Zinnwerke ohne Zukunftskonzept: Stillstand am Kanal
Die zukünftige Nutzung der Zinnwerke in Hamburg-Wilhelmsburg ist ungewiss. Von der großen Vision eines Kulturkanals ist Jahre später kaum etwas übrig.
„Schau.Spiel.Platz“ steht in großen Lettern auf einem Schild am Eingang, die Türen zur Halle sind weit geöffnet. Drinnen stehen in einer Ecke Sofas, gegenüber eine selbst gezimmerte Bar, an der Wand hängt ein großer Orientteppich. Junge Leute laufen geschäftig von A nach B, mittendrin: Martha Starke und Beate Kapfenberger.
Die beiden Grafikdesignstudentinnen haben die Zinnwerke einen Monat lang in einen Kulturspielplatz verwandelt. Ihre Idee war so simpel wie raffiniert: Im Zentrum stand eine mobile Installation, zusammengebaut aus alten Gerüsten einer Werft im Harburger Binnenhafen. Die Konstruktion wurde mal zum Zuschauerraum, mal zur Bühne umgebaut, je nach Bedarf. „Wir wollten diesem Ort etwas zurückgeben“, sagt Beate, die gemeinsam mit Martha eine Designagentur in den Zinnwerken betreibt, „es ist schade, dass diese großen Hallen leer stehen, da mussten wir einfach was machen.“
Marco Antonio Reyes Loredo, dessen Filmproduktionsfirma „Hirn und Wanst“ auch in den Zinnwerken sitzt, steht daneben und muss lachen. Nicht, weil die beiden Unrecht hätten. Doch mit dem „einfach machen“ ist es eben nicht so leicht am Kanal.
Nachdem die 1903 erbauten Zinnwerke lange leer standen, mieteten sich vor ein paar Jahren Künstler und Kreative in einem Teil ein. Als die Gebäude 2013 einem Neubau des Opernfundus weichen sollten, regte sich Widerstand im Stadtteil – die Stadt rückte von den Plänen ab, die Zinnwerke blieben erhalten, vorerst. Es folgte die Zeit der „großen Hoffnungen“, wie Loredo sagt: Hoffnungen auf einen kulturellen Aufbruch im stadtplanerisch lange vernachlässigtem Wilhelmsburg. 2014 war das, kurz nachdem Andy Grote – damals Leiter des Bezirks Mitte, heute Innensenator – recht großspurig die Vision vom „Kulturkanal“ heraufbeschworen hatte: Ateliers, Kino, Musikclubs, Bühnen sollten den Veringkanal säumen.
Die Pläne einer Kulturmeile stagnieren
Die Kanalanrainer, darunter auch Unternehmen, muslimische Gemeinden, ein Krankenhaus, kamen zu Gesprächen zusammen, formulierten Wünsche. Auch im Koalitionsvertrag von SPD und Grünen findet sich die Idee vom Kulturkanal wieder. Und heute? Die Pläne stagnieren. Und die Zukunft der Zinnwerke, die mal der Kern der Kulturmeile sein sollten, ist ungewiss.
Nicht, dass sich am Kanal nichts tun würde: Da wären das Archipel, ein schwimmender Ponton, der für Konzerte und Yogastunden genutzt wird, der Musikclub Turtur oder das „Kultur-Floß“ „Schaluppe“, das hier hin und wieder seine Bahnen zieht. Projekte, die von Anwohnern ins Leben gerufen wurden. Solchen Aktionismus würden sich viele auch von der Stadt wünschen. „Das Gebäude verfällt immer mehr und nichts passiert. Langsam haben wir es satt, zu warten“, sagt Loredo, der Hauptmieter des Bürotraktes ist.
Über 50 Mieter arbeiten in den Zinnwerken, das Verhältnis zur Eigentümerin, der städtischen Sprinkenhof GmbH, gilt als schwierig: „Wir haben den schlechtesten Mietvertrag, den man sich vorstellen kann, Kommunikation findet nicht statt“, sagt Loredo. Das heißt: Viele Pflichten, wenig Rechte. Wenn etwas kaputt geht im Haus, müssen die Mieter selbst ran. Wie lange die Kreativen bleiben dürfen, ist offen. Und während die Nachfrage nach Büroräumen wächst, stehen nebenan die 2500 Quadratmeter großen Hallen leer, nur einmal im Monat organisiert Loredo dort auf eigene Faust den Anwohnerflohmarkt „Floh Zinn“.
