschaftlich aus. Grundlage ist das UN-Konzept der „menschlichen Sicherheit“, das mit herkömmlicher nationaler Sicherheitspolitik bricht, indem es umfassende Sicherheit für jeden Menschen garantieren will: vor Gewalt, auch häuslicher Gewalt, vor Krankheit oder Hunger. „Tolles Konzept“, schwärmt Richa Singh, und ihre Augen blitzen.
Im indischen Teil der Konfliktregion Kaschmir, wo nach Anweisung der indischen Regierung nur humanitäre und keine politische Organisationen arbeiten dürfen, kümmert sich „Amal Trust“ um die Versorgung von vergewaltigten Frauen und traumatisierten Kindern. In der Provinz Gujarat, wo Hindu-Extremisten vor drei Jahren 2.200 Muslime töteten und Frauen und Kinder bestialischer sexualisierter Gewalt aussetzten, hat „Aman Trust“ zusammen mit anderen NGOs eine Kampagne zur Rehabilitierung der Opfer organisiert. „Wir sind voller Zuversicht“, sagt Richa Singh, „dass sich die Provinzregierung in naher Zukunft bei den Opfern entschuldigen muss.“
Auch Palästina kennt sie durch mehrere Studienaufenthalte gut. Besonders interessiert sie der „Jerusalem Link“, der politische Dialog zwischen Palästinenserinnen und Israelinnen. „Das ist ein wiederkehrendes Modell“, sagt sie. „Auch im Konflikt zwischen Indien und Pakistan waren es die Frauen, die zuerst miteinander Kontakt aufnahmen. 2002, als wir alle Angst vor einem Atomkrieg hatten, fuhren 60 Frauen von Delhi nach Lahore. Ihre Parole war: Wir sind nicht die Mauern, sondern der Bruch in den Mauern.“ Sagt sie und lächelt. UTE SCHEUB
Die pakistanische Therapeutin Durre Sameen Ahmed, 56, untersucht die psychologische Dimension des weltweit um sich greifenden Fundamentalismus.
Egal wie schrecklich es ist, was Durre Sameen Ahmed zu sagen hat – dass Pakistan innerlich zerrissen wird etwa –, sie lacht. „Ich muss mein Leben leben“, antwortet sie, darauf angesprochen, dass die Dramatik ihres Berichts nicht mit ihrer Verschmitztheit zusammenpassen will. „Ich muss für meine Familie, meine Patienten, meine Freunde da sein, auch wenn ich nicht weiß, was in Zukunft sein wird.“
Seit 15 Jahren beschäftigt sich die Psychotherapeutin mit dem zunehmenden Fundamentalismus in ihrem Land. Wie dieser sich bemerkbar mache? Natürlich trügen immer mehr Frauen den Schleier. Auf den Einwand, dass der Schleier als Symbol für islamischen Fundamentalismus bereits überstrapaziert sei, führt die 56-Jährige ein anderes Beispiel an: Kürzlich habe es in Pakistan Kommunalwahlen gegeben. Dabei habe es ganze Distrikte gegeben, wo Frauen bereits systematisch daran gehindert wurden zu wählen.
Pakistan sei ein Land voller Widersprüche. Da wäre auf der einen Seite die Militärdiktatur, die auf der anderen Seite aber Gesetze erlassen habe, die Frauen ermutigten, in die Politik zu gehen. Nun hätten Politikerinnen Macht, die den fundamentalistischen Blickwinkel fördern. Und der schließt Frauen erneut öffentlich aus.
Durre Sameen Ahmed lebt in Lahore. Sie rechnet sich dem intellektuellen Bürgertum ihres Landes zu. In ihre therapeutische Praxis kämen Menschen aus allen Schichten. Auch arme Frauen, Analphabetinnen betreut sie, die nicht zahlen können. Sie arbeitet mit dem kleinen Frauenhaus zusammen, das es in Lahore noch gibt.
Als Denkerin, als Buchautorin aber interessiert sie die psychologische Dimension des weltweit zu beobachtenden Rückgriffs auf fundamentalistische Ansichten. Am Ende gehe es vor allem um Angst, sagt sie. Die politischen, sozialen, ökonomischen und ökologischen Entwicklungen verunsicherten die Menschen zutiefst. „Angst lässt sich instrumentalisieren für radikale Positionen.“
Aufgewachsen ist Durre Sameen Ahmed in einem streng muslimischen Haushalt, der der Sekte der Ahmadiyyer angehört. Diesen wird heute in Pakistan der Status als Muslime aberkannt. Zur Schule ging sie bei christlichen Nonnen und Klerikern. Missionsschulen boten damals die beste Ausbildung. Das Beste, befand ihr Vater, der Augenarzt, sei für seine Tochter gerade gut genug. Dessen ungeachtet wurde für sie mit 17 eine Ehe arrangiert. Später ließ sie sich scheiden. Häretikerin zu sein ist Teil ihrer Identität.
