piwik no script img

Der HausbesuchVon oben sieht die Welt anders aus

Baumhäuser sind für ihn „Refugium und Romantik“. Sein erstes entwarf er mit 36. Zu Besuch bei dem Architekten Andreas Wenning in Bremen.

In Andreas Wennings Studio ist es so hell, als stünde man draußen Foto: Nikolai Wolff

Andreas Wenning wohnt im alternativen Bremer Stadtteil Ostertor, auch bekannt als „Das Viertel“. Er entwirft Baumhäuser.

Draußen: Wie ein dreistöckiges silbernes Raumschiff steht das Haus und Studio des Architekten Andreas Wenning auf einem Kopfsteinpflasterweg, gelandet zwischen bunten Häusern voller Blumen, alten Straßenlaternen, Fahrrädern und Baufahrzeugen. Einige Meter entfernt fließt die Weser. Junge Menschen flanieren an Cafés vorbei.

Im Garten des Hauses von Andreas Wenning hängt ein Baumhaus in einer alten Weide. In seinen Wänden aus Edelstahl spiegeln sich die Blätter, tarnen es im grauen Mittagslicht. Darunter haben fünf Kaninchen ihren Holzstall, in einem Glasgehege wohnt die Schildkröte. Daneben stehen ein Kirschbaum, ein Birnbaum, eine Birke, ein Fächerahorn und noch eine Holzhütte als Rückzugsort für die Familie. An der großen Mauer aus Brennholz („nur Deko“) teilen sich eine Madonna und ein Buddha einen schlichten Altar mit Teelichtern, Steinen und Keramikfischen.

Drinnen: Durch den Spielraum seiner vier- und siebenjährigen Söhne führt die Treppe in Andreas Wennings Studio in der dritten Etage. Der Blickfang: ein riesiges Schwarzweißbild eines sonnigen Winterwaldes. Außerdem Baumhaus-Modelle, ein Zeichentisch aus Glas, Familienfotos, Architekturbücher, ein Porträt von Wenning, auf dem er aussieht wie der junge David Bowie. Im Studio ist es so hell, als stünde man draußen. Eine Wand mit Blick zur Stadt ist komplett verglast, Regentropfen laufen die Scheiben herunter. Nur mit normalen Fenstern könnte der in Mönchengladbach geborene Architekt mittlerweile nicht mehr wohnen, sagt er. Licht sei für ihn alles.

Kindheit und Baumhaus: Die Sehnsucht nach Abenteuer und Geborgenheit ist, was aus einem Baumhaus ein Traumobjekt macht, sagt Wenning. „Manche Leute wollen nachholen, was sie als Kind nicht hatten. Andere langweilen sich und schaffen Raum für Experimentelles.“ Was den 51-Jährigen am Bau eines Baumhauses fasziniert, ist das Sinnliche, die Aufgabe, „eine definierte Struktur in ein lebendiges Gefüge wie den Baum zu planen“.

Ein Baumhaus sei für ihn „Refugium und Romantik“. Als Kind lebte Wenning teils auf einem Bauernhof mit den Großeltern, teils in einer winzigen Wohnung mit den Eltern. Er spürte früh das Bedürfnis, einen Ort für sich allein zu haben. Am liebsten im Grünen, um Kaffee zu trinken, zu lesen, bei sich selbst zu sein. Und um die Perspektive zu wechseln. „Von da oben sieht die Welt anders aus.“

Pionier: Als Kind beschäftigte Wenning sich mehr mit Höhlen als mit Baumhäusern. Mit 18 machte er eine Tischlerlehre in Weinheim bei Heidelberg. Erst mit 36, schon als Architekt, setzte er sein erstes Baumhaus zusammen, auf einem Bauernhof von Freunden außerhalb Bremens. Dieses Baumhaus war der Ausgangspunkt für sein Büro „baumraum“, das er 2003 gründete. Eines der ersten, die sich mit dem Thema beschäftigen. „Er baut Baumhäuser“, antworten seine Kinder stolz auf die Frage: „Was macht dein Papa?“. Pionier zu sein, „das fühlt sich gut an“, sagt Wenning.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Bäume: Erfolgsdruck spürt Wenning nicht von außen, den mache er sich selbst, erzählt er. „Ich setze mich unter Druck, aus Ehrgeiz oder weil ich einfach eine gute Arbeit leisten möchte.“ Mit der Tatsache, dass Baumhaus-Projekte sich oft „in Luft auflösen“, habe er sich abgefunden. Manchmal scheitere ein Vorhaben, weil das Budget doch nicht reichte oder weil bürokratische Hürden zu groß sind. „Etwa ein Drittel der Projekte wird nicht gebaut, weil das Bauamt keine Genehmigung erteilt.“ Auch manche Naturschützer kritisieren seine Arbeit. „Sie finden es bedeutsamer, dass sich durch das Haus ein Vogel gestört fühlt und nicht mehr zum Baum fliegt.“

