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Künstlerkolonie in VW-Hausen

Der Kunstverein Wolfsburg zeigt einen Querschnitt des Aufbruchs der 60er-Jahre, als sich die Stadt mit internationalen Gästen profilieren wollte

Als tagte hier die UNO: der Sitzungssaal des Wolfsburger Rathauses 1958 Foto: Heinrich Heidersberger, Institut Heidersberger

Von Bettina Maria Brosowsky

Welche Stadt schreibt sich das nicht gern in ihr kulturpolitisches Programm: die Förderung der Kunst und der kreativ Schaffenden? Fällt irgendwo ein schmucker Industriebau brach, sprudeln gleich Ideen zu einem Atelierhaus mit Galerien, Werkstätten und Veranstaltungsräumen – für Künstler-Stipendiaten, Stadtschreiber oder Ähnliches mehr. Vieles erledigt sich aufgrund fehlender Finanzen, manches wird zum Flaggschiff der Szene wie die „Spinnerei“ in Leipzig. Wie sich Wolfsburg mit einem derartigen Projekt profilierte, zeigt eine Ausstellung im dortigen Kunstverein.

Die junge Stadt verfügte zum Ende der 1950er Jahre über eine stattliche Leerstands-Immobilie, nämlich das Schloss. Es war ihr aus dem rechtlich komplizierten Nachlass der NS-Zeit zugefallen. Wenngleich noch von letzten Flüchtlingen und „displaced persons“ besiedelt, ging die Stadt daran, hier einen kulturellen Schwerpunkt als Gegenpol zur bereits wieder florierenden Auto-Industrie aufzubauen.

Moderne Kunst und Architektur wurden als zukunftsweisende Standortfaktoren gesetzt, sollten die Lebensbedingungen der Arbeiterstadt verbessern, ihr Image aufpolieren. Verantwortlich zeichnete Oberstadtdirektor Wolfgang Hesse. Er war Sohn des legendären Bürgermeisters Fritz Hesse aus Dessau.

Diesem war es 1925 gelungen, das in Weimar politisch bedrängte Bauhaus nach Dessau zu holen. Der Neubau und die Institution wurden zu Ikonen der Moderne. Gefördert von der lokalen Industrie rund um Flugzeugpionier Hugo Junkers etablierte sich die experimentelle, internationale, multidisziplinäre Lehre, die Kunst und Massenproduktion versöhnen wollte.

In Wolfsburg verpflichtete Hesse Junior 1958 den finnischen Star-Architekten Alvar Aalto. Zuvor hatte er bereits das Rathaus neu errichten lassen, als eine der ersten bundesdeutschen Neubauten mit dieser Funktion überhaupt. Im Äußeren etwas bieder, sollte dessen futuristischer Ratssaal wohl schon die erhoffte Weltbedeutung Wolfsburgs antizipieren.

Und Hesse warb zielgerichtet Künstler*innen aus anderen Städten an, bot Atelierräume und Werkstätten im Schloss an, versprach Existenzmöglichkeiten in Schulen oder in der Erwachsenenbildung sowie Ankäufe und die Beteiligung an öffentlichen Aufträgen.

So kam eine illustre Schar nach Wolfsburg, die unter dem Namen „Schloss-Straße 8“ zwar nicht direkt zusammen arbeitete, aber den Austausch pflegte, Gruppenausstellungen organisierte und Gästen Raum bot. Da war etwa der Österreicher Gustav Kurt Beck, 1959 Teilnehmer der Documenta II, der mit fragmentierten Stadtperspektiven eine Gegenposition zum vorherrschenden Informel bezog.

Oder Gerhard Trommer, Farbfeldmaler im Stile des „hard edge“. Er studierte dann noch Biologie, habilitierte sich und übernahm in Frankfurt eine Professur. Oder Heimatlose wie der rumänische Bildhauer Peter Szaif und seine Frau Olga Pawlowa aus Estland, die sich mit bunten Collagen in Richtung Pop Art orientierte.

