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Geschäfte mit den Armen

Die Allianz AG verkauft Lebensversicherungen an die Landbevölkerung in Indien. „Wachstum für die Armen“ lautet das aktuelle Schlagwort

VON HANNES KOCH

Bauern, Straßenfegern oder Minenarbeitern in Indien fehlt es oft am Nötigsten – einem soliden Dach über dem Kopf, ausreichender Nahrung, sauberem Trinkwasser. Gehört dazu auch eine Lebensversicherung? „Sicherlich“, heißt es bei der Allianz AG in München. 50.000 Policen hat der deutsche Global Player im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu bereits verkauft – und will das Geschäft mit Unterstützung der Bundesregierung jetzt stark ausweiten.

„Die Familien werden gegen den Ausfall des Ernährers abgesichert“, sagt Rüdiger Krech von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), die mit der Allianz kooperiert. „Eine Lebensversicherung kann gegen Armut schützen.“ Armutsbekämpfung: Damit tut das Unternehmen genau das, was UN-Generalsekretär Kofi Annan beim Millennium-Gipfel diese Woche in New York von den Regierungen, aber auch von der Wirtschaft verlangen wird.

Die so genannten Mikroversicherungen der Allianz funktionieren im Prinzip wie mitteleuropäische Policen. Allerdings ist die Versicherungsprämie viel kleiner: Sie beträgt nur 87 Cent pro Jahr. Stirbt der Hauptarbeiter der Familie, zahlt die Allianz 350 Euro aus. In Südindien, so GTZ-Mitarbeiter Krech, reiche diese Summe mindestens ein halbes Jahr, um eine Familie zu ernähren – eine Art „soziale Grundsicherung“, um Zeit für die Suche nach neuen Einkommensquellen zu schaffen.

Angesichts der geringen Prämien, die die Versicherten zahlen, sieht die Gewinn-Verlust-Rechnung der Allianz bislang nicht gut aus. „Das Ergebnis ist plus minus null“, sagt Michael Anthony vom „Strategie-Team Nachhaltigkeit“ des Versicherungskonzerns. Den größten Teil der Einnahmen bekommt die indische Entwicklungsorganisation Activists for Social Alternatives, die die Policen in den Dörfern verkauft. Obwohl von einer vernünftigen Rendite zurzeit keine Rede sein kann, sieht Anthony durchaus Potenzial im Geschäft mit den Kleinstversicherungen – warum bloß?

Der in Indien aufgewachsene, in den USA lehrende Ökonom C. K. Prahalad hat mit seinem Buch „The Fortune at the Bottom of the Pyramid“ („Das Glück am Fuße der Pyramide“) eine wachsende Strömung innerhalb der globalen Wirtschaftselite beschrieben. Seine These: Vier von fünf künftigen Konsumenten weltweit sind heute arm und leben in Entwicklungsländern. Wenn die Konzerne diesen Leuten in 20 Jahren ihre Produkte verkaufen wollen, müssen sie ihnen heute schon helfen, den dafür notwendigen Wohlstand zu erwerben. „Pro-Poor-Growth“ (Wachstum für die Armen) lautet das Schlagwort der internationalen Entwicklungsszene.

Hinzu kommt, dass die Vereinten Nationen unter Generalsekretär Kofi Annan begonnen haben, milden Druck auf die transnationalen Konzerne auszuüben. Die UN-Wirtschaftsvereinigung Global Compact, das Millennium-Projekt der UN und zahllose andere Organisationen werben um Beiträge der Wirtschaft zur Bekämpfung der Armut. Mit Erfolg: Kein transnationaler Konzern kommt mittlerweile ohne Entwicklungsprojekt aus. Der Milchtütenhersteller Tetrapak unterstützt Bauern in Tansania, der Lebensmittelkonzern Nestlé betreibt Aids-Prävention in Kenia, Coca-Cola lässt seine Getränke hier und da von Kleinfirmen abfüllen. Sich diesem Trend zu verweigern sähe nicht gut aus. Besonders dann nicht, wenn ein Unternehmen wie die Allianz gegenüber ihren anspruchsvollen Kunden in München oder Wien beweisen muss, dass man sich seiner sozialen Verantwortung in vorbildlicher Weise bewusst ist.

Daher hat die Allianz die Anregung der deutschen Entwicklungsorganisation GTZ und des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen aufgenommen, im Vorfeld des Millennium-Gipfels ein weiteres Projekt für Mikro-Versicherungen anzuschieben. 300.000 Euro der Anlaufkosten kommen aus öffentlichen, vornehmlich deutschen Kassen, 275.000 Euro zahlt die Allianz selbst. Dereinst will der Konzern auch Indonesien und Laos mit Kleinstversicherungen versorgen. Und zwar in weit größerem Umfang als bisher. „Das Geschäft wird profitabel erst ab 500.000 Policen“, sagt Allianz-Mitarbeiter Anthony.

Angesichts derartiger Dimensionen machen sich kritische Entwicklungsorganisationen zunehmend Sorgen. „Denken Sie an das überschwemmte New Orleans“, sagt Peter Wahl vom Institut Weed in Berlin, „die Armen können ihre grundlegenden Lebensrisiken gar nicht privat versichern.“ Ihnen fehle das Geld, um renditeträchtige Provisionen an Versicherungen zu zahlen. Kritiker wie Wahl befürchten, dass ausschließlich privat finanzierte Sozialsysteme in den Entwicklungsländern entstehen, während eigentlich öffentliche und solidarische Versicherungen gegen Krankheit und Altersarmut aufgebaut werden müssten.

Von solchen langfristigen Überlegungen abgesehen, ist auch der konkrete Nutzen dieser Entwicklungskooperationen zwischen Staat und Wirtschaft noch nicht erwiesen. In einem vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik verfassten Bericht heißt es: „Ein direkter Bezug zu entwicklungspolitischen Vorgaben, zum Beispiel Armutsminderung, konnte in den Fallstudien nicht aufgezeigt werden.“

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