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Georg Baselitz wird 80Punk kann er auch

Der Künstler polarisiert und gilt als Tabubrecher. Georg Baselitz provoziert mit seinen Bildern ein Nachdenken über den Gegenstand.

Baselitz am 19.1.2018 in der Ausstellung der Fondation Beyeler vor dem Gemälde „Der Brückenchor“ Foto: dpa

Seine Karriere begann mit einem Coup. Denn zu seiner ersten Einzelausstellung 1963 in der Galerie Werner & Katz kam nicht nur Pu­blikum, es kam auch die Staatsanwaltschaft und beschlagnahmte zwei Gemälde. Das war so gewünscht. Der Galerist Michael Werner selbst soll es gewesen sein, der sie auf das Ungeheuerliche, die Masturbationsszene von „Die große Nacht im Eimer“ und den „Nackten Mann“ mit dem überdimensionalen Penis, aufmerksam gemacht hatte, dem sie auf den Leim gehen und damit dem jungen Künstler zum Ruhm des Tabuverletzers verhelfen mussten.

Den hatte er fortan weg, wobei es fraglich ist, ob er dieser Vorgabe immer standhielt, mit Äußerungen wie: Trump agiere, wie ein vernünftiger Politiker agieren müsse; oder: Die schlechte Kunstmarktposition von Künstlerinnen läge eben daran, dass sie nicht so gut malten wie die Männer. Das sagte er 2013, in einem Spiegel-Interview anlässlich seines 75. Geburtstags.

Am Dienstag ist Baselitz’ 80. Geburtstag und mit der Fondation Beyeler in Basel feiert ihn eine der bedeutenden internationalen Kunstinstitutionen mit einer sechs Jahrzehnte umfassenden großen Werkschau. Das ist schön – und erwartbar. Schöner, weil so nicht erwartbar, ist die Ausstellung mit Leihgaben der Berlinischen Galerie, des Museum Ludwig, Köln, des Kunstvereins Bielefeld und aus Berliner wie auswärtigen Privatsammlungen, die Contemporary Fine Arts (CFA) in Berlin ausrichtet.

Die Galerie liegt in der Grolmanstraße, was bedeutet, dass in einem Umkreis von einem halben Kilometer wichtige Anlaufstationen im Leben des jungen Künstlers zu finden sind. Nur einen Steinwurf entfernt ist die UdK, damals HdK, an der Baselitz nach seinem Rauswurf aus der Hochschule in Weißensee wegen „sozialpolitischer Unreife“ ab 1957 studierte. Nicht viel weiter weg, am Stuttgarter Platz, lag sein Atelier und die Räume seiner Galeristen befanden sich am Ku’damm.

Grafiken für das „kleine Portemonnaie“

Just vom Ku’damm aus liegt jetzt der Abstecher in die sorgsam gehängte Baselitz-Schau nahe, die auf zwei großbürgerlichen Wohnetagen die Annahme Lügen straft, seine Bilder und Skulpturen erforderten Hallen und riesige Sichtachsen. Und weil ein Galeriebesuch gegenüber dem eines Museums vergleichsweise unkompliziert ist und eintrittsfrei, sollte Baselitz diese Situation besonders gefallen. Denn in dem berühmt-berüchtigten Interview zu seinem 75. beklagte der Künstler, dass er zwar seit jeher Grafiken herstelle, „für das kleine Portemonnaie“, wie er sagt, die dann aber doch nur diejenigen kauften, die sich auch die großen, teuren Bilder zulegten.

Das fände er bedenklich, „weil alles auseinanderdriftet, weil sich alles vom normalen Publikum entfernt“. Der Wunsch, Vertreter einer populären Gegenwartskunst zu sein, entstammt wie der 1961, im Jahr des Mauerbaus, vollzogene Namenswechsel der Vorstellung von der Bedeutung der Volkskunst wie des Verwurzeltseins.

Das musste den Horizont nicht verengen. Als Student in Westberlin, so erzählte der Künstler Ende der 90er Jahre auf einer Pressekonferenz in Berlin, hatte ihn eine Ausstellung Jackson Pollocks und der abstrakten Expressionisten enorm beeindruckt, weil er sah, „wie imperial die Amerikaner waren und wie provinziell dagegen die Situation hier, die wir selbst verschuldet hatten – wenn auch nicht durch mich“.