Dass Feministinnen heute mitunter komplizierte Allianzen mit Fundamentalisten eingehen, wenn es um Themen wie Gen- oder Reproduktionstechnologie geht, hält sie für ein vordergründiges Phänomen. Fundamentalisten oder extreme Rechte, sagt sie, verfolgten immer Macht- und Wirtschaftsinteressen, keine Menschenrechte.
Sie möchte, dass die Frauen, vor allem in Europa, endlich wieder ihre Vordenkerinnen fördern. In ein paar Jahren wird Europa demografisch der Kontinent der weisen, alten Frauen sein. Er wird umgeben sein von Ländern, in denen eine große Zahl junger Männer aktiv ist. „Europa muss den Islam reformieren.“ Die Muslime selbst könnten es nicht – „sie haben sich zum Teil vom intellektuellen Diskurs abgeschnitten“, sagt sie. WALTRAUD SCHWAB
Miriam Ruiz, 36, berichtet für eine mexikanische Non-Profit-Nachrichtenagentur über Frauen, die sonst unsichtbar bleiben.
Miriam Ruiz’ journalistische Karriere begann auf einem Damenklo. Damals, sie hatte gerade ihre ersten Artikel geschrieben, musste sie eine Lokalpolitikerin zum Thema Familienrecht interviewen. Die Lady hatte wenig Zeit, Ruiz durfte ihr nur vor dem Spiegel während des Schminkens ein paar Fragen stellen. Schräge Situationen ist sie inzwischen gewöhnt. „Ich bin privilegiert“, sagt die 36-jährige Mexikanerin heute. Doch nicht mehr eitle Lokalpolitikerinnen, sondern Frauen, denen niemand zuhört, sind jetzt ihr Metier. „Ich versuche, denen eine Stimme zu geben, die sonst keine haben.“
Ruiz lebt in Mexiko-Stadt und arbeitet für cimacnoticias (www.cimacnoticias.com), eine Non-Profit-Nachrichtenagentur, die über die Welt aus Sicht der Frauen berichtet und von privaten Stiftungen, darunter auch die Heinrich-Böll-Stiftung, finanziert wird. Dass es in ihrem Land ganze Bevölkerungsgruppen gibt, über deren Kämpfe und kleine Siege kaum etwas in den großen Zeitungen steht, das ist der Gedanke, der Ruiz antreibt. Denn auch in Mexiko herrscht die gespaltene mediale Klassengesellschaft. „Da ist die Kultur der Popstars, der Schönheitsthemen, der großen Städte,“ erzählt Ruiz, „und dann gibt es die Indio-Frauen, die in entlegenen Regionen als KleinbäuerInnen leben, die dunkelhäutig sind und die schuften, dass ihre Töchter auf Schulen gehen können, Frauen, die sich auch gegen sexuelle Übergriffe wehren müssen“.
„Ich will diese Frauen nicht nur als Opfer darstellen“, sagt Ruiz, „das sind auch Heldinnen.“ Valentina zum Beispiel. Die zierliche Indio-Frau war von einem Soldaten vergewaltigt worden. Um über sie zu schreiben, musste Ruiz erst viele Stunden über unbefestigte Wege in das entlegene Dorf fahren, einer Ansammlung von Lehmhäusern, vor denen schlecht ernährte Kinder spielten. „Sogar an den mageren Hunden erkennt man, wie arm die Leute sind“, schildert Ruiz. Valentina war es furchtbar peinlich, über den Vorfall zu sprechen. Ein Jahr später saß die Indiofrau in Mexiko-Stadt auf dem Podium einer Pressekonferenz zu Übergriffen des Militärs.
„Die Entwicklung dieser Frau hat mich berührt“, erzählt Ruiz, selbst verheiratete Mutter zweier Kinder, studierte Geisteswissenschaftlerin und Tochter eines Rechtsanwaltes in Mexiko-Stadt.
Mit 800 Dollar im Monat ist der Vollzeitjob von Ruiz nicht üppig bezahlt. Reporter der großen Zeitungen in Mexiko verdienen 2.000 Dollar. Doch „die kleinen Zeitungen zahlen den freien Mitarbeitern sogar nur zwei Dollar pro Artikel“, berichtet Ruiz. Abgesehen von der aktuellen Website, auf der die Agentur beispielsweise auch das Schicksal von Frauen während des Hurrikans „Katrina“ schildert, liefert cimacnoticias vor allem Artikel für die Zeitschriften von Non-Profit-Organisationen. Die großen Medien in Mexiko greifen die Themen dann mitunter selbst mit eigenen Leuten auf.
Ruiz schließt an den Besuch des Kongresses „Femme Globale“ noch eine einmonatige Europareise an, um Spenden einzuwerben – und die Stimme zu sein für Frauen, die sich oft nicht mal eine Jeepfahrt in die nächste Stadt leisten können.
BARBARA DRIBBUSCH
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