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Chinesische Illusionen

Die USA ziehen sich aus der internationalen Politik zurück. Diese Lücke will China füllen. Doch zur Weltmacht gehört mehr als wirtschaftliche Größe

Felix Lee

ist seit 2012 China-Korrespondent und damit der erste chinesischstämmige Korrespondent eines ­deutschen Mediums. 2011 erschien von ihm das Buch „Der Gewinner der Krise – Was der Westen von China lernen kann“, 2014 „Macht und Moderne. Chinas großer Reformer Deng Xiao-ping. Die Biographie“ (Rotbuch Verlag).

Was für eine verkehrte Welt: Beim letzten Gipfel der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (Apec) trat zunächst US-Präsident Donald Trump ans Rednerpult. Unmittelbar danach folgte Chinas Staatschef Xi Jinping. Der eine trat für Mauern und eine Rückbesinnung auf die eigene Nation, der andere für Freihandel und offene Grenzen. Doch nicht der US-Präsident sprach sich für eine multilaterale Weltordnung aus, sondern der chinesische Staats- und Parteichef. Für Abschottung und Alleingänge warb Trump.

Die Kräfteverhältnisse in der Weltpolitik haben sich im ersten Jahr unter Trumps Präsidentschaft massiv verschoben. Der US-Präsident ist aus dem Pariser Klimaschutzabkommen ausgetreten. Er hat dem Transpazifischen Handelsabkommen TPP eine Absage erteilt, das eigentlich die größte Freihandelszone der Menschheitsgeschichte markieren sollte. Und auch sonst hält er wenig von multilateralen Bündnissen. Diese Rückzieher stehen für den Bedeutungsverlust der USA. Auch im Konflikt um Nordkoreas Atomwaffenprogramm, im Territorialstreit um das Südchinesische Meer, im Nahen Osten – mit seinen Hasstiraden auf Twitter hinterlässt er weltweit Schäden, für die es Jahre, wenn nicht Jahrzehnte benötigen wird, sie zu kitten. Die einstigen Verbündeten haben sich von den USA abgewandt. Sie können und wollen sich nicht mehr auf die einstige Schutzmacht verlassen.

Chinas Staatschef Xi hingegen liefert das Kon­trastprogramm. Sein Land ist schon fast seit einem Jahrzehnt der Antrieb des globalen Wirtschaftswachstums. Die kommunistische Führung ist ihrer Verantwortung als zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt bewusst. Die Globalisierung sei ein „unumkehrbarer Trend“, von dem jetzt aber auch schwächere Staaten mehr profitieren müssten, hatte Xi vor einem Jahr ausgerechnet auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos gefordert, der jährlichen Zusammenkunft der neoliberalen Elite.

Mit dem gigantischen Infrastrukturprojekt One Road, One Belt (Obor), im Westen besser bekannt unter der Bezeichnung „Neue Seidenstraße“, will China in den nächsten 15 Jahren eine Billion US-Dollar – also 1.000 Milliarden! – in Straßen, Schienen und anderen Handelswegen investieren, um China mit Zentralasien, Europa und Afrika zu verbinden. Peking möchte den globalen Handel noch mehr ausbauen und stärken. Zudem ist China in aller Welt auf Einkaufstour, auch in Deutschland – ob im IT-Bereich wie kürzlich beim Roboterunternehmen Kuka oder demnächst bei C&A.

Schon mehren sich Stimmen, die nicht mehr die USA als globale Führungsmacht sehen, sondern China. Hat der Zeitenwandel begonnen? Wird es Peking gelingen, die Lücken zu füllen, die Washington unter Trump hinterlassen hat?

Nein, denn die Welt ist von einem chinesischen Zeitalter noch sehr weit entfernt. Chinas Staats- und Parteichef kann sich im Ausland für noch so viel Freihandel und offene Märkte einsetzen – mit der Realität im eigenen Land haben seine Worte nur wenig zu tun. In Wirklichkeit schotten die KP-Kader ihre heimischen Märkte derzeit mehr ab denn je. Chinas Zensoren kontrollieren das Internet im eigenen Land immer schärfer und blockieren den Zugang zu internationalen Webseiten. Und während chinesische Unternehmen eifrig, nicht zuletzt mit üppiger finanzieller Unterstützung des Staates, weltweit auf Einkaufstour gehen, dürfen ausländische Investoren in China keine chinesischen Unternehmen übernehmen. Sie müssen sich stattdessen mit einem chinesischen Partner zusammen tun, Gewinne müssen im Land bleiben.

Freie Märkte ist für die chinesische Führung gleichbedeutend für freien Zugang für die eigenen Unternehmen im Ausland. Nicht aber umgekehrt. Schon gar nicht deckt sich der von Xi beschworene Liberalismus mit dem politischen System im eigenen Land. Im Gegenteil: China ist mehr denn je eine Einparteiendiktatur, die das Land mit eiserner Faust regiert. Menschenrechte werden mit Füßen getreten. Über dem Rechtsstaat steht stets die kommunistische Partei. Wer ihr widerspricht, wird eingesperrt.

Sosehr China weltweit für seinen wirtschaftlichen Aufstieg bewundert wird. Wer genau hinhört, wird feststellen: So wie die Volksrepublik werden, das will eigentlich kein Land. Dafür ist die Volksrepublik zu autoritär, die Politik zu korrupt, das Misstrauen in das System zu offenkundig. Sobald sie es sich leisten können, erwägen auch viele Chinesen ihr Land zu verlassen.

China wird weltweit zwar für seine Wirtschaft bewundert, aber kein Land will werden wie die Volksrepublik

Anders hingegen die USA. Deren Demokratie mag unter Trump zwar leiden, doch im Kern sind Gewaltenteilung, unabhängige Justiz und die Institutionen intakt. Hinzu kommt die popkulturelle Überlegenheit: Mit Hollywood, aber auch Disneyland, Netflix, Apple, Lady Gaga und allgemein dem American Way of Life finden die USA weltweit Fans. Das Land mit seinen gesellschaftlichen Freiheiten zieht trotz Trump auch in die Wissenschaft weiter die klügsten Menschen der Welt an. Und so wie die USA nach dem Zweiten Weltkrieg für die westliche Hemisphäre Vorbild waren, werden die Amerikaner auch in anderen Teilen weiter für ihre Freiheitsrechte beneidet. Über all das verfügt China nicht.

Militärisch bleiben die USA ohnehin überlegen. Sie sind weltweit präsent und können mit ihren Waffen binnen wenigen Stunden jeden Punkt treffen. Das schaffen zwar auch andere, aber viele Länder setzen dennoch auf die USA. China mag mit seiner Aufrüstung zwar kräftig aufholen. Doch selbst das ist zu wenig, um in absehbarer Zeit zur Nummer eins aufzusteigen. Die Rolle einer Schutzmacht traut niemand den Chinesen zu.

So geschickt China ökonomisch vorgehen mag – um weltweit als Führungsmacht wirklich anerkannt und geachtet zu werden, gehört mehr dazu als wirtschaftliche Stärke. Was China fehlt, ist Softpower. Solange diese fehlt, bleiben nicht nur die USA, sondern selbst die Europäer den Chinesen überlegen.

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