Unsicher, aber bockig

Das war schlecht möglich, denn anfangs tat sich Hans-Georg Kern, wie der am 23. Januar 1938 in Deutschbaselitz geborene Künstler da noch hieß, schwer in Westberlin, finanziell wie künstlerisch. Unsicher, dabei aber bockig, entwickelte er gegen die herrschende Abstraktion mit den gesammelten dreckigen Farbresten seiner Kommilitonen eine rohe Figuration, und es waren vor allem Köpfe, an denen er sich abarbeitete. CFA zeigt einen von 1963: Wie er langgezogen aus dem schwarzen Hintergrund auftaucht und über einem kurzen nackten Körper und einem mächtigen Geschlecht balanciert, schaut er aus wie ein reichlich verfrühter George Condo. Und da versteht man, warum neben den anderen DDR-Flüchtlingen Sigmar Polke und Gerhard Richter vor allem er der Pate der neoexpressiven US-Amerikaner und der deutschen Neuen Wilden war.

Gegen die musste er sich zur Wehr setzen und zeigen: Punk kann ich auch. Das resultiert dann im „Orangenesser (VIII)“ von 1980/81, dem stärksten Bild der Schau – und wie alle Gemälde seit 1969 auf den Kopf gestellt. Dies war der zweite große Coup zur Förderung des Ruhms der Marke Baselitz: Dass es diesen Maler gibt, der seine Bilder umdreht, kann sich jeder merken. So wird man ein household name, einerseits. Andererseits war die Welt 1969 mit ganz anderen Revolutionen beschäftigt. Da fiel die Baselitz’sche eher unter den Tisch. Aus diesem Grund schien es Anfang der 1970er Jahre an der Zeit, den eigenen von Berlin nach Westdeutschland zu verlegen.

Denn Baselitz beschäftigte einzig seine Kunst. Die galt es weiterzuentwickeln, um dem Zeitgeist und dessen Gespenstern aus der Vergangenheit auf der Spur zu bleiben. Da mochte die Motivumkehr dann, wie der Kunsthistoriker Siegfried Gohr im Katalog zur CFA-Ausstellung schreibt, Baselitz’ Versuch sein, den vielbeschworenen „Ausstieg aus dem Bild“ innerhalb des Bildes zu vollziehen. Wie weit ihm das gelang, ist schwer zu sagen. Unbestreitbar provoziert der Dreh aber ein Nachdenken über den Gegenstand, schnell mal über die Landwand scannen geht da nicht.

Baselitz-Ausstellung

Hommage à Georg Baselitz, bis 3. März, Contemporary Fine Arts, Berlin, Katalog: Snoeck Verlag

Das Bild weiterdenken, es erneut überdenken, dieser Prozess mündete beim Künstler selbst in das neuerlich gemalte, alte Bild, in popkultureller Begrifflichkeit „Remix“ genannt. Bei CFA hat man denn auch an einem bestimmten Punkt im Erdgeschoss die Bilder „Der Moderne Maler“ von 1966 und „Modern Painter (Remix)“ von 2007 im Blick. Der moderne Maler ist eine etwas abgerissene Figur, die ihre Hände in die Erde gräbt, wobei sie aber auch in Erdspalten gefangen sein könnten. Der modern painter jedenfalls greift mit seinen Händen ins Erdreich, das jetzt deutlich der Raum der Verwurzelung ist, wofür Baselitz einen stark verästelten Baum auf den Kopf gestellt hat. Vor allem haben sich die Gewichte verschoben, nimmt der moderne Maler noch den ganzen Bildraum ein, ist der beim modern painter ganz gerecht zwischen menschlicher Figur und Natur geteilt.

Es ist interessant zu beobachten, wie Baselitz, je älter er wird, desto klarer in seinen Bildaussagen wird. Dabei ist sein Werk grundsätzlich nicht hermetisch angelegt, was dafür spricht, dass er ein breites oder in seinen Worten „normales Publikum“ erreichen will. Zugleich sind seine oft extrem großformatigen Gemälde durchaus komplex und visuell wie konzeptuell voller kunsthistorischer Bezugnahmen angelegt. Entsprechend berühren sie die großen Fragen, wie etwa im aktuellsten Bild der Schau von 2016, einem zarten, hinfälligen Porträt seiner Frau Elke, das Thema Alter, Verfall und Vergänglichkeit.

Daher ist der Blick auf das grafische Werk und die Papierarbeiten des internationalen Künstlerstars unbedingt interessant. Hier findet man den modernen Maler, der souverän über die in langen Jahren erarbeiteten formalen Mittel seiner Kunst verfügt, mit denen er seinem alltäglichen Leben nachspürt. Er hält dann in absolut hinreißenden Porträts etwa seine Hunde fest oder beschwört in lässigen, farbstarken Aquarellen seine Liebe zu großartigem Schuhwerk, handle es sich um elegante schwarze Abendschuhe oder aber Cowboystiefel, immer wieder Cowboystiefel, gern mit Sporn.

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