Für den Flohmarkt fehlt eigentlich der Brandschutz
Das allein ist schon ein Wagnis: Eigentlich ist der Markt, der hunderte Besucher anlockt und ganz offiziell auf der Homepage der Stadt beworben wird, gar nicht erlaubt. Die Bausubstanz der maroden Halle sei zu schlecht, es fehle an Brandschutz, erklärt Egbert Rühl, Geschäftsführer der Kreativ Gesellschaft, welche die nördliche Halle seit 2014 mietet. „Wenn beim Flohmarkt ein Brand ausbricht, haften wir“, so Rühl. Toleriert wird der Markt trotzdem von allen Beteiligten, wenn auch zähneknirschend.
Fraglich ist, wie lange sich dieser seltsame Zustand noch hält. Die Kreativ Gesellschaft hat eine Nutzungsänderung beantragt, die Genehmigung ist seit August da – doch um alle Auflagen zu erfüllen, müsste die Halle erst mal saniert werden. „Wir schätzen die Kosten auf einen mittleren sechsstelligen Betrag“, sagt Rühl. Zu teuer für die Kreativ Gesellschaft. Entweder ein privater Investor steige ein oder die Stadt finanziere den Umbau. Das sei aber nur wahrscheinlich, wenn „sich die Behörden klar zum Kulturkanal bekennen“, so Rühl. Dass die Sanierung so viel kosten würde, ist indes nicht neu, entsprechende Zahlen kursierten schon vor drei Jahren in den Verhandlungen.
Fragt man beim Bezirk nach, lautet der Tenor in etwa so: Kultur am Kanal? Klar, gerne – doch es ist kompliziert. „Mir gefällt es auch nicht, dass das alles so lange dauert, doch ich stoße immer wieder an Grenzen“, sagt Bezirksamtsleiter Falko Droßmann. Den Versuch, mithilfe der Kreativ Gesellschaft eine kulturelle Nutzung zu etablieren, erklärt er für gescheitert, der Zustand der Hallen sei schlimmer als gedacht.
Ein Abriss stehe erst mal nicht an, wie lange man die Gebäude noch erhalten könne, wisse er aber nicht. Die Mieter seien „derzeit nicht bedroht“. Doch wer einen Umbau finanzieren und wie die Industriebrache langfristig genutzt werden soll: alles offen – obwohl Droßmann schon „viele Gespräche mit Projekten und Stiftungen“ geführt, bundesweit nach Investoren gesucht habe, wie er sagt.
Falko Droßmann
Auch die Idee eines Kulturkanals sei noch nicht vom Tisch, heißt es. Die Stadt hat zumindest schon eine „Lenkungsgruppe“ mit allen Grundeigentümern ins Leben gerufen – denn die Besitzverhältnisse rund um den Kanal, an den Gewerbe, Industrie und Wohnungen grenzen, sind kompliziert. Gerade werde das Gelände auf Bodenbelastungen untersucht, in den kommenden Wochen sollen Ergebnisse vorliegen. Bis dahin ließen sich keine Pläne schmieden.
Doch warum nichts gemeinsam mit den Anwohnern entwickeln? Da gäbe es noch ein Problem: Für eine öffentliche Nutzung der Zinnwerke müssten erstmal „glaubwürdige, verbindliche Protagonisten“ her, die ein langfristig tragbares Konzept vorlegen könnten, meint Droßmann. Auch beim Kulturkanal fehle sie noch, diese „brauchbare Idee“. Namen und Details will der SPD-Politiker nicht nennen. Einen Austausch mit der kreativen Szene vor Ort, um sich einer solchen Idee zumindest anzunähern, gab es in letzter Zeit aber auch nicht.
Dabei wäre dieser Dialog dringend nötig: Für viele Wilhelmsburger ist der Kulturkanal längst zu einem Gespenst geworden, über den Stand der Planungen und Beteiligungsmöglichkeiten wissen nur die wenigsten Bescheid. Und während es auf der einen Seite um Gutachten, Formulare und Geld geht, wächst auf der anderen die Ungeduld. „Ich sehe so viel Potenzial auf dem Gelände, da sind die Probleme lächerlich“, sagt Loredo. Sein Appell an die Stadt: „Lasst uns wieder miteinander reden!“ Und was kommt, wenn das nicht passiert? Loredo lächelt. »Warum nicht zwei Schritte weiterdenken? Wenn hier nicht bald was passiert, rufen wir eben selbst den Kulturkanal aus und bauen Bühnen ans Ufer.“
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