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Andreas Rüttenauer KulturbeutelAye, aye, Käpt’n Bilbo! oder: Wie er lernte, Max Schmeling fit zu machen

Seit dem Kampf des Schwergewichtsboxers Manuel Charr gegen Alexander Ustinow, für den er den Weltmeistergürtel der World Boxing Association bekam, wurde viel über den großen Deutschen gesprochen. Charr, der mit einer deutschen Lizenz antrat, wurde schnell als Schmeling-Nachfolger gepriesen, dann hieß es, er sei boxerisch nicht würdig, mit dem Weltmeister der 30er Jahre verglichen zu werden. Und dann war die Diskussion auch schon wieder vorbei, als sich herausstellte, dass Charr gar keinen deutschen Pass hat, dass er ein syrisch-libanesischer Einwanderer ist, der schon mal unter syrischer Flagge gekämpft hat. Schmeling bleibt der einzig würdige, schwere, deutsche Boxer mit Weltmeistertitel. Basta!

Und auch wenn Charrs boxerische Fähigkeiten nicht grandios sein mögen, so ist doch eines gewiss, sein Leben ist auf eine romanhafte Weise weltmeisterlich. Möge sich einer wie Ludwig Lugmeier doch bitte sehr einst darum kümmern, das Leben des Mannes in ein literarisches Werk zu gießen. Der Schriftsteller vermag es, mit seiner lakonischen Art, Dinge als beinahe schon normal zu beschreiben, Dinge, die eigentlich den puren Wahnsinn darstellen. Und ein bisschen wahnsinnig ist es ja schon, das Leben des Manuel Charr, der in Beirut geboren ist, als kleines Kind ohne den Vater, der im Bürgerkrieg sein Leben gelassen hat, nach Deutschland gekommen ist, als junger Boxer in eine „Auseinandersetzung“ (Wikipedia) geraten ist, die ihm eine Anklage wegen Totschlags eingebracht hat, der mal bezichtigt wurde, einer Autoschieberbande anzugehören, der mal in einer Imbissbude angeschossen wurde und der dann irgendwann doch relativ brav dahergekommen ist. Ein absolut romantaugliches Leben, kein Zweifel.

Ein solches hat auch Hugo Cyrill Kulp Baruch geführt. Lugmeier hat es zu einem „Faktenroman“ verarbeitet. „Die Leben des Käpt’n Bilbo“ ist gerade im Verbrecher Verlag erschienen und führt den Leser in die irre Welt eines Nachkommens aus großbürgerlichem Berliner Hause, den es als Schriftsteller, Wirt, Maler oder in anderen Funktionen in die USA, nach Katalonien, London und Mallorca verschlägt, wo er zu einer Person der Weltgeschichte wird. Der Spanische Bürgerkrieg kommt ihm nahe, und der Holocaust, von dem er und seine jüdische Familie betroffen sind, geht ihm nahe. Lugmeier erzählt, wie Baruch sich immer wieder neu erfunden hat. Als er erzählt, dass er der Leibwächter von Al Capone war, kommt das so gut an, dass er von dieser Geschichte, die er zwischen zwei Buchdeckel packt, eine Zeit lang leben kann. Aus Hugo Baruch war da längst Jack Bilbo geworden.

Dass er Max Schmeling kannte, hat sich Baruch/Bilbo nicht ausgedacht. Ein Foto aus dem Nachlass, das in Lugmeiers Buch abgedruckt ist, darf hier als Beleg dienen. Zweimal hat er Schmeling gar als Sparringspartner auf Kämpfe vorbereitet. Zum ersten Mal geschah das ganz zu Beginn von Schmelings Karriere, 1926 vorm Kampf gegen einen gewissen Max Diekmann, der dann schon in der ersten Runde k. o. gegangen ist. Und dann noch einmal vor dem Kampf gegen Paulino Uzcudun im Jahre 1934 in der Nähe von Barcelona, wo Bilbo in jenen Tagen eine Kneipe namens S.O.S. Bar betrieben hat. In Schmelings „Erinnerungen“ von 1977 taucht ein Baruch oder Bilbo nicht auf. Dafür Al Capone, der Schmeling, als der in Chicago weilte, zu einer Party eingeladen hat, wo der brave Mann dann feststellen musste, dass der Gangsterboss „das Leben eines biederen Geschäftsmanns“ führte.

Nun, bieder war das Leben des Käpt’n Bilbo nicht. Ebenso wenig wie das des Manuel Charr. Wenn sich zur Verarbeitung von dessen Biografie kein Schriftsteller finden sollte, für eine Netflix-Serie aus Berlin-Wedding und Essen-Katernberg taugt sie auch.

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