Turbulenter Hamburger taz-Salon zu G20: „Wir brauchen linke Orte“
Zum taz Salon kommt Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) ins G20-gebeutelte Schanzenviertel – und räumt das teilweise Scheitern seiner Sicherheitsstrategie ein.
Grote ist nicht mit dem Helikopter eingeflogen. Und auch jene, die eine raffinierte Veranstaltungsregie hinter der Beschallung vermuten, liegen falsch. Es sind die Nachbarn von der Roten Flora, die vom Dach aus ihren nonverbalen, aber treffenden Kommentar zu den Ereignissen in der Stadt abgeben.
Fenster zu, Jalousien runter – dann kann man sich halbwegs verständigen. Darüber, was schief gelaufen ist, rund um das Mega-Politevent im Sommer. Eine ganze Menge, das wird im Laufe des Abends auch der verantwortliche Innensenator einräumen müssen. Das Naheliegendste: Die Randalenacht vom 6. auf den 7. Juli, keinen Steinwurf entfernt, habe einen „gravierend anderen Verlauf“ genommen als kalkuliert. „Da gab es eine Eskalation der Gewalt, der wir nicht mehr mit den üblichen Einsatzkräften begegnen konnten.“
Sind die Zuschauer schuld?
Warum? Der Grüne Kurt Edler versucht sich in einer Erklärung mit Milieukritik: „Weil das Ziel Globalisierungskritik berechtigt erschien, gab es eine breite Gewaltakzeptanz.“ Das habe die Randale erst möglich gemacht. Altgediente Linke hätten sich aus dem Gewalt-Geschehen vornehm zurückgehalten, aber 18-Jährige gleichsam „vorgeschickt“, die jetzt dafür in Haft säßen. Im Saal kommt er damit nicht gut an, viele fühlen sich direkt angesprochen.
Christiane Schneider, Linken-Abgeordnete, hat eine andere Lesart dieses Abends: Sie hält die Randale in der Schanze, der die Polizei stundenlang tatenlos zusah, für „Teil einer Planung“. Durch die Polizeiführung. Indiz dafür sei, dass bereits um 19 Uhr, „als noch kaum etwas los war“, ein hoher Polizeiführer zum Einsatzleiter der „Gesamtlage Schanze“ ernannt worden sei. Offenbar in Erwartung späterer Auseinandersetzungen.
„Die Flora hat die Gewalt befeuert, nicht gesteuert“
Inwieweit die auch von linker Seite geplant waren, will Grote noch nicht bewerten. Klar sei jedoch: „Die Rote Flora hat die Gewalt befeuert, aber nicht gesteuert. Das ist denen auch irgendwann über den Kopf gewachsen.“ In bemerkenswerter Abgrenzung zu seinem Ersten Bürgermeister Olaf Scholz, der der Roten Flora direkt nach dem Gipfel unverblümt gedroht hatte, fügt Grote hinzu: „Wir brauchen linke Orte in der Stadt, und die müssen nicht Freunde des Senats sein. Die gehören zur pluralen Stadtgesellschaft.“ Aber ihr Verhältnis zur Gewalt scheine ihm ungeklärt. „Das müssen wir klären.“
Das Publikum treibt andere Gewalt um: „Ich habe mich in der Gegenwart von Polizisten immer eher wohl gefühlt“, sagt eine Frau aus dem Publikum. „Wenn ich jetzt an Polizisten vorbeikomme, fühle ich mich in Gefahr.“ Auch Christiane Schneider hat „vor allem friedliche Demos gesehen – und eine unfriedliche Polizei“. Sie verlangt eine unabhängige Beschwerdestelle in Sachen Polizei mit eigenen Ermittlungsbefugnissen – und die Kennzeichnung von Polizisten im Einsatz, die Grote ablehnt. Den Gipfel sieht Schneider, trotz aller erfolgreichen Proteste, eher als Niederlage: “‚Uns‘ erwarten hunderte Jahre Gefängnis. Das bedrückt uns alle sehr.“
Andy Grote, Innensenator (SPD)
Lino Peters vom Republikanischen AnwältInnenverein bestätigt das. Während des Gipfels habe es im Sondergefängnis GeSa folterähnliche Praktiken gegeben. Nun, Monate später, stehe das Justizpersonal unter ungeheurem Druck. Immer noch säßen Heranwachsende in U-Haft, Verteidiger kämen bei Gericht mit rationalen Argumenten praktisch nicht durch. „Die Frage, ob das politische Justiz ist, ob der Bürgermeister mit seiner Forderung nach harten Strafen Einfluss genommen hat – die beantwortet sich von selbst.“ Andy Grote bellt zurück, als „Organ der Rechtspflege“ dürfe er die Unabhängigkeit der Justiz nicht in Frage stellen. Die Behandlung von Gefangenen war aus Grotes Sicht im Grunde rechtmäßig. Aber: „Ich bin auch nicht mit Allem zufrieden, was in der GeSa gelaufen ist.“
Der Innensenator, selbst Anwohner auf St. Pauli, zieht ein selbstkritisches, fast zerknirschtes Fazit: „Mir ist klar, dass das für Viele im Stadtteil eine unglaubliche Zumutung war. Wir haben den Leuten mehr zugemutet, als eigentlich möglich war.“ Worte, die eines Bürgermeisters würdig wären.
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