ZDF-Feature über Männerseelen: Der Geist des Dokumentarfilms
„SUPER FRIEDE LIEBE LOVE“ erzählt von sechs gestrandeten Männern in einem katholischen Wohnheim. So nah sieht man Gescheiterte selten im TV.
Es ist schon oft gesagt worden – man kann es gar nicht oft genug sagen: Der Dokumentarfilm hat einen schweren Stand im öffentlich-rechtlichen deutschen Fernsehen. Die ARD gewährt im Sommerloch ein paar wenige, sonst brachliegende Sendeplätze. Und das ZDF? In diesem Jahr hat der hauseigene Säulenheilige, die Dokumentarfilmlegende Hans-Dieter Grabe (vergleichbar nur mit Klaus Wildenhahn, der hauseigenen Dokumentarfilmlegende des NDR) seinen achtzigsten Geburtstag begangen.
Grabes jüngstes Werk „Anton und ich“ war seinem Sender am vergangenen Mittwoch einen Termin um 1 Uhr nachts wert. Vorher, zur Primetime, gab es „Aktenzeichen XY“ und dann eine Dokumentation „Das Drehbuch des Terrors: Wie gefährlich sind Europas Islamisten?“.
Den Unterschied zwischen Dokumentation und Dokumentarfilm haben Zuschauer mit viel Sitzfleisch an jenem Abend studieren können. Ein bisschen tendenziös könnte man sagen: Die Dokumentation ist die aktionistische, populistische, reißerische – die journalistische Form. Hans-Dieter Grabe formuliert das vornehme Ethos des Dokumentarfilmers: „Ich war ja nie auf der Suche nach der Sensation. Nie auf der Suche nach dem Ungewöhnlichen.“
Ein Lichtblick in der Nische
Diesen Geist atmet auch „SUPER FRIEDE LIEBE LOVE“, in der Nacht zu morgen um 0.35 Uhr im ZDF. Das kleine Fernsehspiel ist noch so eine Nische, in dem der Dokumentarfilm gelegentlich landet. In dem Film geht es 90 Minuten lang darum, wie eine Handvoll nicht mehr junger Männer in einem katholischen Männerwohnheim in München unterkommt.
Der Absolvent der dortigen Hochschule für Fernsehen und Film, Till Cöster, behelligt sie nicht mit seinen Fragen. Das wäre ein allzu journalistischer Ansatz. Sie erzählen einfach drauf los, etwa der Mann, dem der Film seinen Titel verdankt. Jeden Quadratzentimeter seines Zimmers hat er mit seinen Friedensbotschaften vollgeschrieben. So allein erfährt der Zuschauer davon, denn leider nuschelt der Mann seine Mantras in so breitem Münchnerisch, dass er für alle Nicht-Bayern unverständlich bleibt.
„SUPER FRIEDE LIEBE LOVE“, Buch und Regie Till Cöster, läuft in der Nacht zu Dienstag, 19.02., 0.35 Uhr, ZDF.
Einige der Männer waren zuvor obdachlos. Einer ist erst seit sechs Tagen da, in seinem Zimmer sieht es aus, Pardon, wie bei einem Messie: „Und da haben die mir also freundlicherweise schon zweimal die ganze Bude geräumt. Und da musste ich immer wieder von vorne beginnen. Das Wissen hatte ich zwar. Aber meine ganzen technischen Unterlagen, meine Entwürfe von Patenten und so – alles war weg!“
Einer sieht aus und spricht wie der Comedian Michael Mittermeier nach einem exzessiveren Leben, an das er sich fragmentarisch erinnert: „Und sind weiter innen Süden, ans Meer runter, und sind jeden Tag geschwommen, verstehste, jeden Tag ins Wasser rein, kristallblaues Wasser, der Himmel kristallblau, verstehste, das war so optimal, das kannst du dir so nicht vorstellen!“ Einer zitiert aus dem Lateinischen und doziert über Semantik – dass er einmal Lehrer war, muss man sich denken: „Der Lebenskrise suchte ich zu entfliehen, indem ich anfing, stärker zu trinken.“ Alkohol ist ein Thema. Eine Flasche „Mädchentraube“ kostet 1,79 Euro. Trotzdem: „Ja, dieses völlig Losgelöstsein von den Sorgen, von irdischen Sorgen und so, das ist bei Heroin extrem. Bei Alkohol nicht so.“
Den Papst hätte es nicht gebraucht
Das Heim ist katholisch, irgendwann geht es nach Rom zum Papst: „Ich bitte euch um Vergebung für all die Male, die wir Christen angesichts eines Menschen in einer armseligen Situation den Blick abgewendet haben. Ich bitte um Vergebung.“
Einer der Bewohner
Der Zuschauer hätte diesen Wink mit dem Zaunpfahl indes nicht nötig gehabt, er hat die – demütige, humanistische – Botschaft des Films zu diesem Zeitpunkt längst verstanden. Noch viel dicker trägt die Waschzettelprosa des ZDF-Programmhinweises auf: „Das Gelingen ihres Zusammenlebens entwirft die Vision einer besseren Welt.“ Ein echter, sich mit der Rolle des stillen Beobachters bescheidender Dokumentarfilmer hätte sich niemals zu solcherart prätentiöser Formulierung hinreißen lassen. Da muss ein übermotivierter ZDF-Mitarbeiter am Werk gewesen sein. Es kann nicht anders gewesen sein!
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