heute in bremen: „Auf der Arbeit abgeholt“
Hans Hesse, 56, ist Historiker und Autor. Zuletzt ist im Oktober seine Monografie „Stolpersteine: Idee. Künstler. Geschichte. Wirkung.“ im Klartext-Verlag erschienen.
Interview Simone Schnase
taz: Herr Hesse, am 16. Dezember ist der 75. Jahrestag des „Auschwitz-Erlasses“ – was wurde damals beschlossen?
Hans Hesse: Der Erlass war der Beginn der Endphase der Vernichtung; er bestimmte, dass nunmehr alle Sinti und Roma des Deutschen Reichs nach Auschwitz deportiert werden sollten.
Welche Rolle spielte Bremen dabei?
Bremen war die Zentrale der „Zigeunerverfolgung“ in Nordwestdeutschland: Hier befand sich die Zentrale des „Zigeunerdezernats“, die Kripo-Leitstelle. Im März 1943 wurden ungefähr 275 Sinti und Roma zum Schlachthof gebracht, weil der sich in direkter Nähe zum Bahnhof befand. Das Gelände wurde so hergerichtet, dass sie dort campieren konnten. Dort wurde im Grunde genommen wiederholt, was bereits 1940 im Schützenhof in Gröpelingen gemacht wurde.
Was geschah da?
1940 wurden rund 100 Menschen von dort aus ins Vernichtungslager Belczek deportiert. Damals hat man versucht, Bremerhaven „zigeunerfrei“ zu bekommen.
Der Alte Schlachthof liegt zentral in Bremen – hat die Bevölkerung die Transporte mitbekommen?
Was dort hinter den Mauern geschehen ist, konnte man wohl nicht sehen. Aber: Schulkinder sind während des Unterrichts von der Polizei aus ihren Klassen herausgeholt worden, das geht aus Einträgen in den Klassenbüchern hervor. Erwachsene sind im Beisein ihrer Kollegen auf der Arbeit abgeholt worden. Und dann gab es im Juni 1943 in den Bremer Nachrichten einen Aufruf, der darüber informierte, dass es Vermögen der Sinti und Roma gab, das nun versteigert werden sollte – das haben also schon alle mitbekommen.
Wie geht Bremen mit seiner Rolle bei der Deportation von Sinti und Roma um?
Vortrag „Die Verfolgung der Sinti und Roma in Nordwestdeutschland“, 18 Uhr, Krimibibliothek in der Stadtbibliothek am Wall
Es gibt Gedenktafeln am Schützenhof und am Alten Schlachthof, aber: Es gab auch eine Frau, über die in Bremen leider gar nicht gesprochen wird: Karin Magnussen, die im Auftrag von Josef Mengele Augenversuche an Sinti und Roma gemacht hat. Sie hat nach 1945 unbehelligt als Biologie-Lehrerin in Bremen gearbeitet. Schüler haben berichtet, dass sie Kaninchen gezüchtet und sich, wenn eines davon gestorben ist, sehr für deren Augen interessiert hat. Und dann fällt mir auf, dass seit meinem Buch „Vom Schlachthof nach Auschwitz“, das ich vor fast zwanzig Jahren geschrieben habe, in der Forschung recht wenig passiert ist.
Wie erklären Sie sich das?
Der Auslöser für das Buch war die Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma. Auch der erste „Stolperstein“ in Köln ist auf einen Bürgerrechtsverein zurückzuführen. Das Problem waren aber die Namen: Die Sinti und Roma wollten nicht, dass man sie veröffentlicht, weil jeder dann ja wusste, dass es sich bei dieser oder jener Familie um „Zigeuner“ handelt. Das ist auch der Grund, warum es in Bremen keine Stolpersteine für Sinti und Roma gibt.
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