Und natürlich Heinrich Heidersberger, als Fotograf der Chronist der sich rasant entwickelnden Stadt. Für ein Foto des Wolfsburger Ratssaals griff er stilsicher zum Mittel der ästhetischen Überhöhung: Man erwartet hier statt der lokalen Ratsmitglieder eher die Vertreter der UNO zu einer Sondersitzung.

Von dieser Künstlergruppe, die in den 1980er Jahren dann erodierte, erzählt derzeit eine Ausstellung im Wolfsburger Kunstverein – auch er ja, 1959 gegründet, ein Kind der Ära Hesse. Ein Querschnitt aus den ersten drei Gruppenausstellungen der Jahre 1962 bis 1969 präsentiert knapp 40 Arbeiten von zehn Protagonisten der ersten Generation.

Eigentlich sei der Kunstverein ja der Gegenwartskunst verpflichtet, sagt dessen Leiter Justin Hoffmann. Aber der historische Rückblick offenbare gegenwärtige Mängel. So sind durch den schier unendlichen Dieselskandal die Zeiten für die Wolfsburger Kultur härter geworden. Aufgrund von Haushaltssperren streicht die Stadt dem Kunstverein seit 2016 jährlich zehn Prozent seines Etats, der Städtischen Galerie noch mehr.

Beide residieren im Wolfsburger Schloss, teils in den vormaligen Atelierräumen, und haben mit den Problemen der Immobilie zu kämpfen: Die fehlende Klimastabilität vereitelt der Städtischen Galerie manche Leihgabe anderer Häuser; der Kunstverein könnte gut mehr Fläche gebrauchen. Das Stadtmuseum im Nebengebäude versucht sein Bestes, eine Gastronomie dümpelt vor sich hin. Insgesamt sei das Schloss aus dem Fokus der Stadt gefallen, sagt Hoffmann. Zudem hat es seit zehn Jahren mit dem umgebauten „Hallenbad“ eine stark auf ein jüngeres Publikum ausgerichtete Konkurrenz.

„Hard Edge“: ein Farbfeld von Gerhard Trommer Foto: Claudia Mucha für den Kunstverein Wolfsburg

Dabei war das Wolfsburger Schloss für eine ganze Generation der Erstkontakt mit Kunst und Kultur, auch der produktiven Betätigung. Ein Hauch von Bauhaus muss den alten Adelssitz durchweht haben.

Da war etwa die Druckwerkstatt, von Gustav Kurt Beck eingerichtet und geleitet. Mehr als 300 Künstlerinnen und Künstler haben hier für ein oder zwei Monate als Gäste gearbeitet. Sie konnten im Schloss auch wohnen, eine Möglichkeit, die etwa Georg Baselitz, Johannes Schreiter und Gerd Winner nutzten.

Die Werkstatt existiert noch. Sie wird von der Städtischen Galerie sporadisch für Editionen betrieben. Auch der Nachlass Heidersbergers ist am authentischen Ort im Schloss verblieben. Vorbei sind jedoch die Zeiten aktiver, auch alternativ- progressiver Kunstförderung: Hier startete Max Müllers Punk-Band, erste künstlerische Arbeiten seines Bruders Wolfgang wurden ausgestellt und angekauft.

Ein Gutachten soll nun Mängel im Schloss aufnehmen, denn ohne externe „Objektivität“ gehe heutzutage wohl nichts mehr, meint Justin Hoffmann dazu. Programmatisch vielleicht visionär geht es 2018 im Kunstverein dann um Vereinfachung und Verdichtung.

Ausstellung „Schloss-Straße 8“: bis zum 4. Februar

14. Januar 11 Uhr : Release des Ausstellungskatalogs, Gespräch mit Renate Heidersberger-Weber und Benjamin Heidersberger und Ausstellungseröffnung: Aenne Biermann, Fotografie für Zeitschriften und Journale der 1920er Jahre

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