Wenning benutzt Stelzen und Spanngurte, um den Bäumen nicht zu schaden. Er sei doch selbst ein Baumliebhaber, sagt er. Gleditschien mag er besonders. „Sie sind so hübsch und elegant.“ Aber auch Kiefern. „Eigentlich liebe ich sie alle.“ Für die Arbeit sei dagegen nicht jeder Baum geeignet: „Gesund und kräftig und auch nicht mehr sehr jung müssen sie sein“, sagt Wenning. Eichen sind gut, Pappeln und Weiden zu flexibel.

James Bond: Eine Herausforderung wäre für Wenning, ein Baumhaus auf einer Klippe zu bauen. In Nordkalifornien zum Beispiel, „wie die Laboratorien in einem James-Bond-Film“. Das Spannungsfeld zwischen futuristischem Design und natürlicher Kulisse reize ihn am meisten. Auch oben auf einem Hochhaus würde er gern ein Baumhaus platzieren. Möglich sei das, nur habe bisher niemand so etwas bestellt. Kunden mit Höhenangst hatte er noch nie. Manchmal muss er aber über die eigene Furcht hin­auswachsen. „Wenn ich drei, vier Meter klettere und mit einem Seil da oben hänge, kommt die Angst.“

Blumige Sprache: „Die Grundidee bei der Gestaltung des Baumhauses entstand aus der Faltung eines Blattes, welches fließend den Innen- und den Außenraum miteinander verbindet“, beschreibt Wenning eines seiner Baumhäuser auf seiner Webseite. „Fenster zu allen Seiten sowie ein großes Oberlicht lassen Blickbeziehungen in alle Himmelsrichtungen zu“, steht an einer anderen Stelle.

Der erste Schritt zum Baumhaus Foto: Nikolai Wolff

Er lacht laut bei der Frage, ob er aus einer Dichterfamilie komme. „Nein, in meiner Familie gab es eine ganz normale, einfache Sprache“, sagt er. Doch er gibt zu, schon seit seiner Jugend „eine Vorliebe für blumige Wörter“ zu haben. Eine Verbindung zwischen Poesie und Architektur sieht er trotzdem nicht, viel mehr glaubt er an das Philosophische und Politische seines Metiers. „Baumhäuser können auch als Symbol stehen für ein Miteinander mit der Natur, für Besinnung und Bescheidenheit.“

Isoliert: Es macht Wenning Spaß, unter einem Dach sowohl zu wohnen als auch zu arbeiten, doch die Selbstständigkeit habe auch eine Schattenseite, sagt er, „viel Orga, viel telefonieren, Bürotätigkeiten, vieles allein erledigen zu müssen“. Dagegen ist er begeistert, wenn er draußen arbeiten kann, wenn er auf die Baustellen geht und direkten Kontakt mit Bauarbeitern, Bauherren und Baumgutachtern pflegen kann. Er liebe es, auf Symposien Vorträge zu halten und ArchitektInnen und Projekte aus aller Welt kennenzulernen, erzählt er. „Weniger isoliert“ fühle er sich dank des Austauschs mit KollegInnen. „Auch wenn ich mit Menschen arbeite, bin ich während der kreativen Phase, wenn ich überlege oder plane, ganz allein in meinem Kopf“, sagt er. Delegieren sei keine einfache Aufgabe.

Einklang: Andreas Wenning achtet darauf, dass er als Selbstständiger nicht zu viel arbeitet. Er nimmt sich drei Nachmittage die Woche, um mit seinen Kindern etwas zu machen, vermeidet es abends immer noch im Büro zu sitzen, kocht und spielt Beachvolleyball. Familienurlaub macht er, sooft er kann – gern in Baumhäusern. Ein Workaholic sei er nie gewesen, sagt er. „Steinreich zu werden oder bestimmte Kunden um jeden Preis zu kriegen ist sowieso nicht Sinn der Sache.“ Privates und Berufliches in Einklang zu bringen, das sei ihm wichtig.

Glücklich: „Ich vergesse manchmal in meinem Alltag, zu sehen, dass das Glück da ist“, sagt Wenning nach langer Überlegung. Er sei ein glücklicher Mann, immer wenn es ihm gelinge, sein Glück wahrzunehmen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!