piwik no script img

Journalismus-Projekt im LibanonGute News für das Camp

„Campji“ heißt ein Projekt der Deutschen Welle. Die ReporterInnen berichten aus dem Beiruter Flüchtlingscamp Schatila.

Ein Blick ins Flüchtlingscamp Schatila: lehmige Wege, kleine Geschäfte und unzureichend isolierte Stromkabel Foto: Tom Mustroph

Beirut taz | Auf dem Weg zur Redaktion von Campji muss man sich nicht nur durchs Camp von Schatila bewegen. Sondern über lehmige Wege, die bei Regen zu Schlammpisten werden, vorbei an blitzenden Mobilfunkgeschäften, aber auch Karren ausweichend, die noch aus dem vorvorletzten Jahrhundert zu stammen scheinen, und dabei aufpassen, dass die knapp über Kopfhöhe verlaufenden und nur unzureichend isolierten Stromkabel nicht ihre Energie ausgerechnet auf dem eigenen Schädel entladen.

Vom Gewühl auf den Straßen muss man sich auch noch ein enges Treppenhaus hinaufkämpfen, durch eine Traube von Müttern mit Säuglingen, die in einer Klinik von Ärzte ohne Grenzen warten, und eine Etage höher vorbei an den etwas älteren Kindern, die aus den Klassenräumen der Schule der von syrischen Refugees gegründeten NGO Basmeh & Zeitooneh strömen.

Dann erst, ein zweites Treppenhaus wieder abwärts gehend, wird es etwas ruhiger. Und man gelangt zu den zwei Räumen, in denen die Redaktion von Campji ihre Videos schneidet, sie auf die Plattformen von Facebook und YouTube stellt, aber auch neue Themen bespricht und sich parallel in Form von Workshops weiterbildet.

Bevölkerung ohne Stimme

„Etwa ein Dutzend junge Leute zwischen 17 und 25 Jahren arbeiten bei uns. Eine erste Generation haben wir seit November 2016 ausgebildet. Es sind Jugendliche und junge Erwachsene aus Schatila. Wir bringen ihnen bei, wie man eine gute Geschichte findet, sie entwickelt, Drehs organisiert, das Material schneidet und veröffentlicht.

Mit einer zweiten Gruppe, jungen Refugees aus der Bekaa-Ebene, arbeiten wir seit ein paar Monaten“, erzählt Lina Abdelaziz, die Chefredakteurin und Projektleiterin. Abdelaziz, deren Vater Palästinenser und die Mutter Libanesin ist, hat unter anderem für das irakische Fernsehen gearbeitet. Sie berichtete vom Krieg im Libanon, aus den palästinensischen Camps und über irakische Flüchtlinge in der Region. Jetzt ist die TV-Journalistin hier in Schatila, einem ehemals palästinensischen Camp. Die ursprüngliche Einwohnerzahl hat sich durch den Zuzug vieler Kriegsflüchtlinge aus Syrien von etwa 20.000 Personen auf aktuell 50.000 mehr als verdoppelt.

Es ist eine Bevölkerung, die selbst keine Stimme hat. Als Kommunikationsmittel im Camp fallen vor allem die ­Graffiti, die Märtyrerplakate und die teilweise erstaunlich frisch wirkenden Poster vom längst verstorbenen Palästinenserführer Jassir Arafat auf. Es sind Botschaften des Kampfes. Wie repräsentativ diese Haltung für die Bevölkerung ist, bleibt weitgehend unerforscht. Wenn Abgesandte westlicher Medien ins Lager kommen, werden die ­PLO-Insignien gern als visuelles Lokalkolorit mitgenommen, und dann meist durch Elendsgeschichten ergänzt. „Es ist aber nicht alles Elend hier. Wir wollen diesen Klischees ent­gegenwirken“, meint Abdelaziz. „Ich liebe Schatila. Jede Ecke hier sagt mir etwas Besonderes. Und ich will vor allem die jungen Leute zu Wort kommen lassen, um die sich sonst keine Zeitung, kein Medium kümmert“, erklärt Samih. Samih ist 19 Jahre alt.

Das Flüchtlingscamp

Das Camp Schatila wurde bereits 1949 für palästinensische Flüchtlingsfamilien eingerichtet. Anfangs als Provisorium gedacht, entwickelte es sich schnell zu einem eigenen Stadtteil. 1982 wurde Schatila durch das von libanesischen Milizen während der israelischen Besetzung des Landes verübte Massaker weltweit bekannt. Bis zu 3.500 Menschen wurden getötet. Seit 2011 kamen zu der weitgehend palästinensischen Bevölkerung viele Geflüchtete aus dem Nachbarland Syrien dazu.

