Erdogan-Kritiker soll abgeschoben werden: In die Heimwehfalle getappt
Der Journalist und türkische Regimekritiker, Adil Yiğit, hat sich jahrzehntelang gegen Abschiebungen in die Türkei engagiert. Nun droht sie ihm selbst.
Seit dem 23. November befindet sich Yiğit aber in einer sechsmonatigen Maßnahme des Jobcenters Hamburg, um sozialpädagogische Kenntnissen aufzufrischen, damit er wieder als Sozialarbeiter arbeiten kann. „Den Bescheid darüber habe ich der Sachbearbeiterin gezeigt, das hat sie aber nicht interessiert“, berichtet Yiğit.
In der Tat befinden sich seine Lebensgefährtin türkischer Herkunft und die beiden gemeinsamen Kinder, 11 und 17 Jahre alt, zurzeit in der Türkei, obwohl alle drei über die deutsche Staatsangehörigkeit und deutsche Pässe verfügen. „Sie wollen es einfach mal dort probieren“, so Yiğit. „Wenn es nicht klappt, kommen sie zurück.“ Bis zum heutigen Dienstag hat er Zeit, sich zu dem Bescheid zu äußern.
Ausschluss vom G20-Gipfel
Für Yiğit kommt der Zeitpunkt einer solche Attacke zwar überraschend, sie sei jedoch kein Zufall: „Es ist eine politische Entscheidung, für die nicht die Sachbearbeiterin allein verantwortlich ist“, ist Yiğit überzeugt. Dem Journalisten, der das regimekritische online Medium Avrupa Postasıin Hamburg betreibt, war beim G20-Gipfel in Hamburg trotz Akkreditierung die Zugangsberechtigung zum Bundes-Pressezentrum entzogen worden. Yiğit vermutet, dass dies mit Druck des türkischen Geheimdienstes MIT zu tun gehabt hat. Der Ausschluss sorgte bundesweit für Schlagzeilen. „Dafür soll ich jetzt bestraft werden“, so der 58-Jährige.
Yiğit, der einst der militanten marxistisch-sozialistischen Organisation „Devrimci Sol“ („Revolutionäre Linke“) angehörte, war 1978 bei einem Handgranaten- Überfall von faschistischen Grauen Wölfen schwer verletzt worden und anschließend aus der Türkei nach Frankreich geflohen, das ihn als politischen Flüchtling anerkannte. Anfang der 1980er-Jahre kam Yiğit nach Hamburg, wo er eine taz-Redakteurin heirate und zwei Kinder mit ihr bekam. Er arbeitete damals als Sozialarbeiter und Jugendbetreuer bei der Sozialbehörde und bekam eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung.
Auch in Deutschland engagierte sich Yiğit gegen die autoritären Regime in der Türkei. Nach dem Suizid von Kemal Altun, der 1983 aus Angst vor einer Abschiebung in die türkische Militär-Diktatur in den Tod gesprungen war, kämpfte Yiğit auch gegen Abschiebungen in das Land. Es ist maßgeblich seinen Aktivitäten zu verdanken, dass der Platz auf dem ehemaligen Menck & Hambrock-Gelände in Hamburg-Ottensen heute Kemal Altun-Platz heißt.
Adil Yiğit, Journalist
Mit dem Gesetz in Konflikt kam Yiğit 1996, nachdem er für türkische politische Weggefährten eine Wohnung angemietet hatte, die dort konspirativ Waffen lagerten. Er wurde zu zwei Jahren und acht Monate Haft verurteilt, obwohl er mit der Waffenlagerung direkt nichts zu tun hatte. Seine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung wurde nach dem Urteil in befristete zweijährige Genehmigungen umgewandelt.
Falscher Eindruck von der Türkei
Dann machte Adil Yiğit einen Fehler. Einerseits erklärte die Hamburger Ausländerbehörde, dass die alle zwei Jahre stattfindenden Frankreich-Reisen zur Verlängerung der Asylbescheinigung überflüssig seien. Andererseits schienen die große Protestwelle um den Gezi-Park und den Taksim-Platz eine demokratische Entwicklung in der Türkei voranzubringen. Yiğit gab seinen Flüchtlingspass ab und beantragte einen türkischen Pass.
„Ich habe mehr als Dreiviertel meines Lebens dafür geopfert, für demokratische Verhältnisse in der Türkei zu kämpfen, ich wollte einfach vor Ort dabei sein und nicht hier vom Computer aus zuschauen“, erinnert sich Yigit. Irgendwann wolle man zurück, nicht nur für kurze, illegale Besuche. „Ich wollte direkt mit den Leuten reden, auch darüber, was wir für Fehler gemacht haben“, konstatiert Yiğit. Denn viele Freunde seien von der türkischen Regierung ermordet worden.
Der türkische Geheimdienst schnüffelt
Doch jetzt ist die Situationen eine andere: eine Rückkehr in die Türkei unter den aktuellen politischen Bedingungen kommt für Yiğit einem Gang in den Hochsicherheitstrakt gleich. Denn der Geheimdienst MIT hat seine Aktivitäten in Deutschland stets beobachtet, erst Ende vergangenen Jahres war Yiğit in Hamburg Ziel einer MIT-Operation geworden, die sich auf seine Kontakte zu türkischen Kurden richtete. Auch dass Yiğit in der Vergangenheit einmal ein Dev Sol-Ausbildungslager in unmittelbarer Nähe eines Ausbildungslagers der Kurdischen Arbeiterpartei PKK im syrischen Damaskus besucht hat, dürfte den Agenten des Erdoğan-Regimes nicht im Verborgenen geblieben sein.
Die momentane Situation „ist mir peinlich“, sagt Yiğit. Nachdem er hunderten Menschen bei ihren Asylverfahren geholfen habe, „schäme ich mich nun, dass ich mich wegen meines eigenen Falles an die Öffentlichkeit wenden muss“. Die Sprecherin des Bezirksamts Hamburg-Mitte, Sorina Weiland, kann aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Stellungnahme abgeben. Sie deutet allerdings an, dass die letzte Entscheidung noch nicht gefallen sei. „Er kann ja noch andere Gründe außer den Kindern vorbringen, die einen Aufenthalt rechtfertigen.“
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