: Nichts zu bieten
Die SPD muss sich nach zwei Wahlklatschen neu finden und nimmt sich dafür alle Zeit, die sie nicht hat. Die nächste Drohung im Mai heißt Kommunalwahl
Von Sven-Michael Veit
Die Sozialdemokraten in Schleswig-Holstein glauben, Zeit im Überfluss zu haben. Und verschenken sie deshalb großzügig. Nach den beiden herben Wahlniederlagen im Mai im Land und im September im Bund wollen sie sich schon in etwa eineinhalb Jahren erneuert haben, so die offizielle Leitlinie.
Als politischer Beobachter könnte man da die Gelassenheit einer großen Volkspartei rühmen, die sich von kleinen Widrigkeiten wie dem Regierungsverlust nicht vom Kurs abbringen lässt. Oder kopfschüttelnd die Wagenburgmentalität einer zutiefst verunsicherten Partei bestaunen, die außerhalb der wenigen größeren Städte in weiten Teilen des Landes, vor allem an der Westküste, kaum noch existent ist und nur von einer Person zusammengehalten wird, die ihre beste Zeit hinter sich hat.
Partei- und Fraktionschef Ralf Stegner ist seit zehn Jahren die dominierende Figur der SPD im hohen Norden, und er will das noch mindestens bis zum Parteitag im Frühjahr 2019 bleiben. Dann sollen, so verkündete er im November auf einem Landesparteitag, „drei breit aufgestellte Arbeitsgruppen Vorschläge zur programmatischen Weiterentwicklung, zur Organisationsstruktur und zur Personalentwicklung vorlegen“. Heißt im Klartext: Schleswig-Holsteins SPD weiß nicht, was sie will, wohin sie will, wie und mit wem, hat deshalb aber noch lange keine schlaflosen Nächte.
Die hat Björn Engholm zwar auch nicht, dennoch treibt den früheren Ministerpräsidenten die Sorge um seine Partei noch immer und neuerdings vermehrt um. „In Schleswig-Holstein steht nur noch jeder siebte Wahlberechtigte hinter der SPD, da ist die Untergrenze von dem, was eine Volkspartei ausmacht, erreicht“, sagt Engholm im Gespräch mit der taz. Und er kritisiert das Schneckentempo im Parteivorstand: „Die müssten mehr Dampf machen. Die Landesspitze muss den Mut haben, ihre Nachfolger auszubauen. Wir brauchen auf allen Ebenen innovative Köpfe.“
Am nachdrücklichsten hatte auf dem Parteitag in Neumünster am 11. November Frank Nägele, Mitglied im Landesvorstand und bis Ende Juni Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, die Forderung nach Erneuerung der Parteispitze erhoben: „Lasst uns das an den Gliedern, aber lasst es uns auch am Haupt tun.“ Ex-Wirtschaftsminister Reinhard Meyer forderte einen „klaren Zeitplan der personellen Erneuerung“, sonst werde die SPD im Landtag nicht nur fünf, sondern zehn Jahre in der Opposition sein.
Eine Befürchtung, die Björn Engholm teilt: „Jamaika ist eine große Bedrohung für die SPD“, sagt er: „Sie regieren unauffällig, ich hätte mit größeren Problemen gerechnet. Ich hatte falsch eingeschätzt, wie biegsam Leute wie Robert Habeck sind.“ CDU, Grüne und FDP würden zusammen unter dem Ministerpräsidenten Daniel Günther, „der eher als Moderator denn als Präger auftritt, ein breites Spektrum abdecken“.
„Weniger quatschen, mehr machen“ hält hingegen eine prominente Genossin für das Gebot der Stunde. Die SPD im Norden müsse „eine linke Volkspartei bleiben“, sagt sie: „Wir müssen Kurs halten.“ Die Themen müssten eine breite Wählerschaft ansprechen, es gehe programmatisch um „das Spektrum, die Bandbreite“. So ähnlich hatte es auch Stegner formuliert, als er Ende Oktober einen „Bauplan für die Großbaustelle SPD“ vorgelegt hatte. Die Unterschiede zur Union betonen, aber auch zu den Grünen, mutiger werden und progressiver zugleich und zudem „Klartext reden, nicht so verschwurbelt“ sind Stegners Vorstellungen von einem linken Profil.
Eine Vorstellung, die Björn Engholm nur bedingt teilt: „Die SPD in Schleswig-Holstein ist nicht so links wie ihr Ruf. Wenn man Stegners Sprache abzieht, bleiben hochgradig vernünftige Positionen übrig. Dezidiert linke Positionen gehen in Schleswig-Holstein auch nicht, damit dringt man im Hauke-Haien-Koog nicht durch.“
Dennoch hat Ralf Stegner für seine Sichtweisen in der schleswig-holsteinischen SPD weiterhin eine große Gefolgschaft. Auch auf dem Parteitag vor sieben Wochen wurden zwar Lippen gespitzt, gepfiffen indes wurde nicht. Klare Rücktrittsforderungen an Stegner gab es nicht, und ohne HerausfordererIn hätten sie auch keinerlei Aussicht auf Erfolg gehabt. Ohne personelle Erneuerung würde die SPD aus heutiger Sicht bei der nächsten Landtagswahl 2022 kaum eine realistische Chance gegen Jamaika haben.
Immerhin will Stegner dann nicht Spitzenkandidat werden, eine Tandemlösung wie 2012 und 2017 mit Torsten Albig schwebt ihm vor. Das aber soll alles frühestens in eineinhalb Jahren besprochen werden. „Diese Zeit müssen wir uns nehmen“, sagt auch ein Spitzengenosse, „wir haben auch gar keine andere Chance. Uns fehlt das Programm, uns fehlt das Profil, uns fehlt das Personal.“
Björn Engholm, der seit über 20 Jahren Partei- und Tagespolitik aus der Distanz des Elder Statesman betrachtet, hat zumindest einen konkreten Vorschlag: „Wir sollten nicht rote Fahnen schwenken, sondern erklären, was Gerechtigkeit bedeutet, dass es um Veränderung von Strukturen geht, die auch für Leute mit mittlerem Einkommen wichtig sind. Und es so erklären, dass die Leute es auch verstehen.“
Alles richtig, sagt die prominente Sozialdemokratin, die Sache hätte nur zwei Haken. Klar brauche die SPD zur Landtagswahl in vier Jahren „einen populären Kandidaten oder eine Kandidatin“, aber das habe noch ein bisschen Zeit: „Nutzt ja niemandem, Leute zu verschleißen.“ Zunächst aber müsse die SPD überhaupt die Kommunalwahlen am 6. Mai kommenden Jahres halbwegs unbeschadet überstehen.
In den Städten liegt die SPD zwar weiterhin vorne, von echten Hochburgen kann man aber kaum noch sprechen. In Lübeck gewann der SPD-Kandidat im November die Bürgermeisterwahl nur hauchdünn, das wurde bereits als Hoffnungssignal gefeiert. Auf dem Land indes stellt die SPD kaum noch Bürgermeister, im Marschenland an der Nordsee ist die Partei längst in der Versenkung verschwunden. „Wir dürfen vor der Kommunalwahl aber keine Angst haben“, sagt der andere Spitzengenosse, und das klingt fast schon trotzig.
Vor dem Mai mithin ist in Schleswig-Holsteins SPD keine offene Diskussion über nichts zu erwarten – nicht über Programme, nicht über Personen. Die Parole lautet, dem politischen Gegner keine Angriffsflächen zu bieten. Was die SPD indes den WählerInnen bieten kann, wenn sie denn nicht erkennbar ist, bleibt ihr Geheimnis.
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