Die Bewohner Etwa 20.000 Palästinenser leben jetzt dort (offiziell registriert etwa 10.000) sowie zwischen 20.000 und 30.000 Syrer. Das Camp wird von palästinensischen Organisationen, darunter auch bewaffnete Einheiten, selbst verwaltet. Palästinensische Einheiten waren Kriegspartei im libanesischen Bürgerkrieg 1975–90. Aktuell ist das Camp vor allem Reservoir für billige Arbeitskräfte.

Er stammt aus Yarmouk bei Damaskus – einem Camp, das als Bastion des „Islamischen Staates“ traurige Berühmtheit erlangte – und hält sich seit 2013 in Schatila auf. Dass er einmal sagen würde, er liebe Schatila, hätte er sich bei seinem Eintreffen nicht träumen lassen. „Es war hart. Du musstest kämpfen, um dich durchzusetzen. Jeden Tag, auch in der Schule, egal, ob es Syrer oder Palästinenser waren“, erzählt er.

Geschichten aus dem Alltag

Samih berichtet von einem jungen Tänzer und Sänger, der im Lager die Tradition des Dabke-Tanzes aufrechterhält und sie weitergeben will durch seine Auftritte. Aber auch von einem alten Fischer, der sich seit dem libanesischen Bürgerkrieg nicht mehr aus dem Lager traute und der vor Sorge ums tägliche Brot auch keine Zeit mehr hatte, um ans Meer zu fahren. „Wir haben von ihm erfahren, sind mit ihm ins Taxi gestiegen, ans Meer gefahren und haben das gefilmt“, sagt er. Als der alte Mann das Meer sah, habe er geweint, sagt Samih noch. Das Video kann man auf der Facebookseite von Campji sehen.

Bald wird dort auch das neue Projekt von Fatima veröffentlicht. „Ich zeige eine Frau, Mutter von 10 Kindern, die immer nur Hausfrau war, jetzt aber durch einen Schweibworkshop darauf gekommen ist, ihre eigenen Geschichten aufzuschreiben und daraus ein Buch zu machen“, fasst die 17-Jährige, die aus einem Ort im Großraum Damaskus stammt und seit vier Jahren mit ihrer Familie als Flüchtling in der Bekaa-Ebene lebt, ihren Beitrag zusammen.

Die einzelnen Videoclips, teils Zweiminüter, teils aber auch acht Minuten lang, haben meist Klickzahlen zwischen 5.000 und 10.000. Einzelne wurden aber auch mehr als 40.000 Mal angesehen. „Viel Resonanz kommt natürlich aus dem Camp. Campji ist schließlich auch als eine Form von Lokalzeitung gedacht, die die Menschen unmittelbar zusammenbringt. Es kommen aber auch immer mehr Besucher aus anderen arabischen Ländern hinzu. Campji strahlt über Schatila hinaus“, meint Jens-Uwe Rahe, Regionalverantwortlicher für den Nahen Osten der DW Akademie, die Campji ins Leben rief.

Die DW Akademie ist in ca. 50 Ländern weltweit aktiv, um journalistische Projekte zu initiieren. „Unser Hauptzweck ist, Meinungsfreiheit zu fördern und dazu beizutragen, dass Menschen gut informiert sind, eigene Haltungen entwickeln und Medien kritisch nutzen und gestalten können“, erklärt Rahe. Ein ähnliches Projekt wie Campji lancierte die DW Akademie bereits in Nablus in den palästinensischen Autonomiegebieten. Erfolgreich ist nach Angaben von Oliver Schilling, der die Projektkommunikation der DW Akademie verantwortet, auch ein Projekt mit Exil­journalisten aus dem Südsudan, die vom Flüchtlingscamp ­Kakuma in Uganda aus operieren.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

„Perspektivisch soll Campji ab 2019 als unabhängige Struktur funktionieren“, sagt Rahe. So lange läuft auch die Förderung, die durch das Bundesentwicklungsministerium mit einer niedrigen sechsstelligen Summe pro Jahr finanziert ist. Die Projektleiterin Lina Abdelaziz ist von der Partnerorganisation Basmeh & Zeitooneh angestellt, sie sieht realistische Chancen für die jungen Journalisten vor allem als Produzenten von Videofootage für internationale Fernsehanstalten sowie als freie Journalisten für Drehs in den Lagern. Die DW Akademie wiederum hofft, dass die etablierten Standards von Recherche, Quellenklärung und Quellenschutz langfristig für journalistische Qualität gerade auch im umkämpften Feld von Krieg, Flucht und Vertreibung sorgen kann.

Samih zumindest schaut gegenwärtig noch nicht auf Jobs bei größeren Sendern. Der junge Syrer mit palästinensischem Migrationshintergrund, der derzeit im Libanon lebt, sagt: „Schatila ist meine Heimat. Von hier möchte ich berichten.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!